Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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      Sarah war glücklich, Arthur wiederzusehen. Auch Hill schloss sie sofort ins Herz. Da sowohl der eine, als auch der andere alle Zeit der Welt zu haben schienen, schleppte die Herzogin die zwei Soldaten kreuz und quer durch das Londoner Gesellschaftsleben; sehr zum Vergnügen ihrer ältesten Tochter, die beide oft begleitete. Hill hatte eine religiöse und karitative Ader, die der von Sarah nicht unähnlich war und er wollte unbedingt ihr Krankenhaus in Lambeth ansehen: Seit er auf dem Ägypten-Feldzug am eigenen Leib die Unzulänglichkeiten des medizinischen Dienstes der Armee zu spüren bekommen hatte, waren Reformen in diesem Bereich sein ganz persönliches Steckenpferd. Seinen Vater, ein politisches Schwergewicht im Oberhaus und seinen Onkel, einen landesweit geachteten und geschätzten Geistlichen der anglikanischen Kirche, hatte er bereits erfolgreich eingespannt, ihm zu helfen. Nun war es ihm auch noch gelungen, Sarah zu verpflichten. Er wollte ein Memorandum für das britische Oberkommando verfassen, in dem er eine Verbesserung der Feldlazarette und des Sanitätsdienstes vorschlug.

      Während Rowland und Sarah die Köpfe zusammensteckten, hatte Arthur sich mit ihrem Vater in dessen Arbeitszimmer eingeschlossen: „Charles, ich habe mir während der langweiligen Wochen in Hamburg ein paar Dinge durch den Kopf gehen lassen.“, eröffnete Arthur das Gespräch. Das Thema behagte ihm nicht. Richmond schmunzelte. Seine Augen blitzten übermütig. Er hatte vor einem viertel Jahrhundert in einer ähnlichen Zwickmühle gesessen, wie Arthur: “Zuerst Castlereagh und dann Pitt! Beide drängeln, Du sollst in die Politik einsteigen! Und nun hast Du fernab Deines kleinen indischen Paradieses Mysore gesehen, wie es wirklich um die britischen Landstreitkräfte steht und Du hast beschlossen, für König und Vaterland dem Drängeln nachzugeben?“ Der Herzog konnte in Arthurs unruhigen Augen und seiner nervösen Stimme lesen, wie in einem offenen Buch. Der nickte betreten. Er fühlte sich, wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank. In Indien hatte er gegen die Politik im Allgemeinen eine tiefe Abneigung entwickelt: “Also, es passt mir überhaupt nicht Charles, aber Austerlitz“, setzte er an, “ hat bewiesen, wie teuflisch gut Bonaparte als Kriegsherr ist. Im gleichen Augenblick haben wir im Hannoverschen ganz Europa wieder einmal bewiesen, wie perfide Albion sein kann. Also, man munkelt nicht nur hinter unserem Rücken darüber: Die roten Röcke des Königs marschieren immer nur dann energisch los, wenn eine unserer großen britischen Handelsgesellschaften irgendwo am anderen Ende der Welt Ärger mit dem Preis für Rohseide hat, oder sich der Tee nicht mehr teuer genug verkauft.“ Der Herzog von Richmond grinste. Er kannte sich mit den Männern im roten Rock immer noch gut aus, obwohl er vor rund fünfundzwanzig sein eigenes Schwert an den Nagel gehängt hatte. Er war damals etwas jünger gewesen, als Arthur. „Charles“, seufzte der mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme, “ich...wir...können doch nicht dauernd bloß unsere Knochen für John Company und diese verdammten Geldhaie aus der Leadenhall Street hinhalten. Es geht um unser Land, um unsere Heimat, um unsere Werte!“, sprudelte es ungehalten aus ihm heraus.

