noch einmal deinen 19. Geburtstag feiern zu dürfen, wohl mit einem dumpfen Gefühl im Magen, dass ich nichts verändern darf, was ich gerne akzeptiere. Als du dich in den Cocktailsessel im Wohnzimmer gesetzt hattest mit dem Rücken zum Terrassenfenster, kam locker und flocker Jan mit seinem Motorrad an. Das Geräusch kanntest du und wurdest aufmerksam, wieso Jan jetzt zu dir kommt. Um meine Überraschungsparty nicht zu gefährden, lenkten wir dich erfolgreich ab. Doch die Situation wurde brenzlig, als Jan sich Richtung Terrasse bewegte und nicht um das Haus lief, um in den hinteren Garten sich in der Blockhütte zu verstecken. Alle im Wohnzimmer Anwesende verwickelten dich in ein interessantes Gespräch, während ich heftig hinter deinem Rücken wedelnd mit Händen zu verstehen gab, dass er in die Hütte laufen soll, was Jan dann auch verstand. Puh, das ging nochmal gut.
Unter einem Vorwand schickte ich dich dann, nachdem eine SMS von Max aus der Hütte kam, dass nun alle Freunde da sind, zur Hütte. Langsam folgte ich dir, meine Freunde beobachteten dich durchs Küchenfenster, wo man die Hütte gut überblicken konnte. Du öffnetest die Türe und es kam ein lautes „Happy Birthday“
Vor Freude, dass die Überraschung mir doch gelungen war, ich es an deiner Reaktion im Gesicht wahrnehmen konnte, sprang ich in die Höhe, freute mich, ja es liefen sogar Freudentränen. Aufgrund unserer finanziellen Situation konnte ich dir nichts Großartiges schenken und mir wurde jetzt bewusst, dass dieser Geburtstagsbrunch, wenn er auch nur im kleinen Rahmen stattfand, das größte Geschenk für dich bedeutete. Mit deinen Freunden feiern, in der Hütte die Mega-Menükarte rauf und runter essen, bedient werden, lachen und reden … das war deine Welt, deine Freunde. Wie sehr hast du dich wohlgefühlt unter ihnen. Sie waren für dich so wichtig – und ich war auch immer froh, eine „volle Bude“ zu haben, es war Leben bei uns, aktives freudiges Leben ….
Gerade jetzt beim Schreiben muss ich erneut weinen, denn mir wird bewusst, dass ich immer ins Schwarze getroffen habe, was Überraschungen angingen. Freudentränen aber zugleich Trauertränen, denn ich weiß, dass ich erneut nichts verändern darf, ich darf noch einmal deinen Geburtstag erleben, dich sehen, dich bewundern. Ja, ich bewunderte deine Lebensphilosophie, dein Lebensmotto: „Das Leben genießen, Spaß haben“. Gerade blicke ich beim Schreiben auf meine PC-Uhr, es ist 5.55 Uhr frühmorgens, deine Geburtszeit.
Du hast alles geschafft, dein ABI2013, deine Fahrprüfung, alle Herausforderungen mit Leichtigkeit angenommen und ich bin mir sicher, dass deine Freunde, die du zu deiner Familie zähltest, dich dabei wesentlich unterstützt haben. Unsere private finanzielle Situation hat dich ebenso geprägt jedoch hast du immer den Ausgleich gesucht, die Freude am Leben auch mit wenig Geld zu genießen. Das hast du mir gelehrt, mein geliebter Sohn, das durfte ich von dir lernen, dafür danke ich dir ewiglich.
Ich genieße jetzt noch einmal deinen besonderen Tag, unseren letzten gemeinsamen Geburtstag, sehe euch in der Hütte sitzen, höre euch lachen, philosophieren, diskutieren. Und ich spiele die Bedienung, ohne mich einzumischen, ich lasse dich unter deinen Freunden sein.
Später habt ihr euch in den Garten vor der Blockhütte gesetzt, daraus entstanden die Bilder, die ich auf deine Gedenkseite gesetzt habe. Immer wieder sehe ich mir diese Fotos an, deine große Freude in deinen Augen widerspiegelnd. Ich darf jetzt weinen, das gehört jetzt auch dazu, ich fühle mich glücklich, so einen wunderbaren Sohn geboren zu haben, dich 19 Jahre bei mir wohnend aufwachsen zu sehen, dir immer wieder die Hand reichend, wenn du sie gebraucht hast, dir Freiheiten gegeben, die auf Vertrauen basierten. Du hattest eine wunderbare Art drauf, etwas auszudrücken, damit der Angesprochene sich verstanden fühlte. Wenn ich mal schlecht drauf war, egal welche Ursache es hatte, kamst du zu mir und fragtest: „Du siehst heute müde und traurig aus“, so hast du dich an meine Gefühle herangetastet, um herauszufinden, woran das liegen mag. Entweder hatte ich Schmerzen oder es war wieder eine Aufregung, die mit unserer finanziellen Situation zu tun hatte. Ich erklärte dir dann kurz die Gründe meines momentanen Gefühlszustandes. Somit erfuhrst du, um was es ging und konntest entsprechend handeln.
