Byung-uk Lee

Four Kids


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ist sehr freundlich von Ihnen, Frau No. Aber ich muss mich erst umziehen.“

      Er hatte wieder seinen schwarzen Anzug an und um seinen Hals schnürte sich die knallrote Krawatte, die Haekwon ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Da er ein erfolgreicher Unternehmer war, wollte sich Frau No bei ihm einschmeicheln, um sich Vorteile zu verschaffen.

       Kim Papier, da Ihre Ideen es verdient haben. Kim Papier sorgt für Inspiration.

      Das waren die Slogans, die überall in der Stadt plakatiert waren. Als führender Hersteller von Schreibwarenartikeln konnten sie sich zwar ein eigenes Haus leisten, aber aus irgendeinem Grund hatte sich Hee-Chul damals für ein Apartment entschieden.

      „Aber bleiben Sie nicht zu lange fern“, scherzte Frau No, während sie seinem Vater einen verführerischen Blick zuwarf.

      Haekwons Vater wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und lächelte mild.

      „Keine Sorge, Frau No. Ich werde nicht lange benötigen.“

      Gedankenverloren kaute Frau Oh auf dem zähen Stück Reiskuchen, während Yeon-Woo verstört einen Schluck Kaffee trank.

      Spät abends lag Haekwon auf dem Bett. Seine bleichen Arme hinter dem Kopf verschränkt und die ebenso bleiche Zimmerdecke anstarrend, konnte er seine Eltern aus dem Schlafzimmer hören.

      „Du lässt dich von dieser Frau einwickeln.“ Die Eifersucht seiner Mutter spürte man selbst durch die dicken Wände.

      „Ich habe doch gar nichts gemacht“, verteidigte sich Hee-Chul.

      „Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Denkst du etwa ich merke nicht, was hier läuft? Denkst du ich bin blind? Diese Frau baggert dich ständig an und ich sehe doch immer deinen leicht verstohlenen Blick, wenn du ihr ins Gesicht schaust.“

      „Du spinnst doch“, erklang wieder etwas dumpfer die Stimme seines Vaters. Anscheinend hatte er sich weiter von der Wand wegbewegt. „Wenn es dir nicht passt, dann lade sie doch nicht ein“, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu.

      Schweigen. Mit diesem Argument schien er Yeon-Woo mundtot gemacht zu haben. Haekwon glaubte, sie leise weinen zu hören, oder vielleicht bildete er sich das nur ein. Mühsam richtete er sich auf, um dieser Daily Soap, die er fast jede Woche zu hören bekam, selbst zu beenden. Nun switchte er wieder auf den Laptopmodus um. Das Kunststoffgehäuse lockte ihn wie der Käsegeruch die Maus. Ein Knopfdruck und sein elektronischer Freund erwachte zum Leben. Elektrische Impulse durchzuckten das Gerät, um gehorsam die Befehle seines Herrchens entgegenzunehmen. Eingekeilt zwischen schrill leuchtender Werbung für Software, Fastfood und die neuesten Automodelle entdeckte er in der exklusiven Chatliste zum Thema Sonstiges den Namen, Browneyes55. Er war also wieder online und bereit für eine weitere Runde verbalen Kräftemessens.

       Browneyes55: Du bist heute spät dran.

       Bluebird27: Ja, hatte zu tun.

       Browneyes55: Was denn?

       Bluebird27: Privatsache. Was hast du denn heute gemacht?

       Browneyes55: Was schon! Musste arbeiten.

       Bluebird27: Wo?

       Browneyes55: Im Prinzip überall in der Stadt.

       Bluebird27: Verstehe ich nicht.

       Browneyes55: Liefere Champong und andere Nudelgerichte für einen Imbiss aus.

       Bluebird27: Musst du nicht zur Schule gehen?

      Die nächste Zeile blieb leer. Haekwon musste einen empfindlichen Nerv getroffen haben. Er verspürte Groll gegen sich selbst, da er mit seiner schwachsinnigen Neugier möglicherweise den interessantesten Chatpartner seit Monaten in die Flucht getrieben hatte. Er, der reiche Sprössling eines erfolgreichen Schreibwarenherstellers, interessierte sich für einen Lieferjungen. Der Gedanke war so absurd, dass Haekwon selbst darüber schmunzeln musste, aber er war auch ein wenig traurig. Er legte sich wieder ins Bett, um das Deckenspannen fortzusetzen. Vermutlich schliefen seine Eltern bereits, denn das Drama, das sich nebenan abgespielt hatte, war verstummt. Schlurfenden Schrittes ging er in die Küche, um sich ein Glas Milch einzugießen, die seiner Schlaflosigkeit den Kampf ansagen sollte. Auf der Wohnzimmercouch lag ein dunkler Haufen, eingehüllt in dünnen Decken.

