fünf Stunden im Auto. Freunde, Timos und Robins Halbbruder, ihren Vater … dazu reichte der Akku noch.
Ich saß im Krankenwagen und immer wieder versuchte ich mir vorzustellen, wie Timo auf die Zuggleise kam? Ich wusste weder den genauen Ort, noch die Zeit, noch die Ursache. Ich bombardierte den jungen Mann, er hieß Peter, (Sanitäter) mit meinen vielen Fragen, versuchte mir einzureden, dass es Timo gar nicht sein kann und hoffte zugleich, dass der junge Mann mir das bestätigte, doch er blieb ruhig und lenkte mich ab mit anderen Themen. Ein junger Sanitäter, ca. 22 Jahre alt, schon so erfahren und voller Verständnis. Da hätte auch Timo sitzen können, denn er war genauso zurückhaltend, gefühlvoll, immer ein Ohr haben, immer für alle da, voller Fröhlichkeit und Vertrauen, dass alles gut wird. Und nun sollst du tot sein? Mein Timo doch nicht, so verantwortungsbewusst, vorausschauend, zielstrebig, niemals!
Zuhause angekommen, erwarteten mich bereits Robin, meine Freundinnen, Fabian (Halbbruder) und mein Ex-Mann. Der KDD-Beamter setzte sich zu uns und legte die verbogenen Schlüssel, das zertrümmerte Handy und den fast unbeschädigten Geldbeutel von Timo wortlos auf den Tisch. Das war der Zeitpunkt, wo ich registrierte, dass du Timo tot bist, nie mehr wieder die Haustüre aufschließen und sagen wirst „Hallo Mum“.
Diese Situation hat sich bei mir eingebrannt, denn bis dahin hoffte ich immer noch, dass es ein anderer Junge ist. Doch dann wäre eine andere Mutter geschockt und traurig. Dieser Tag X, der 3.11.13 lief ab, als wäre ich Zuschauer in einem Kino, da vorne läuft ein Film, den ich mir ungewollt anschauen muss. Doch der war schlecht und grausam. Das Kino zu verlassen, war nicht möglich, denn ich war ein Teil davon, von diesem Film. Die vielen Herzattacken, die ich an diesem Abend hatte, nennt man in der Psychologie „Heart-Attacks“ und sind real. An diesem Tag bin ich auch gestorben, sehr oft … immer und immer wieder … und doch lebe ich noch – irgendwie.
Ich bezahle noch heute die monatliche Handyrechnung für dein Handy und schicke dir Timo meine Sorgen, Sehnsüchte und Schmerzen über den Äther. Irgendwie hilft es mir dabei, aufkommende Gefühlsschwankungen darin zu verpacken.
Am 3.11.13 schickte ich noch vom Kurzimmer aus um 7.38 Uhr frühmorgens per Whats app an Timo ein Bild, worauf ein großer Wecker zu erkennen ist, der neben einem Bett steht. Im Bett liegend und schlafend ein Junge und der Wecker versucht gerade, diesen mit lauten Gedönse aufzuwecken.
Ich schrieb darunter:
„Guten Morgen Timo, aufstehen! Ach, bleib ruhig liegen, es regnet gerade sowieso überall“
Um diese Uhrzeit fand man dich auf den Gleisen! Du konntest nicht mehr aufstehen.
www.Zauberfee
Was Wäre Wenn ich noch einmal die Chance bekäme, das Zeitrad zurückzudrehen mit der Bedingung, dass ich nicht versuchen darf, den Schicksalstag, deinen Todestag zu verändern, ihn verhindern zu versuchen geschweige mit dir oder anderen darüber zu reden.
Was Wäre Wenn eine Zauberfee mir diesen Vorschlag machen würde, mir einen Tag aussuchen zu dürfen, um noch einmal dir ganz nah zu sein, dich zu umarmen, mit dir zu reden, dich zu spüren, dein Lächeln und deine Stimme mir nochmals tief einprägend.
Ja, ja, ja, ich würde diese Chance wahrnehmen und deinen letzten Geburtstag, deinen 19ten Geburtstag auswählen, den du am 8.9.2013 Zuhause gefeiert hast. Hier bekäme ich die Chance, dich nochmal fest zu drücken, immer wieder dir auf die Wangen zu küssen, ohne das du hinterfragen würdest, warum ich das tue, denn am Geburtstag darf Mum das ja unendlich – küssen. Somit hätte ich schon mal diesen Wunsch erfüllt bekommen, bei der Umarmung dein Parfüm zu riechen, deine weiche Haut zu spüren, dir durch deine Haare zu streicheln.
Dein 19. Geburtstag war für dich unbedeutend, keine interessante Zahl, meintest du, für mich schon, denn ich sagte zu dir: „vielleicht ist es unser gemeinsamer letzter Geburtstag, den wir feiern“, nichtsahnend, dass es am 3.11.13 sich so zeigen wird. Der Satz hatte aber einen anderen Hintergrund. Du hattest deinen Neuseelandaufenthalt mit Work and Travel für 1,5 Jahre geplant, die Reise gebucht und warst bereits „mit Leib und Seele“ schon dort, hast deinen Freunden mit großer Freude auf deine bevorstehende Reise teilhaben lassen. Auch hattest du mir gesagt, dass es reichen würde, wenn ich dann eine Drei-Zimmer-Wohnung anmiete, denn du kämst nicht mehr zu mir zurück, um bei mir zu wohnen, was sich auch am 3.11.13 definitiv zeigte. Entweder du bleibst dort und studierst oder du kommst zurück, wirst aber evtl. woanders dein Studium fortsetzen, an einem anderen Ort, so war dein Gedanke.
