Joseph Delmont

Die Stadt unter dem Meere


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balancierend, stiegen bergauf.

      Jedes Frühjahr mußte Erde und Dünger auf die Hänge geschleppt werden.

      »Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot verdienen …«

      Am Anfang des Ringmauerweges, vor dem Pfälzerhof, stand der alte Großvater und blickte mit halbblinden Augen blinzelnd in den Morgen. Er wußte, daß der Ausreißer, der Gustl, sein Lieblingsenkel, auf Besuch kam. Ihm schöne Geschenke bringend und so wundervolle Geschichten erzählend, von der Welt, die er niemals gesehen.

      Gewaltsam schüttelt Rinseler die Gedanken ab, verdoppelt seine Schritte.

      Ein kleines Wäldchen säumt links und rechts die Straße. Ein Bahnwärterhäuschen mit lichtblinkenden Fensterlein. Das Weinen eines Säuglings ertönt.

      Schwer atmet Rinseler. O Gott, wie schön ist die Welt! Wie wunderbar das Leben!

      Fünf Jahre das Dasein eines Maulwurfes gelebt.

      Nun liegt das Leben wieder in seiner Pracht vor ihm. Er breitet beide Arme aus, als wolle er die ganze Welt an sein pochendes Herz drücken.

      Lautes Johlen und Lachen schreckt ihn aus seinen Gedanken. Ein Wagen mit einer Anzahl Männer und Frauen fährt vorbei. Die Männer rufen dem Wandernden zu, doch aufzusteigen und mitzufahren. Rinseler wehrt ab. Da halten sie an und heben ihn unter Lachen und Scherzen gewaltsam auf den Wagen.

      Ein Bursche hält ihm eine Flasche mit blutrotem Chianti hin, schreit:

      »Trink’! Bei der Heiligen Madonna, trinke! Du brauchst es. Bist weiß wie eine Leiche. Trink’! Das gibt dir Leben und Farbe!«

      Rinseler setzt die Korbflasche an den Mund und trinkt in durstigen Zügen. Mitten im Trunk setzt er ab. Um Gottes willen, Vorsicht! Er ist des Alkohols entwöhnt.

      »Mille Grazie.« Er reicht die Flasche weiter.

      In Bergeggi, am Eingang des Ortes, wird das Namensfest »Johannes« gefeiert.

      Man zwingt Rinseler, mit in den Garten der Wirtschaft zu treten.

      Lampions, Lachen, Kreischen, Schreien, Wein, Kuchen und Obst. Die Tische sind mit Wein und Speiseresten bedeckt. Ein quietschendes Orchestrion macht Lärm zum Tanz.

      Keine italienischen Nationaltänze. Tango, Twostep, Boston. Schrecklich steif.

      Die Tänzer bewegen sich eckig und stolz.

      Die Mädels hingebend, ganz am Tänzer liegend, lassen sich schleppen. Zeigen wunderbare oder häßliche Beine.

      Salomé! Salomé! Alle brüllen den Schlager, der die Welt verpestet.

      Rinseler sieht dies alles, wie durch ein Kaleidoskop. Ein Mann drückt ihn auf eine Bank. Ein Teller mit einem stark duftenden Schweinebraten steht vor ihm. Knoblauch! Eine Schüssel mit Spaghetti. Ein üppiges Weib streut einen Schöpfer voll Parmesan auf die Nudeln, stubbst Rinseler und schreit ihm ins Ohr:

      »Mangiare!«

      Langsam und vorsichtig ißt der bleiche Mann. Die Üppige steht kopfschüttelnd vor ihm. Nur von Zeit zu Zeit nimmt er einen leichten Schluck des schweren unverfälschten Weines.

      Orangen, Datteln, Rosinen, Nüsse, Bananen werden vor ihn hingeschoben. Er nimmt die Orange und riecht lange daran. Ein brennender Wunsch wird in ihm laut. Einen Apfel, einen gut riechenden deutschen Apfel möchte er jetzt gern.

      In einem unbewachten Augenblick schleicht er aus dem Garten.

      Wie er draußen weiter will, sieht er Herdigerhoff mit weit offenen, brennenden Augen am Zaun lehnen.

      Langsam berührt er des Staunenden Schulter. Erschrocken wendet sich dieser um. Als er den Kameraden erkennt, folgt er ihm.

      In einem engen Gäßchen bleibt Rinseler stehen.

      »Vorsicht, mein Junge! Nicht wieder so gaffen. Leicht kannst du so auffallen.«

      Sie kommen an einer Laterne vorbei. Herdigerhoff erblickt die Orange in Rinselers Hand. Er greift danach.