      „Haekwon?“, die zurückhaltende Stimme seines Vaters erklang. Die gleiche Stimme, mit der er Konferenzen abhielt und Untergebene zurechtwies. Haekwon fragte sich, wie Hee-Chul so weit aufsteigen konnte, als er seinen Vater in fast devoter Haltung auf der Couch liegen sah.

      „Ja“, erwiderte er nur, um einem längeren Gespräch zu entgehen.

      „Warum bist du so spät noch wach?“, fragte Hee-Chul.

      „Ich kann nicht schlafen.“

      Das Glas in der Hand fühlte sich noch kalt an, aber je länger sich das Gespräch mit seinem Alten hinziehen würde, desto größer war die Gefahr, dass der Inhalt seinen Weg in die Toilettenschüssel finden würde.

      „Und wieso schläfst du im Wohnzimmer?“

      Es glich einem Kraftakt, aber etwas unbeholfen schaffte es sein Vater, sich aufzurichten. Den Oberkörper nach vorne gebeugt saß er da. Die schlaffe Haut seiner Arme wurde von steifen Schenkeln flach gedrückt. Sorgenvoll raufte er sich die Haare, während er auf die bunten Muster des Teppichs blickte.

      „Deine Mutter“, fing er an. „Sie weiß manchmal nicht, was sie redet. Sie vertraut mir nicht.“

      Am liebsten hätte er Hee-Chul angeschrien und ihm gesagt, dass er Frau No einfach zum Teufel jagen soll, aber diesen inneren Drang, der seine Stimmbänder hochkroch, unterdrückte Haekwon.

      „Was ist das Problem?“, fragte er stattdessen wohlwissend.

      Hee-Chul atmete laut aus und blieb ihm die Antwort schuldig.

      „Wie läuft es in der Schule?“

      In der Dunkelheit stehend zuckte Haekwon mit den Schultern.

      „Du solltest dich wirklich mehr anstrengen. Nur weil ich gut verdiene, bedeutet das nicht, dass aus dir nichts Anständiges werden soll.“

      „Nächstes Jahr werde ich es bestimmt schaffen.“

      Nun richtete sich sein Vater ganz auf. Für einen Koreaner war er überdurchschnittlich groß. Die dunkle, hagere Silhouette näherte sich ihm.

      „Und jetzt geh schlafen. Du hast morgen Schule“, sagte Heechul, während er seinem Sohn beim Vorbeigehen auf die Schulter klopfte. Noch einige Zeit stand Haekwon in der Dunkelheit. Die seltenen Gespräche mit seinem Vater gingen ihm nahe, obwohl er sie meistens mied. Seifig fühlte sich die Milch an, die zähflüssig seine Speiseröhre runterlief. Das leere Glas stellte er auf den Wohnzimmertisch. Die Putzfrau würde es ohnehin am nächsten Tag wegräumen. Der einzige Ort, wo sie nicht hindurfte, war sein Zimmer, aber das hatte er der pummeligen Sunia vom ersten Tag an deutlich gemacht. Wenn sie ihm mit ihrem aufgedunsenen Gesicht fragend anblickte und dabei die ohnehin schon schmalen Augen zusammenkniff, musste Haekwon an eine Zucchini denken, die man mit dem Fingernagel eingedrückt hatte. Ansonsten mochte er Sunia sehr und scheute sich nicht, mit ihr bei einer heißen Schokolade in der Küche zu sitzen und ein Gespräch zu führen. Reality Chat.

      Browneyes55 würde sich heute nicht mehr zeigen, daher fiel es Haekwon nicht schwer, die Finger vom Laptop zu lassen. Manchmal fragte er sich ernsthaft, wie es ihm gehen würde, wenn seine Eltern nicht so nachsichtig mit ihm wären. Im Grunde seines Herzens fühlte er den Egoismus, der gelegentlich seinen Geist umklammerte. Ja, vielleicht sollte er sich wirklich mehr anstrengen.

      Browneyes55 war für ihn nicht nur ein angenehmer Gesprächspartner, sondern auch eine Fallstudie. Die andere Seite der Gesellschaft, das war es, was sein wahres Interesse weckte. In seiner Welt der verlogenen Menschen, die an den Strippen der Finanzen