Joseph Delmont

Die Stadt unter dem Meere


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kranken Kuh ein Klistier zu geben.

      Ulitz machte allerhand schnoddrige Bemerkungen.

      Möller, der das leidende Tier festhielt, warf dem jungen Offizier einen strafenden Blick zu.

      Plötzlich klingelte die Signalleitung.

      Mader ging ans Telefon neben den Ankleideräumen am Sportplatz.

      Von Dom 1 wurde das Einfahren von U.174 gemeldet.

      Mader und Ulitz setzten sich auf die elektrische Dräsine und fuhren eiligst ab.

      Kapitän Zirbenthal zog sich mit Mader sofort zurück.

      Ulitz blieb am Rande des Plateaus und unterhielt sich flüsternd mit einem Offizier von U.174.

      Mader stand mit weit offenen Augen vor dem Kameraden. Er konnte es nicht fassen.

      »Revolution?! Waffenstillstand?! Rückzug?!«

      Stoßweise kamen die Worte aus seinem Munde. Man mußte leise sprechen. Damit, um Gottes willen, die Besatzung nichts höre.

      Das schrille Signal eines einfahrenden Bootes ertönte.

      Innerhalb der nächsten sechs Stunden liefen weitere vier U-Boote ein.

      Immer unglaublicher lauteten die Hiobsposten.

      Die Arbeit ruhte. Nur die Lichtanlage und die Küchen arbeiteten.

      Die Offiziere berieten.

      Manche wollten wieder ausfahren; dies war angesichts der Gefahr, daß andere Boote sich auf der Einfahrt befinden konnten, nicht möglich.

      Die Besatzung der Höhle war treu und zuverlässig.

      Möller hatte am Fußballplatz die gesamte Besatzung zusammen gerufen und in kurzen Worten einige Erklärungen abgegeben. Noch wüßte man nichts Gewisses, aber jetzt hieße es: Kopf hoch halten. Keiner sollte murren, innerhalb von ein oder zwei Tagen würde sich alles entscheiden.

      Der Schrittenbacher Maxl fühlte sich auch veranlaßt, einiges zu sagen:

      »A Haxen reiß’ i an jedem aus, der wo sie a nur trauet und dö Goschen aufmacht. Weißwürscht mach i aus eahm. Kimmt’s her, wenn’s eich traut’s!«

      Viele lachten. Maxl hatte wieder einmal Stimmung gemacht.

      Wie oft wohl im Leben ein Witzwort eine Situation aus der Gefahrzone auf ruhiges Gleis gerettet hat. Wenn hier auch der Witz Maxls unfreiwillig war, so hatte er doch seinen Zweck erfüllt.

      Bis zum folgenden Mittag waren im ganzen elf U-Boote im Domsee eingefahren. Die Mannschaften blieben eingeschlossen.

      Möller hatte seine Getreuen bewaffnet, um auf alle Fälle gerüstet zu sein.

      Mader hielt mit den Offizieren eine Versammlung ab.

      Man hatte U.174 wieder hinausgeschickt und wartete auf Nachricht.

      Endlich ertönte das Signal.

      U.174 fuhr ein, gleich hinterher noch ein U-Boot.

      Die Funker von U.174 und dem letzten U-Boot – es war dies eines der Proviant-U-Boote für die Höhlenbewohner – brachten die letzten Neuigkeiten.

      Zusammenbruch. Rückzug. Revolution im Reich – und was das Schlimmste von allem für die Offiziere war – die Flucht des Kaisers.

      Tiefe Stille herrschte im Kreise, als diese Botschaft kund ward.

      Flucht! Flucht des obersten Kriegsherrn.

      Die Herren von der Marine waren im Grunde niemals so außerordentlich »kaiserlich« wie die Landarmee. Dies lag wohl daran, daß das Landheer viel eher Berührungspunkte mit dem Herrscher hatte, und daß die Herren von der Kriegsmarine durch ihre Auslands- oder Überseereisen einen weiteren Gesichtskreis bekamen und überdies auch gebildeter waren. Insbesondere die U-Boot-Offiziere waren ausgesuchtes Material. Diesen Herren war durch ihre Sprachkenntnisse schon in der Friedenszeit Gelegenheit geboten, die Zeitungen englischer Zunge zu lesen, um sich ein Bild über manche Dinge zu machen.

