Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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mit der Verwaltung des General-Gouverneurs in Kalkutta abgerechnet wurden. Eine Kopie hiervon müsste auch im Colonial Office in London, in der Registratur liegen, wenn die Buchhalter ordentlich arbeiten." Castlereagh trat ans Fenster: "Wir werden auf dem Weg nach Westminster also einen kurzen Halt in der Harley Street machen?" Wellesley nickte und beendete sein Frühstück.

      Vor der Eröffnung der Parlamentssitzung ergriff George Canning, William Cobbetts Arm und zog ihn in eine der zahlreichen, diskreten Fensternische von Westminster. Er zeigte ihm triumphierend Wellesleys Kopien der Bestellung von Ausrüstungsgegenständen für eine Schutztruppe in Oudh im Werte von exakt dreißig tausend Rupien. Dann händigte er dem Radikalen eine Liste der Registraturnummer für sämtliche Abrechnung im Archiv des Colonial Office aus. Castlereagh, Paget und Wellesley beobachteten aus der Ferne, wie sich das Gesicht des radikalen Abgeordneten schmerzhaft verzog. "Für dieses Mal wäre das Problem wohl erledigt, Arthur! Trotzdem wirst Du ernsthaft mit Deinem Bruder sprechen müssen, damit er sich in Zukunft nicht mehr in ähnliche Situationen hineinmanövriert. Es gehen schon genügend Gerücht um. Sein großzügiger Lebensstil in Kalkutta, die spektakulären Kleider und Juwelen, die Lady Mornington austrug, die Umbauten am Gouverneurspalast, der enormen Stab von Bediensteten, den er sich gehalten hat und …seine Gefälligkeit gegenüber verschiedenen Personen.....“ Arthur versprach Castlereagh, mit seinem Bruder zu sprechen, obwohl er wusste, dass ein solches Gespräch sinnlos war. Richard war verblendet und vom Ehrgeiz zerfressen. Seine Gier nach Geld und sein Streben nach Macht kannten keine Grenzen. Er war noch nie in seinem ganzen Leben von irgendjemandem in die Schranken gewiesen worden.

      Kapitel 8 Und England steht wieder alleine

      Ende September 1806 kehrte eine fröhliche und bereits ausgesprochen runde Kitty von ihren langen Ferien in Brighton zurück nach London. Arthur war froh, dass sie weder den Aufruhr um seinen Bruder Richard, noch seine langen, durcharbeiteten Nächte im War Office mitbekommen hatte. Die neuste Idee der Politiker war es, Napoleon Bonaparte durch eine zweite Front in Mexiko in die Enge zu treiben. Arthur empfand die Idee als haarsträubend und kaum umsetzbar. Trotzdem arbeitete er gehorsam alternative Operationspläne aus… und er hielt fleißig Kriegsrat mit mexikanischen Generälen, die die Engländer um Militärhilfe ersuchten.

      Als seine Frau zurückkehrte, überraschte er Kitty außerdem mit Familienzuwachs. Sie freuten sich, dass Arthurs Freunde aus indischen Tagen, Oberst John William Freese von der Madras-Artillerie und seine Frau Henrietta beschlossen hatten, ihren kleinen Jungen nach England zu schicken. Arthurs vierjähriges Patenkind sollte unter seiner und Kittys Obhut aufwachsen. Der Blondschopf war zwei Wochen zuvor angekommen und John Dunn hatte ihn in Portsmouth vom Schiff abgeholt. Arthur Freese war von der langen Reise natürlich sichtlich erschöpft gewesen. Doch die Fürsorge im Haus von General Wellesley verwandelte ihn rasch. Der alte John amüsierte ihn mit Ballspielen im Garten, die regelmäßig die Rosen in Mitleidenschaft zogen und zu Wutausbrüchen der Haushälterin führten. Arthur selbst, der Kinder über alles liebte, erzählte seinem Patensohn Geschichten oder ritt mit ihm im Park spazieren. Kitty ersetzte dem Kleinen bald schon die Mutter. Ihr eigener Zustand wurde von Dr.Lennox als ausgezeichnet beurteilt. Wellesleys Frau war im sechsten Monat schwanger, ausgeruht und wohlgenährt. Ihre Wangen waren rosig. Die Sonne und die gesunde Seeluft hatten ihr zu einem schönen, braunen Teint verholfen. Die dunkelbraunen Haare glänzten seidig. Auf den ersten Blick ähnelte sie wieder der alten Kitty aus Arthurs Jugendtagen am See von Coolure. Und die langen Gespräche mit Frederick Ponsonbys Schwester schienen ihr endlich auch die Angst vor der Geburt genommen zu haben.

      "Machen Sie sich keine Sorgen, Katherine. Ich kann schon fühlen wie das Baby sich bewegt." Sarah nahm Arthurs Hand und legte sie auf den Bauch seiner Frau: "Spürst Du, wie das kleine Wesen strampelt und tritt? Ich habe mit dem Stethoskop seine Herztöne hören können. Als alter, erfahrener Arzt prophezeie ich Euch beiden einen gesunden, kräftigen Sohn." Wellesley lächelte seine Frau an. Sarah hatte festgestellt, dass seine Augen nicht mehr ganz so kalt waren, wie damals im Hafen von Plymouth. Auch der kleine Arthur Freese bettelte jetzt, dass man ihn das Baby fühlen ließ. Sarah hob ihn auf ihr Knie. "Und wo ist der Storch?" erkundigte sich der Blondschopf neugierig. "Wer hat Dir denn diesen Unsinn erzählt, Junge?" Wellesley schüttelte ungläubig den Kopf. Doch Kitty legte den Finger auf die Lippen: "Arthur, er ist vielleicht noch ein bisschen zu jung um solche Dinge zu verstehen!" Sie nahm den kleinen Burschen in die Arme und trug ihn aus dem Zimmer um ihn ins Bett zu bringen. "Deine Frau hat Recht, mein Freund! Lasse Klein-Arthur noch ein paar Jahre seinen Glauben an den Storch, bevor Du ihm die ganze Wahrheit erzählst!"

