Zeit schlich entsetzlich langsam dahin und alles Warten war vergeblich.
23
U.10 lag im Morgengrauen weit draußen im Meere. Die Antennen vibrierten über dem Boot und leise klangen die Drähte zur Melodie der plätschernden Wellen.
Die ganze Besatzung war an Deck und sog die frische Morgenluft ein.
Weit in der Ferne war die Rauchfahne eines Dampfers sichtbar.
Nördlich, fast verschwindend, zog sich die Küste der italienischen Riviera hin.
Man lag direkt südlich von »Finale Marina« und Varigotti.
Das Capo di Noli steckte seine Hügelnase ins Meer. Dem Morgen und der Sonne jauchzte die Landschaft entgegen.
Zwischen dem U-Boot und der Küste trieb eine Unzahl kleiner Fischerboote, von denen nur die Mastspitzen und ein Fetzen Segel sichtbar waren. Schemenhaft!
Mader starrte weit offenen Auges zur Küste hin. Sein Gesicht war bleich und eingefallen. Er sah um viele Jahre gealtert aus.
Der Führer und alle Mann der Besatzung waren in graugrüne Uniformen gekleidet. Dieselbe Farbe trug das U-Boot. Es hob sich nicht vom Grün des Meeres ab.
Mimikry. Anpassung aus großer Vorsicht.
Man war im Frühsommer 1921.
Mader gab Befehl, die Netze einzuziehen und die im Beiboot steuerbord von U.10 befindlichen Männer kamen mit den Korkgewichten an den Netzrändern langsam an das U-Boot heran.
Reiche Beute wurde eingebracht.
Wieder war man auf Tage versorgt! Die kleinen und die ungenießbaren Fische wurden in die See zurückgeworfen. Ebenso die Tintenfische, die sich wie immer in großer Zahl in den Netzen fanden.
Oberingenieur Zangenberg nahm Reimer einige dieser kleinen Oktopusse ab. Man brauchte sie als Farbmittel und es gab auch Genießer, die diese scheußlichen Tiere gerne aßen.
Die Antennenmaste wurden umgelegt und festgeklemmt; die Drähte nach unten gebracht.
Das Beiboot wurde an seinem Platz am Vorderdeck festgemacht.
Langsam verschwand U.10 in der Dünung.
Die Umsteuervorrichtung trat in Tätigkeit. Die Antriebsvorrichtung des hinteren Tiefenruderpaares arbeitete rasch, und lautlos ging das Boot auf sechs Meter Tiefe unter den Wasserspiegel.
Der Funker schrieb die aufgefangenen Nachrichten für jedermann lesbar ins Reine.
Im Offizierswohnraum war eine kleine Kabine für die drahtlose Telegraphie eingerichtet. Da man nur jeden zweiten oder dritten Tag ausfuhr, und dies erst nach Eintritt der Dunkelheit, so war man stets auf Kombinationen angewiesen, weil die meisten Funktelegramme um diese Zeit schon ihre Erledigung gefunden hatten. Nur Zeitungsnachrichten und die Berichte der Presse vom Eiffelturm, für die Allgemeinheit bestimmt, wurden aufgefangen.
Man versuchte verschiedentlich den Trick, große Schiffe unter falschem Namen anzurufen und erfuhr dadurch manches Wissenswerte.
Mader, der Doktor, Ulitz und Zangenberg lasen über die Schulter des Funkers gebeugt, während sich Buchstabe an Buchstabe reihte.
Es waren keine angenehmen Neuigkeiten, die man über die Heimat vernahm. Immer neue Bedrückungen, immer neue Drohungen mit Sanktionen und Schweinereien schwarzer Franzosen im besetzten Gebiet.
Durchsichtige Lügen über deutsche Hinterlist und Tücke waren gang und gäbe.
Vieles war so erlogen, daß man sich kein Bild von der Lage in der Heimat machen konnte; zweidreiviertel Jahre war es her, seit die letzten Nachrichten die von aller Welt Abgeschlossenen erreichten.
Hätte man nur einmal eine Zeitung aus der Heimat bekommen mit Nachrichten, an die man glauben konnte!
24
Am Plateau beim Anlegeplatz im Seedom standen die diensttuenden Wachen und vertauten U.10. Möller berichtete über die letzten vierzehn Stunden, seitdem U.10 ausgefahren war.
Die Fische wurden auf eine kleine Lowry verladen und der Miniaturzug fuhr ab.