An deinem 19.Geburtstag hast du mir um 16.30 Uhr (die Uhrzeit weiß ich noch so genau, weil du schon um 16 Uhr zur Oma fahren wolltest mit deinen Brüdern und spät dran warst) folgende Worte gesagt:
„Am liebsten würde ich hier bleiben und weiterfeiern, es ist so schön“ Das war für mich das schönste Dankeschön, was ein Mutterherz aufnehmen darf. Auf diese Art und Weise haben wir uns verständigt, wir konnten wunderbar „durch die Blume“ reden und dennoch auf den Punkt kommen, woran es ankommt. Und ich sagte dann zu dir: „das freut mich so sehr, aber jetzt wartet deine Oma auf dich“
Damals hatte ich dich nicht umarmt aber jetzt kann ich es, da die Zauberfee nur die Bedingung gesetzt hat, dass ich nichts anderes sagen darf. Also darf ich dich jetzt nochmal umarmen, dich nochmal spüren, ich fühle dich, ich rieche dich, ich spüre – und nun muss ich dich gehen lassen …. Danke – Zauberfee.
Ein Zwischengedanke an dich lieber Leser:
Wir umarmen uns viel zu wenig, es ist selbstverständlich, dass wir uns begrüßen und aneinander vorbeilaufen, doch Umarmungen berühren die Herzen und es tut beiden gut. Das habe ich gelernt und wenn ich Lust habe, muss auch unser Hund Sammy herhalten, wenn ich ihn drücken und umarmen will, er mag das auch.
Ich erinnere mich gerade an eine Situation, die nicht an Timos Geburtstag stattfand aber dennoch hier reinpasst. Erneut hatte ich ein gewaltiges Problem zu meistern und war in dem Moment etwas überfordert, somit weinte ich in der Küche, während ich dort abspülte und aufräumte. Ich dachte, Timo ist in seinem Partyzimmer im Keller, doch plötzlich stand er an der Küchentür und fragte mich: „ist alles soweit in Ordnung?“. Ich drehte mich um, er sah meine verweinten Augen und wusste, dass es wieder um die Finanzen ging, die uns so einschränkten.
Du hast keine Antwort erwartet, kamst auf mich zu und hast mich spontan umarmt und gesagt. „Mum, wir Hanke’s sind doch Kämpfer, wir schaffen das.“ Ich konnte mich an deiner Schulter ausweinen, du warst so zierlich, schlank und leicht und in diesem Moment für mich der Fels in der Brandung, der starke große Baum, der mich festhält …. Ich danke dir so sehr für deine Geduld mit mir, für deine Liebe, deine bedingungslose Liebe, dein Verständnis für unser nicht leichtes Leben, deine Hilfe. Ein dicker Kuss auf deine Wange, meine geliebter Sohn.
Bei Umarmungen verschmelzen die Energie-Auren beider Menschen, Gefühlsparameter werden ausgetauscht, angenommen bzw. gegeben. Oftmals schließt man noch die Augen, um noch intensiver spüren zu können. Ich spürte Timos tiefe Liebe, sein Verständnis aber auch Hilflosigkeit, weil er mir nicht anders helfen konnte. Auch wenn ich stets versucht habe, meine finanziellen Probleme – verursacht durch eine ehemalige Freundin – aus der Familie herauszunehmen, doch das ist nicht machbar, wenn man so nah beisammen wohnt. Und Timo konnte ich nie was vorspielen, er kannte mich und ich ihn.
Die Zeit läuft ab, gleich wirst du deine Freunde verabschieden, die auch so gerne noch dageblieben wären. Einige deiner Freunde kenne ich bereits seit Kindergartenalter, kleine „Ein-Meter-Läufer“ und nun sind sie so groß geworden. Ich freute mich immer, sie bei uns zu sehen, spontane Feiern im Garten, Grillen oder Übernachtungen auf dem Trampolin … alles war möglich bei mir. Ich wurde selbst wieder zum Kind und durfte meine nicht gerade harmonisch verlaufende Kindheit dadurch heilen.
Du hast dich auch stets um deine Oma gekümmert, sie oft besucht, sie wohnt ja neben dem Gymnasium. Ihr hattet eine besondere Verbindung, vielleicht auch, weil ihr beide den gleichen Geburtstag hattet. Leider ist mir die Freundschaft zu meiner Ex-Schwiegermutter nicht geblieben, warum auch immer, ich frage nicht mehr danach. Eine Scheidung bringt auch Opfer. Es geht im Leben um Verzeihen und Vergebung. Wenn man das schafft, kann ein neuer Weg beginnen, gleich welche Verletzungen oder Geschehnisse schmerzhaft zuvor waren. Doch das ist die Kunst des Herzens, die nicht jeder hat. Ich mag meine Ex-Schwiegermutter dennoch gerne, sie ist eine gute Seele.
Gleich wirst du aus deinem Zimmer kommen, ich höre deine Schritte die Treppe hinunter laufen, sie waren besonders, diese Schritte, ich wusste immer, wer von euch beiden vom Obergeschoss herunterlief. Ob Robin oder du, jeder hat seine besondere Art zu laufen.
Eine letzte Umarmung, die ich mir besonders herausnehmen darf an meinem WWW-Tag. Ich genieße erneut und werde es tief in meinem Herzen verankern, dort ist alles sicher