Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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leben.“

      Am 10.April 1806 wurden Kitty und Arthur in der St.George-Kirche in Dublin im engsten Familienkreis getraut. An diesem Frühlingsmorgen im April schien hell die Sonne, unter ihren Strahlen glänzten die Türme der kleinen Kirche und die schmalen, gotischen Fenster. Henry Lord Paget hatte es gerade noch geschafft, im letzten Moment gemeinsam mit Rowland Hill aus London nach Dublin zu kommen. Damit hatte auch Arthur seine Trauzeugen. Für alle Außenstehenden schien es, als ob diese Hochzeit das glückliche Ende einer langen, traurigen Geschichte war. Nach der Trauung ging es zu einem traditionellen, irischen Frühstück in den Garten von Geralds Pfarrhaus. Das Frühstück verlängerte sich nach alter Sitte bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages und verdarb damit den Neuvermählten ebenso traditionell die Hochzeitsnacht. Robert Lord Longford war erleichtert gewesen, als seine Schwester ihre Unterschrift neben die von Sir Arthur Wellesley ins Kirchenregister gesetzt hatte. Arthur selbst stellte sich in dem Augenblick, in dem er die selbstzufriedene Miene seines brandneuen Schwagers bemerkte in seinem Inneren die Frage, ob er gerade die größte Dummheit seines Lebens begangen hatte, oder ob es richtig gewesen war, sein im jugendlichen Leichtsinn gegebenes Verspechen zu halten. Er hatte aus reinem Pflichtgefühl heraus eine Frau geheiratet, die er nicht mehr kannte, von der er nichts wusste und für die er, außer Mitleid nichts empfand. Sie war nicht mehr dieselbe umtriebige, fröhliche und lebenslustige Katherine Pakenham, der er im jugendlichen Übermut, mit neunzehn Jahren einen Antrag gemacht hatte und die er als junger Mann geliebt hatte. Und er war nicht mehr dieser weltfremde, verträumte und unerfahrene Junge, der im Mondschein an einem See Gedichte vorlas oder händchenhaltend in einer Gartenlaube sein Mädchen anschmachtete. Arthur hatte in zehn Jahren Krieg ausreichend Gespenster gesammelt, um selbst dem Henker von London Angst zu machen. Vieles, was er in Indien gesehen und getan hatte, hatte er nicht verdaute. Er vermied er es, sogar mit Menschen denen er vollkommen vertraute, über diese Dinge zu reden. Sie waren sein Geheimnis und würden es bleiben. Doch sein Verstand sagte ihm, dass er in dieser ganzen seltsamen Geschichte um die Heirat mit Kitty nicht der Einzige war, der Dinge verschwieg und er fühlte, dass die Geheimniskrämerei der Longfords oder auch die seines Bruders Gerald nicht durch Albträume und das berüchtigte „Soldatenherz“ erklärt wurden.

      Da sein Urlaub bald zu Ende ging und Arthur auch wegen der Parlamentseröffnung nach England zurück musste, schlug er Kitty vor, gleich aus Irland aufzubrechen. In London blieben ihnen dann noch genügend freie Tage, um sich gemeinsam eine schöne Zeit zu machen und vielleicht, um das Haus in der Harley Street einzurichten. Sie stimmte sofort zu und schien erleichtert, schneller als erwartet, ihrer Familie, Dublin und der grünen Insel den Rücken zu kehren. Zwei Tage später standen beide, zusammen mit Paget und Hill, an der Reling des Postschiffes von Dublin nach Liverpool. Der Wind kam von Achtern, so dass die Überfahrt schnell verlief. Kitty schien noch völlig ihren Emotionen hingegeben und Arthur hatte das Gefühl, dass wenigstens sie voll und ganz hinter ihrer Verbindung stand. Mit der Unterschrift in das Dubliner Kirchenregister, hatte sie die Vormundschaft ihres Bruders endlich abgeschüttelt. Sie lächelte, war unbeschwert und freute sich so auf das gemeinsame Haus in London, dass Arthur die grauen Strähnen im Haar seiner Frau plötzlich nicht mehr bemerkte. "Warum hast Du mir während all dieser langen Jahre eigentlich nie nach Indien geschrieben, Katherine?", fragte er sie. Er hatte einen Arm um Kittys Schultern gelegt und beide sahen zusammen auf die See hinaus. "Ich habe jeden Tag in diesen langen Jahren an Dich gedacht, Arthur! Als mein Vater damals verbot, dass wir heiraten und man Dich aus Pakenham Hall fortgejagte hatte, bin ich sehr krank geworden. Danach fand ich einfach keine Kraft mehr, mit meiner Familie zu streiten. Ich konnte nur noch im Gedanken bei Dir sein und alle anderen Heiratskandidaten, die man mir vorstellte vergraulen, indem ich mich in eine graue Maus verwandelte und sie zu Tode langweilte."

      "Warum hat Dein Bruder dann den ersten Brief an mich geschrieben und nicht Du selbst, als nach meiner Rückkehr aus Indien klar war, dass ich vielleicht doch kein hoffnungsloser Nichtsnutz war?"

