Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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Frederick von York, der jüngere Sohn des alten Knobbs machte den Verschwörern ein wenig Hoffnung. Obwohl er dem Prinzen von Wales, was die Laster anbetraf, in nichts nachstand, war er ein fähiger Verwalter und machte seine Arbeit als Oberkommandierender der Streitkräfte ordentlich. Seine vielen privaten Skandale beeinflussten seine Amtsgeschäfte scheinbar nicht. Und Henry Pagets Vater Lord Uxbridge verfügte über Informationen, mit deren Hilfe sie Frederick von York im Notfall zwingen würden, im Sinne der Verschwörer zu handeln. In dieser Zeit der Krise konnten nur noch alle über die üblichen Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten, um das Schlimmste zu verhindern. Während der gesamten, im gleichmäßigen Trab zurückgelegten Strecke vom Carlton nach Richmond Palace, dachte Arthur sich immer neue Mittel und Wege aus, das Angebot seiner Freimaurerbrüder, in die Politik einzusteigen, zurückzuweisen. Jeder beliebige andere, halbwegs kompetente Offizier könnte im Unterhaus genau die gleiche Rolle spielen, die man ihm zudachte. Man war doch sicher in der Lage einen zuverlässigen Mann zu finden, der in den letzten zehn Jahren die Entwicklungen in England und Europa vor Ort miterlebt hatte. Doch konnte er sich aus der Verantwortung ziehen, wenn es um seine Heimat ging. Konnte er den Schwur brüderlicher Solidarität verleugnen, den er vor langer Zeit in Irland einmal geleistet hatte. Der alte Buckingham und Lord Uxbridge hatten seine schwache Stelle getroffen. Arthur war ein glühender Patriot und bereit, für sein Vaterland alles zu tun, sogar über seinen eigenen Schatten springen. Und er hatte noch nie in seinem Leben einen Schwur gebrochen.

      Als er in Richtung West End bei Court Road um die Ecke bog, kam ihm ein hoch aufgeschossener, magerer Straßensänger entgegen. Sein trällernder Singsang erzählte in simplen Reimen von einer jungen Frau, die sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Liebsten aus dem Krieg wartete. Wenige Meter weiter, blieb der Sänger stehen. Sogleich scharten sich Passanten um ihn, die den Rest der Geschichte mitbekommen wollten. Arthur hielt sein Pferd an und hörte dem Mann müßig zu. Jemand warf dem Sänger ein paar Pennys hin. Ein Gemüsehändler, der seinen Karren mitten auf der Straße schob, pries brüllend seine Waren an. Von der Whitefield Road humpelte ein Krüppel mit einem Korb voll Streichholzschachteln herbei. Es hatte wenig Sinn, die Pflastersteine platt zu stehen. Kurz entschlossen setzte der Offizier sein Pferd in Bewegung und ritt an die Themse zurück. Es war fünf Uhr morgens und London erwachte zum Leben. Richmond Palace lag noch im Dunkeln. Nur in der Küche brannte Licht. Sarah war vermutlich gerade dabei, zu frühstücken, um sich auf den Weg in ihr Krankenhaus zu machen. Arthur versorgte zuerst sein Pferd, dann stieg er die Stufen des Hintereingangs hinauf. Miss Baxter, die dralle Haushälterin der Richmonds öffnete ihm die Tür und machte angesichts seiner abgekämpften Erscheinung riesengroße Augen: "Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht, Sir Arthur! Und der Herzog ist auch noch nicht zu Hause. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan." Gehorsam folgte Arthur, Miss Baxter in die warme Küche, die in hellen freundlichen Farben gehalten war und aus der es verführerisch duftete. Sorgfältig arrangierte Strohblumensträuße aus Rosen und weißen Astern standen auf den Fensterbänken. Entlang der Wände hingen blank gescheuerte Pfannen und Töpfe aus Messing. Sarah saß auf einer hölzernen Eckbank mit blau-weißen Kissen und hielt eine große Tasse Kaffee in der Hand. Vor ihr lag die Times aufgeschlagen:" Sieh an, der Streuner ist wieder zurückgekehrt. Hast Du Papa mitgebracht?“

      "Charles sitzt noch mit Bucky und dem Rest der Bande im Hilton!"

      "Ah, die Verschwörer sind unter sich. Haben sie Dich in ihren erlauchten Kreis aufgenommen?"

      "Eher mit der Pistole im Rücken hineingestoßen, Sarah!" Miss Baxter stellte einen großen Teller mit Rühreiern und Toast und eine Tasse vor Arthur. Sarah schenkte ihm Kaffee und Milch ein:"Und wie stehen die Aktien heute, Sepoy-General? Unterhaus ja oder nein ? "

      "Ja ! Aber zum Teufel, warum ausgerechnet ich? Einen schlechteren Redner hätten die Herren sich wirklich nicht aussuchen können. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, von dem, was heute hier in England Tagesordnung ist. Während meiner zehn Jahre in Indien muss ich Einiges verschlafen haben."