      Es gibt und gab wohl keine Truppe, die mehr Vaterlandsliebe und Treue zur Heimat besaß, als die deutsche Kriegsmarine.

      Was die revolutionären »Matrosen« betrifft, so wird einst die Geschichte darüber Aufschluß geben, wer diese »Matrosen« und ihre »Führer« waren.

      · · ·

      »Wer von den Herren in die Heimat will, der möge sich entscheiden. Ich muß dies nachher auch meinen Mannschaften anheimstellen!«

      Mader blickte im Kreise der Offiziere umher.

      »Ich bleibe hier und wer mit mir bleiben will, der soll sich bald entscheiden. Um unvorhergesehenen Dingen vorzubeugen, muß ich darauf dringen, daß bis morgen mittag alle Boote, die zurück wollen, diesen Platz verlassen haben.«

      Die Herren schwiegen und warteten auf weitere Erklärungen.

      »Ich bleibe hier, bis weitere Nachrichten aus der Heimat eintreffen. Unter den gegebenen Umständen ist für mich zur Zeit in der Heimat kein Platz. Ich kann und darf auch diesen Posten nicht verlassen!«

      »Ich schlage vor, wir fahren alle aus, schießen die nächsten befestigten Hafenstädte in Grund und Boden und sterben einfach mit unseren Booten«, rief ein exaltierter junger Leutnant.

      »Das wäre eine böse Geschichte. Die Oberste Heeresleitung hat einen Waffenstillstand geschlossen. Wir täten unserer armen Heimat keinen Gefallen mit einem solchen Streich.«

      18

      Sechzehn Offiziere und Unteroffiziere, einschließlich der Techniker, hatten sich entschlossen, in der »Stadt unter dem Meere« zu bleiben.

      Von den Mannschaften hatten siebenunddreißig gebeten, bleiben zu dürfen.

      Es waren dies meist alte, aktive Leute, die kapituliert hatten, schon viele Jahre dienten, die niemanden in der Welt besaßen und froh waren, nicht in die Revolution hineingestoßen zu werden.

      Der Schrittenbacher Maxl hatte sich zur Heimfahrt gemeldet.

      »Wissen S’, Herr Kapitän, i muaß ja do’ hoam zu meiner Alten. Dö werd scho’ Sehnsucht nach oan Krawall ham. I kumm amal auf B’such her, wann i an Urlaub von der Fabrik krieg!«

      Mader schüttelte kräftig die Hand des biederen Bayern. Es war schade, daß gerade dieser Mann ihn und seine Kameraden verließ. Er hatte es immer verstanden, den Leuten auf launige Art die Zeit zu vertreiben.

      »Leben Sie wohl, Schrittenbacher. Grüßen Sie die Heimat und vergessen Sie uns nicht. Sie waren ein braver und treuer Kamerad, wie man ihn besser nicht finden kann! Versuchen Sie es ohne Schläge, wenn Sie nach Hause zurückkehren. Die in der Heimat haben genug gelitten, und Ihre Frau wird sich auch geändert haben!«

      Maxl trat ganz unmilitärisch von einem Fuß auf den anderen und nickte nur. Sprechen konnte er nicht. Er schluckte und spürte ein Würgen in der Kehle. Er drückte nochmals und viel fester die Hand seines Kapitäns und lief weg.

      Heulen, brüllen hätte er mögen. Er schämte sich und versteckte sich an seinem Lieblingsplatz bei der »Hexe«.

      19

      Tags darauf verließen am frühen Morgen fünf Boote die »Stadt unter dem Meere«. Alle U-Boote hatten ihre überflüssigen Lebensmittel, Uniformstücke, Öle, Betriebsstoffe und alles sonst Entbehrliche für die Kameraden in der Höhle zurückgelassen.

      · · ·

      Im Dom 9 standen die Höhlenbewohner, die sich entschlossen hatten, in die Heimat zurückzukehren, in Reih und Glied auf einer Seite, während die anderen, die bleiben wollten, zwanglos auf dem rechten Flügelende hielten.

      Kapitänleutnant Saxonfeldt stand mit seinen Kameraden in Erwartung Maders, der seinen Leuten ein letztes »Lebewohl« sagen wollte.

      Möller gab aus Dom 8 ein Signal.