      "Möchtest Du mit uns zu Abend essen, Sarah? Wir haben uns schon lange keine Zeit mehr genommen, in aller Ruhe miteinander zu plaudern." Dr.Lennox legte ihre Hände auf Arthurs Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen leichten Abschiedskuss auf die Wange. "Ich möchte Euch beide nicht stören. Katherine war sechs Wochen lang in Brighton. Sie ist sicher viel lieber mit Dir alleine. Ich bin wirklich froh, dass Ihr beide Euch trotz allem und entgegen Deiner eigenen Unkenrufe so gut versteht und ich freue mich schon auf den Augenblick, wenn ich Euren Kleinen entbinden darf. Das ist der befriedigendste Teil meiner Arbeit als Arzt. Deine Frau macht einen zarten und kränklichen Eindruck, aber eigentlich ist sie stark, wie ein Pferd. Das Baby wird einfach nur so heraus kullern." Sarah schmunzelte zufrieden und fügte hinzu." Wenn Ihr Euch ein bisschen anstrengt, werde ich in diesem Haus noch einigen kleinen Wellesleys auf die Welt helfen. Zumindest wünsche ich mir und Dir das von ganzem Herzen!" Sie rief Kitty einen Gruß in den ersten Stock hinauf zu. Dann verschwand Sarah in der Nacht. In den weniger vornehmen Vierteln Londons warteten noch viele, andere Patienten auf sie.

      Die Herbsttage verflossen angenehm. Arthur war inzwischen mit den Bräuchen und Traditionen des Unterhauses vertraut. Er und Henry Paget sprachen sich ab. Wenn militärische Fragen diskutiert wurden, vermittelten die beiden Soldaten der gesamten Kammer den Eindruck, dass es wenigstens in diesem Bereich zwischen Konservativen und Liberalen keine Zwistigkeiten gab. Henry Paget war der bessere Redner. Ihm fiel die Aufgabe zu Cobetts Radikale und andere widerspenstige Whigs mundtot zu machen. Arthur Wellesley leistete hinter den Kulissen die notwendige, beschwichtigende Überzeugungsarbeit bei allen Gruppierungen. Wenn im Parlament Fragen behandelt wurden, die weder mit der Außenpolitik noch mit militärischen Problemen zu tun hatten, ritt Arthur nach Hastings zu seiner Brigade. Anfangs begleitete Kitty ihn ab und an. Doch als ihr Bauch immer größer und runder wurde, verließ sie kaum noch Haus und Garten. Im Gedanken beschäftigte sie sich fast ausschließlich mit dem Kind, das in ihr heranwuchs. Ihre wenigen Hausangestellten umsorgten Kitty liebevoll. Und wenn der kleine Arthur Freese zu munter und zu umtriebig für sie wurde, kümmerte John Dunn sich um den Jungen und spielte mit ihm, bis er müde und brav war. “Wenn man ein Kind bekommt”, dachte Kitty, “dann hat man das Gefühl, der Mittelpunkt der Welt zu sein.” Arthur brachte ihr das Frühstück ans Bett, Sarah Lennox kam täglich vorbei, um nach ihr zu sehen und die Freunde der Wellesleys waren fast ständig um sie. Charlotte de Villiers und ihr Mann Henry Paget, Frederick Ponsonby und Rowland Hill vertrieben ihr die Zeit und erzählten ihr, was in London und in England vor sich ging. Nur manchmal spürte Kitty unbegründet Angst in sich aufsteigen. Sie erinnerte sich an ihre eigene Mutter, die Jahr für Jahr ein Kind geboren hatte. In Pakenham Hall hatte ihr damals nur die alte Dorfhebamme beigestanden. Sie hatten Kitty zwar aus dem Zimmer geschickt, aber immer noch klang ihr das Schreien und Wimmern ihrer Mutter in den Ohren. " Ich habe Angst.“ Sagte sie eines Tages zu Sarah, als die beiden im Salon Tee tranken. "Ich habe schreckliche Angst."

      "Unsinn, Katherine." Erwiderte Dr.Lennox energisch und stand auf um Kitty ein dickes Daunenpolster hinter den Rücken zu stopfen. Sie legte prüfend die Hand auf den hochgewölbten Bauch. Das Kind war sehr lebhaft und machte mit seinen Füßen einen seltsamen Buckel. "Das Kleine liegt richtig. Sie sind gesundheitlich in bester Verfassung und ich sehe keine Anzeichen für eine schwere Geburt!"

      "Oh Sarah! Ich erinnere mich mit Schrecken an jede Geburt, die meine Mutter in Irland durchmachen musste. Und bei der letzten Niederkunft wäre sie beinahe gestorben. Es war grauenvoll."

      "Das ist lange her, Katherine. Die Medizin hat große Fortschritte gemacht. Sie werden nicht einmal Schmerzen empfinden: Wir haben Laudanum, Instrumente für die Geburtshilfe und in