Im Nachhinein bekommen gesprochene Sätze eine wesentlich andere Bedeutung, wenn man deinen Tag X mit einbezieht. Teilweise erschütterte diese Erkenntnis mich sehr.
Da am gleichen Tag deine Oma 80 Jahre alt wurde, hatte ich das natürlich mit in meine Überraschungsfeier für dich eingeplant. Ich wusste, du würdest nachmittags mit deinen Brüdern zur Feier dorthin gehen, somit hatte ich den ganzen Tag Zeit, deine Feier zu gestalten. Und nun tue ich es noch intensiver, jeder Handgriff, jeder Atemzug, jedes Wort, das wir nun miteinander sprechen, werden sich in mein Erinnerungsfeld einbrennen.
Dieses Geschenk zu erhalten, ist die Chance dazu, diesen Tag auszukosten, die Stimmung zu spüren, noch einmal zu erleben und dennoch zu wissen, dass ich deinen Tod nicht aufhalten kann. Zum einen ist es eine schwere Entscheidung, das Geschenk anzunehmen, doch ich habe keine andere Wahl. Lieber erlebe ich es noch einmal intensiv durch, koste jede Sekunde mit dir aus, beobachte dich, wenn du lächelst, fühle deine innere Stimmung, erfreue mich an deinem Lachen und Fröhlichsein.
Mit kleinen Freuden konnte ich dich immer überraschen, du warst so genügsam und so tieffühlend.
Da du am Abend zuvor noch mit Freunden unterwegs warst, lies ich dich ausschlafen. Genug Zeit, um das Geburtstags-Überraschungs-Brunchen vorzubereiten. Du hattest dir ein Weißwurst-Frühstück mit Brezen und Weizenbier gewünscht. Somit ging ich ans Werk, lud meine Freundin Moni mit Familie ein, die mir helfen sollten, das alles „Undercover“ zu gestalten. Sabrina, die Tochter meiner Freundin, half bei den Vorbereitungen in der Küche. Sie vermisst dich auch sehr, du hattest für sie auch immer ein „offenes Ohr und Zeit für Gespräche“.
Wir alle machten uns ans Werk. Die Holzhütte im hinteren Garten wurde im Innenbereich dekoriert, immer ein Ohr und Auge auf dein Zimmer, ob du noch schläfst. Auf der Terrasse im vorderen Garten deckte ich offiziell den Geburtstagstisch, damit du nichts bemerkst. Langsam trudelten deine Freunde ein, die sich um das Haus schlichen und sich bereits in der Hütte versteckten, es passten 8-10 Freunde in die Hütte. Die Vorbereitungen in der Küche liefen auf Hochtouren, denn es blieb nicht nur beim Weißwurst-Angebot sondern es gab noch Ham & Eggs, die du so gerne dir selbst oft gebruzelt hattest, teilweise Meisterwerke entstanden sind und du mir sogar stolz Fotos davon über whats app geschickt hattest. Leberkäs mit Ei ergänzte den Menüplan.
Deine Freunde hatten sichtlich Entscheidungsprobleme, was sie zuerst essen wollen, zuletzt waren überall Kreuze auf dem Menüplan zu sehen, was mich erfreute und zugleich Sabrina ins Schwitzen brachte. Sie hat es gerne für dich gemacht. Dein Lieblingskuchen „Eierlikörkuchen“ haben meine Freunde auch mitgebracht, worüber du dich sehr gefreut hattest. Du hast immer den Menschen das Gefühl gegeben, wichtig zu sein, ihnen Respekt entgegen gebracht und geholfen, wann immer sie Hilfe benötigten. Du wärst ein guter Psychologe geworden.
Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren und ca. 10.30 Uhr kamst du vom Obergeschoss die Treppe aus deinem Zimmer herunter. Nun darf ich als Mum dir zuerst gratulieren, meine Umarmung wird intensiver ausfallen, ich werde dich auf deine Wangen küssen, dich drücken und deine Haut riechen, dein Parfüm, dich besonders betrachten, vor allem, was du heute angezogen hast. Du hast sehr viel Wert auf deine Kleidung gelegt. Deine Gangart war speziell für mich erkennbar, unter Hunderten von Menschen hätte ich dich da rausfiltern können. Sie war ganz besonders, so leicht und locker. Du würdest mich nicht überrascht fragen, warum ich dich so „abknutsche“, denn ich habe ja den Anlass dazu, deinen Geburtstag feiern zu dürfen. Deinen letzten!
Meine Freunde, deine Brüder, Robin und Fabian, dein Halbbruder, bereits im Wohnzimmer auf dich wartend, werden dir nun gratulieren, ich