      »Laß mich kosten, Rinseler.«

      »Du kannst sie ganz haben; ich hab’ schon eine gegessen«, lügt Rinseler und drückt dem Kameraden die goldige Frucht in die Hand.

      Mit den Zähnen reißt der die Schale vom Fleisch der Frucht und saugt den süßen Saft in sich. Der andere schaut ihm bedauernd zu.

      »Du«, flüstert Herdigerhoff, »morgen kauf’ ich einen ganzen Korb. Die Kameraden müssen auch welche haben.«

      Gleich darauf trennen sich die Beiden.

      Herdigerhoff schleicht durch die Gassen und erhält in einer kleinen Herberge Unterkunft.

      Rinseler marschiert kräftig auf dem Weg nach Savona weiter. Er hat noch achtzehn Kilometer zu marschieren und will um fünf Uhr in Savona sein, um noch ein bis zwei Stunden der Ruhe zu pflegen.

      27

      In der »Stadt unter dem Meere« war alles den ganzen Tag über in fiebernder Erwartung.

      Beim »Korso« wurden Gedanken ausgetauscht über die Dinge, die man sich bestellt hatte. Die Sorge, ob auch alles von den Kameraden besorgt würde, war groß.

      Die Unruhe wuchs von Stunde zu Stunde.

      Möller war mit einer Motordräsine fortwährend unterwegs. Er erzählte den Ziegen, den Hunden, den Kaninchen, den Vögeln und allen, was sie für schöne Dinge bekommen würden.

      Gegen Abend schmückte sich Möller, als ob es zum Ball ginge. Nelly, Nelson und noch fünf Hunde liefen fortwährend hinter ihm her. Zwei Katzen schnurrten an seinen Beinen.

      Möller hielt mit seinen Tieren die längsten Gespräche, und seine Lieblinge verstanden ihn auch. Er bedauerte nur, daß er nicht die blinden Molche aus dem kleinen See und die Zweitaschenmuscheln soweit bringen konnte, daß sie ihm nachliefen wie seine Ziegen, Hunde und Katzen.

      Als um sechs Uhr abends an Stelle von U.1000 U.10 ausfuhr, waren fast zwei Drittel der Besatzung mit an Bord. Der Rest machte es sich am Plateau im Seedom bequem und vertrieb sich die Zeit mit Karten-, Domino- und Schachspiel.

      Doch keiner der Spieler war so richtig bei der Sache. Die Erregung lag auf allen Gesichtern.

      Leutnant Ulitz ging mit zwei anderen Herren auf und ab. Er erwartete – Zigaretten – gute, rauchbare Zigaretten. Rinseler hatte es wohl dreißigmal eingeschärft bekommen, 100 – nein 500 – nein, wenn es ginge, 1000 Zigaretten und 100 Zigarren mitzubringen.

      Der Koch beriet mit Möller den Speisezettel für den kommenden Mittag.

      Morgen war Sonntag. Mittags sollte ein Menu auf den Tisch kommen, daß die Zweitaschenmuscheln unterm Wasser einen Rheinländer tanzten, die blinden Molche Augen bekamen.

      Nachmittags, nach dem Tennis- und Fußballmatch, wird es einen Doppelmokka mit Kuchen geben. Möller fragte sich, ob sie wohl auch Wein erhalten würden. Der Koch war dessen sicher. Ulitz, der eben vorbeiging, klopfte Möller auf die Schulter, wofür er von sämtlichen Hunden wild angeblafft und angeknurrt wurde, und sagte jovial:

      »Jawohl, alter Stallknecht Möller! Jawohl, alte Tierseele und Hundetante. Sekt! Echten französischen Sekt gibt es und Erdbeerbowle.«

      »Jawohl, Herr Leutnant. Aber frisches Vogelfutter bringen die sicher mit!« Möller freute sich übers ganze Gesicht.

      »Na, vergessen Sie nicht, Möller, alter Knabe, Ihrem Vogel eine anständige Ration zu geben, sonst piepst er noch mehr.«

      28

      Am Spätnachmittag traf Göbel als erster mit seinem gefüllten Postsack beim Boot ein. Er hatte außerdem die Taschen von Rock und Hose vollgepfropft mit nützlichen, brauchbaren Dingen.

      Kurz nach ihm erschien Maxstadt. Er schien noch bleicher als sonst. Er brachte außer dem Rucksack einen Packen mit Zeitungen und ein drolliges Fünfzehn-Liter-Faß