      " Arthur, ich wusste überhaupt nicht, dass Du aus Indien zurückgekehrt bist. Ich habe die letzten dreizehn Jahre draußen in Coolure und Pakenham Hall gelebt. Außer meiner Mutter, meiner Tante, den Nachbarn und dem Pfarrer habe ich niemanden gesehen. Mein Bruder Robert hat es durch Zufall von Deinem Bruder Mornington erfahren, als dieser Ende letzten Jahres in Dublin war. Ich hatte keine Ahnung…" Wellesley lächelte seine Frau an. Sie hatte sich heute mit großer Sorgfalt gekleidet und schien ihre unmöglichen, formlosen Musseline-Kleider zusammen mit ihrer boshaften, alten Tante, ihrem hinterhältigen Bruder und ihrer tristen Vergangenheit in Dublin zurückgelassen zu haben. Sie trug einen schmalen orangefarbenen Samtrock und eine enge, bestickte Weste in der gleichen Farbe. Ihre Haare hatte sie locker geflochten und ein gleichfarbiges Band hielt den schweren Zopf zusammen. Sein Blick ruhte lange auf ihr und sie überstand seine Musterung mit Anstand und mehr Selbstbewusstsein, als er ihr eigentlich zugetraut hatte. "Ich bin sehr glücklich, dass Du doch noch zurückgekommen bist. Du hast mir schrecklich gefehlt, Arthur! ", sagte sie.

      " Ich hoffe für Dich, dass Du keinen Fremden geheiratet hast, Kitty! Es war eine endlos lange Zeit. Wir haben uns beide sehr verändert. Vielleicht bin ich ja inzwischen ein eingefleischter, alter Junggeselle, mit dem nicht mehr viel anzufangen ist und der jeden Abend über seiner Ausgabe der Times einschläft." Kitty schüttelte energisch den Kopf: "Solche unwichtigen Kleinigkeiten zählen überhaupt nicht, mein Lieber. Ich spüre genau, dass Du in Deinem Inneren immer noch genau Derselbe bist, wie damals im Garten von Onkel Tom. Du hast mir immer so wunderbare Gedichte vorgelesen und für mich so schöne Melodien auf Deiner Geige gespielt...Oh, ich hoffe, dass wir uns nie wieder trennen müssen!"

      "Du bist Dir aber darüber im Klaren, dass Du einen Berufssoldaten geheiratet hast, Kitty." Arthur wusste, dass er nichts mehr mit dem verträumten romantischen, jungen Hauptmann gemein hatte, der unbeschwert im einem Garten, an einem See Gedichte vorlas oder seine Zeit mit Geigespielen verschwendete. Seine Augen hatten zu viel gesehen. Er hatte zu viel erlebt. Grauen, Angst, Tod, Verwüstung, Gewalt, Blut und Schmerzen! Er hatte Männern das Leben genommen, um sein Eigenes zu retten und manchmal auch nur, weil es opportun war, oder leichter, als sie zu verschonen. Um an den Schrecken des Krieges nicht zu zerbrechen, hatte er um sein Innerstes einen hohen Schutzwall errichtet.

      "Aber Du hast doch nur ein Kommando in Hastings“, wiegelte Kitty das Problem ab, „ und Hastings ist wirklich nicht weit weg von London. Ein oder zwei Tage werde ich schon ohne Dich zurechtkommen…auch wenn es sicher schwer sein wird. Dein Krieg ist doch vorbei, jetzt wo dieser verrückte Pitt tot ist und die Russen und Österreicher endlich mit Frankreich Frieden geschlossen haben!" Arthur beschloss Kitty vorerst nicht zu widersprechen und das Thema erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Er war sich sicher, dass sie mit der Zeit begreifen würde, dass Soldaten oftmals lange von zuhause fort waren und manche von ihnen nie wieder zurückkehrten. Doch Napoleon Bonaparte und Frankreichs expansive Politik waren kein angebrachtes Gesprächsthema während einer Hochzeitsreise. Darum erzählte er ihr lieber von dem kleinen Haus in London, das er für sie gekauft hatte: " Unser Haus steht mitten in dem Viertel Londons, in dem auch die meisten der französischen Emigranten leben. Es ist dort viel bunter und die Menschen sind lebendiger und herzlicher, als im West End. Wenn Du morgens in den Garten gehst, hast Du das Gefühl mitten in Paris zu stehen“, dank seiner glücklichen Zeit an der Militärakademie von Angers hatte Arthur trotz der etwas schwierigen politischen Situation eine große Schwäche für alles Französische,“ und sämtliche Nachbarn schnattern auf Französisch miteinander. Sogar der Bäcker an der Ecke verkauft französisches Brot und Croissants. Im Garten stehen große, alte Rosenstöcke und ein Kirschbaum. Aber alles ist innen noch leer, damit Du Dich ganz nach Deinem Geschmack einrichten kannst."

      Eine Woche später waren beide in London. Obwohl das kleine Haus außer seinem blühenden Garten und einem vorerst notdürftig eingerichteten Schlafzimmer nicht viel zu bieten hatte, schien Kitty glücklich. Sie hatte Arthurs Vorschlag, ein paar Tage noch bei Freunden oder den Wellesley-Poles zu wohnen geradeheraus abgelehnt. Zu Fuß eilte sie in einen kleinen Laden am Ende der Harley Street um Brot, Obst und Schinken zu kaufen und schickte Arthur los, um eine Flasche Wein zu besorgen. Über die große Dokumententruhe des Generals, hatte sie ein weißes Leintuch gelegt und im Garten Rosen abgeschnitten und zu einem kleinen Strauß gebunden. Irgendwo fand sie sogar ein paar Kerzen. Sie aßen auf dem Boden sitzend zu Abend: " Arthur, ich bin ja so froh, endlich mit Dir alleine zu sein.