      "Mein lieber Freund, deswegen bist Du ja so interessant. Du wirkst, wie eine überparteiliche Stimme der Vernunft. Ein Mann der Fakten, kein verrückter Traumtänzer.", frotzelte ihn Sarah. Ihre Augen blitzten vergnügt: "Was haben die mächtigen, alten Männer Dir denn für Deine Hilfe versprochen, Arthur?" Der General hob sarkastisch die Brauen, sagte aber nichts. "Es steckt also mehr dahinter. Du hast einen heiligen Eid geschworen und darfst mir nichts verraten.", fuhr die junge Frau amüsiert fort. Arthur fiel es zunehmend schwerer, sich zurückzuhalten und Sarah nichts von dem verführerischen Angebot des Oberkommandos über ein Expeditionskorps auf den europäischen Kontinent zu erzählen. "Lasse mich einfach Zwei und Zwei zusammenzählen, Sepoy-General! Die alten Knaben bieten Dir etwas an, das Du trotz aller Unbestechlichkeit und Ehrbarkeit unmöglich zurückweisen kannst!"

      "Verdammt“, fluchte Arthur leise, “man bietet mir einen wunderschönen Soldaten-Traum an. Doch ich glaube nicht, dass er jemals Wirklichkeit werden wird."

      "Das Kommando über ein britisches Expeditionskorps gegen den Korsen?", platzte Sarah enthusiastisch heraus Arthur nickte ihr zu. "So, jetzt hau ich mich ein paar Stunden aufs Ohr."

      Arthur wollte gerade die Küche verlassen, als der alte John Dunn hereinkam. Er hielt seinem General einen Umschlag hin: "Sir, das ist gestern Abend hier für Sie abgegeben worden." Der Brief kam aus Irland. Lord Longford, der Bruder von Miss Katherine Pakenham erinnerte General Sir Arthur Wellesley höflich aber sehr bestimmt daran, dass er im Februar des Jahres1793 einmal um die Hand der Schwester angehalten habe und selbige würde aus eben diesem Grund immer noch sämtliche anderen Heiratsanträge ablehnen. Natürlich brachte dies die Familie Longford in eine äußerst peinliche Situation, denn man fand sich mit der immer noch unverheirateten Katherine wieder. Da General Wellesley es nun ja endlich zu Rang und Titel gebracht habe und offensichtlich auch mit reichlich Preisgeld aus Indien zurückgekehrt sei, machte es ihn -im Gegensatz zum Februar 1793 - jetzt zu einem akzeptablen Heiratskandidaten für Katherine und Lord Longford erwartete nun, dass Sir Arthur sie heiraten, so wie er es 1793 ja vorgehabt hatte.

      "Gütiger Himmel“, stöhnte Arthur nach der unangenehmen Lektüre, “ich erinnere mich gar nicht mehr an das Mädchen!“ Er hielt Sarah und John Dunn den Brief unter die Nase. Seit seiner Abreise nach Indien hatte diese Miss Katherine Pakenham ihm nicht ein einziges Mal geschrieben, genauso wenig wie ihr Bruder Lord Longford. Sarah fingerte ihre Lesebrille aus der tiefen Rocktasche. Laut las sie den unerwarteten Brief an Arthur noch einmal allen Anwesenden vor und schüttelte dann energisch den Kopf. "Vorsicht, alter Freund! Solche Briefe schreibt man weder aus Liebe noch aus verzehrender Sehnsucht! Da hat irgendjemand mitbekommen, dass Du Indien nicht mit leeren Taschen verlassen hast und immer noch ledig bist. Das macht Dich folglich zu einer richtig guten Partie, bei der man kräftig abzocken kann. Das alte Mädchen ist vermutlich absolut unmöglich und die Familie versucht verzweifelt, sie an den letzten, möglichen Heiratskandidaten loszuwerden. Wie beim Pferdekauf: sieh genau hin, bevor Du den Handschlag gibst. Ob das Tier lahmt, merkt man erst beim Reiten." Auch John Dunn war icht begeistert. Miss Pakenham hatte vor zwölf Jahren die geradezu panische Flucht seines Herrn ans andere Ende der Welt ausgelöst. Er erinnerte sich noch lebhaft, wie kreuzunglücklich der junge Offizier damals gewesen war und wie lange er gebraucht hatte, die rüde Abfuhr von Lord Longford zu verdauen. Der alte Mann murmelte ein paar gälische Sätze und verzog sich zu Fanny Baxter hinter den Herd." Was sagten Sie, John?" Der General sah zu seinem alten Sergeanten hinüber. "Sir Arthur, seien Sie bloß vorsichtig. Lady Sarah hat Recht! Dieser Brief stinkt zum Himmel!" Wellesley faltete das Papier missmutig zusammen und steckte es in eine Rocktasche. Er hatte 1793 in einem Anfall jugendlichen Leichtsinns ein ziemlich dummes Versprechen gegeben. Heute war er als Offizier und Gentleman allerdings immer noch verpflichtet, es einzuhalten und zu seinem einst gegebenen Wort zu stehen. Ob ihm dies nun gefiel oder nicht. Und sein braver John konnte lange gälische Flüche ausstoßen. Die würden ihm aus diesem Schlamassel auch nicht heraushelfen. “Sarah, ich muss wohl oder übel nach Irland fahren. Einen anderen Ausweg sehe ich leider nicht! Ich habe vor langer Zeit einmal Lord Longford um die Hand seiner Schwester gebeten. Jetzt erinnert Longford mich schriftlich daran. Wenn ich nicht all meine Prinzipien über den Haufen werfen will, muss ich zu meinem Wort stehen. Und schlimmer, als das Angebot an heiratsfähigen Damen hier in London, kann Katherine eigentlich auch nicht sein."

      "Arthur, was hättest