Es hatte sich einiges in der »Stadt unter dem Meere« geändert.
In Dom 2 waren neben dem Kreuz des armen Haller noch zwei neue errichtet.
Zwei gute Kameraden waren kurz nacheinander gestorben. Ein Schweißer kam durch den elektrischen Starkstrom ums Leben. Der Tischler Klüberle, ein biederer gemütlicher Badenser, war an Heimweh und an gebrochenem Herzen zugrunde gegangen.
Im großen Maschinendom waren eine Anzahl Maschinen mit Bretterverschlägen und Persenningen zugedeckt.
Im Wohn- und Schlafdom hatten die Mannschaften schöne wohnliche Kojen gebaut. Immer je zwei Mann bewohnten ein »Zimmer«.
Im Dom 8 war ein kleiner See angelegt; Enten und Gänse schwammen dort umher.
Gleich im Winter 1918 hatte Möller es durchgesetzt, daß von dem Wassergeflügel nichts mehr in die Küche wanderte, außer den überschüssigen Erpeln und Gänserichen. Die übrigen Tiere blieben zur Brut.
»Denn«, sagte Möller, »Enten und Gänse können zur Not auch mit Fischen genährt werden, während man von den Hühnern gleich über 100 Stück in einigen Wochen verzehrt, um für die restlichen 60 Stück das vorhandene Futter zu strecken.«
Dann war von dem guten Möller eine große Pilzzucht in dunklen Mistbeeten angelegt worden. Vortreffliche Champignons hatte er gezüchtet. Als er seinerzeit – da noch wöchentlich zwei Verpflegungsboote aus der Heimat alles Nötige brachten – um verschiedene Sämereien und Pflanzen gebeten, hatte man ihn ausgelacht, aber doch seinem Wunsche willfahrt, da er all diese Dinge von seiner Löhnung bezahlte.
Seit eineinhalb Jahren hatte Möller mit Hilfe des Kochs Klusmeyer experimentiert, und da er seinerzeit aus dem vorhandenen Heu eine Unmenge Futtersamen in wochenlanger Geduld gesammelt, so hatte er eine Anzahl großer Bogenlampen, die in den anderen Domen überflüssig geworden waren, über ein großes von ihm bearbeitetes Stück Boden, das er mit Mist aus den Ziegen- und Geflügelställen düngte, gehängt.
Und, o Wunder, es wuchs! Es wuchs helles Gras. Die künstlichen, Millionen Kerzen starken Lichtstrahlen ersetzten die Sonne zum Teil, und die noch vorhandenen Ziegen und der Bock fraßen mit Vorliebe dieses helle saftige Gras.
Man hatte die Ziegen, bis auf die zwei, abgeschlachtet und somit das Futter auf weit über die doppelte Zeit gestreckt.
Auch die Kaninchenzucht war bis auf zwei Pärchen den Weg alles Irdischen gegangen.
Eine Schar Hunde und Kanarienvögel bevölkerten die »Stadt unter dem Meere«.
Die Hunde wurden leicht mit Fischen verpflegt und für die Vögel war noch genügend Futter vorhanden.
Ein äußerst wichtiges Lebensmittel aber entbehrten die Eingeschlossenen seit Wochen. Es gab kein Brot mehr, denn der Mehlvorrat war zu Ende gegangen. Auch Kartoffeln fehlten schon lange.
Konserven waren noch in Menge vorhanden. Es gab Fleisch-, Fisch-, Gemüse-, Obst- und eine große Auswahl anderer Konserven. Dann hatte man die Zweitaschenmuschel aus dem Seedom als Nahrung versucht; der Koch hatte ein Rezept dazu gefunden und nun gab es jede zweite Woche »farbige Zweitaschenmuschel mit pikanter Soße«.
Das geistige Niveau der Mannschaft stieg ungemein. Fast alle konnten fließend englisch, italienisch, französisch und portugiesisch sprechen. Diese letztere Sprache wurde von einem Offizier gelehrt, der lange Jahre in Südamerika gelebt und sie vollkommen beherrschte.
Die meisten Unterhaltungen wurden in fremden Sprachen geführt. Mancher Scherz entstand. Schröder, der anscheinend verlernt hatte, »Danke schön« zu sagen, sprach seinen Dank nur auf portugiesisch aus »Molto obligato!«
Der physische Gesundheitszustand ließ, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nichts zu wünschen übrig. Der psychische