      “Versuch einfach einmal für fünf Minuten Deinen jugendlichen Enthusiasmus zu zügeln und mir aufmerksam zuzuhören, mein lieber Arthur.“, schmunzelte Richmond, “So lange der gute Grenville Premierminister ist wird man genau nach diesem Prinzip weitermachen: Marschieren, wenn John Company ruft! Aber diese Regierung wird kein langes Leben haben!“ Die Krone hatte nach William Pitts überraschendem Tod einen Mann in die Downing Street geholt, der vom Zeitgeist der liberalen Partei besessen war. Für ihn existierten nur zwei Dinge von Bedeutung. Lord Grenville war einmal davon überzeugt, dass alleine die See der Schlüssel zu Großbritanniens wirtschaftlicher und politischer Macht war. Und zweitens war er sicher, dass die Royal Navy alleine völlig ausreichte, um Englands Platz im Konzert der europäischen Großmächte zu sichern. Richmond fand, dass Grenville nicht nur vernagelt, sondern auch ziemlich kurzsichtig war: Solange es Napoleon Bonaparte gelang, Hand an alle Häfen auf dem Kontinent zu legen, konnte Grenvilles schöne Marine gar nichts tun und die riesige britische Handelsflotte mit den schönen Waren aus aller Welt lag in Portsmouth, Cardiff oder Sheerness fest. Den Faktor, der die Häfen auf dem Kontinent unter Umständen wieder für sie öffnen konnte - die Landstreitkräfte - betrachtete der aktuelle Premierminister lediglich als eine fette, hungrige und völlig überflüssige Laus, die nur Geld aus dem Staatssäckel saugte. „Ich hab es nicht sonderlich eilig mit der verdammten Politik!“, Arthurs Erleichterung war deutlich hörbar, “Lasse mich wissen, wenn es an der Zeit ist, sich in den Rachen des Löwen zu werfen und sich um diesen berüchtigten Sitz im Unterhaus zu bewerben.“ Richmond nickte. Die Tories waren sich durchaus darüber im Klaren, dass dieser Sepoy-General Arthur Wellesley kein Politiker im klassischen Sinne war. Es würde zwecklos sein, auch nur den Versuch zu unternehmen, ihn der üblichen Parteidisziplin zu unterwerfen oder sonst wie Druck auf ihn auszuüben. Man erwartete lediglich, dass er in militärischen Angelegenheiten zwischen Konservativen und Liberalen vermittelte, um es endlich möglich zu machen, die Truppenstärke der Landstreitkräfte zu erhöhen, Gelder für ihre Ausrüstung zu bekommen und ernsthaft über eine Intervention auf dem Kontinent nachzudenken. In Anbetracht der ständig wachsenden Bedrohung durch Napoleon war Eile angesagt. Aber ohne Wellesley im Unterhaus hatte die Armee schlechte Karten. Die Marine wurde von liberalen Kräften dominiert. Sie war durch Nelsons beeindruckende Erfolge in ihrer Position so gestärkt, dass sie alleine fast das gesamte Militärbudget verschlang. Die Landstreitkräfte waren in sich gespalten und in ihrer Führung völlig überaltert. Die wenigen Einsätze, die die Rotröcke des Königs in den letzten Jahren auf dem Kontinent und in den amerikanischen Kolonien gesehen hatten waren Fehlschläge gewesen. Einzig Arthur Wellesleys Siegesserie in Indien hob sich positiv in diesem umfassenden Desaster ab. "Arthur, ich möchte Dich um etwas bitten", Richmond drehte dem General den Rücken zu und sah auf die Themse, "Dein Bruder ist aus Indien zurückgekehrt und seine Karten stehen schlecht. Er sich unmöglich benommen und mit tückischen Winkelzügen versucht, die konservative Partei zu erpressen. Er hat außerdem versucht, uns zu benutzen um den Untersuchungsausschuss auszusetzen. Du solltest auch wissen, dass er versucht, sich völlig skrupellos Deiner zu bedienen, um bei allen Beteiligten Druck zu machen." Arthurs Gesicht verzog sich ungehalten. Er hatte die Nase von dieser Geheimniskrämerei um Mornington und Indien gestrichen voll. "Charles, das war noch so ein Punkt, den ich Dir und Deinen Tory-Freunden zur Bedingung machen wollte: Ich werde mich so um meinen Bruder kümmern, wie ich es für richtig halte! Wenn Du, oder die Konservativen, oder die Freimaurerbrüder in irgendeiner Art versuchen sollten, mich davon abzuhalten, dann könnt ihr euch umgehend eine andere Marionette fürs Unterhaus suchen!" Wellesley hatte Richmond so scharf angefahren, dass dieser sich erstaunt umdrehte:" Arthur, tue nicht diesen Schritt aus falscher Loyalität oder Dankbarkeit für Dein erstes, eigenständiges Kommando! Du hast heute keinen einzigen Feind auf dieser Insel; weder bei den Konservativen, noch bei den Liberalen. Die Ostindienkompanie kannst Du als Deine Verbündete betrachten, denn Deine militärischen Erfolge haben ihr Handelsmonopol so ausgeweitet, dass diese Blutsauger Dir schon fast dankbar sind. Du weißt doch nicht einmal warum sie sich mit Richard zanken und es ist vielleicht sogar besser wenn Du es nie erfährst. Also, mische Dich nicht ein. Ich gebe Dir diesen Rat nicht als Führer der konservativen Partei und auch nicht als Freimaurerbruder. Ich gebe Dir diesen Rat als ein Freund."

      Arthur setzte sich in einen Sessel in der Ecke des Arbeitszimmers und stützte seinen Kopf auf die Hände. Lange fixierte er das Muster des Teppichs zu seinen Füßen, ohne ein Wort zu erwidern. Er ließ sich Richmonds Aussagen durch den Kopf gehen. Und er versuchte sie in Übereinstimmung mit seinen eigenen Informationen über Morningtons indische Verwaltung zu bringen. Dem zum Trotz: Richard war sein Bruder. In ihren Adern floss das gleiche Blut. Aus diesem Grund war es seine Pflicht, ihm gegenüber loyal sein, ob er ihn nun mochte, oder nicht. Richard war aber auch der Gouverneur gewesen unter dem Arthur in Indien gedient hatte und unter dessen Verwaltung er das Land hatte aufblühen sehen. Darum wollte er für ihn sprechen. Kalkutta war neun Monate Seeweg von London entfernt und nur ein Mann, der vor Ort gewesen war, konnte in den Augen des Generals verschiedene Handlungsweisen begründen, die den Aktionären der Ostindienkompanie, die in London saßen, aus der Ferne schleierhaft erscheinen mussten. Was konnte sein ältester Bruder nur getan haben, um sich so mächtige Feinde geschaffen zu haben, die ihn mit allen Mitteln politisch und gesellschaftlich zu Fall bringen wollten? Was hatte er selbst in Indien nur angestellt, dass zwei konkurrierende Parteien, die sich nie einig waren, versuchten ihn gemeinsam, mit aller Gewalt und fast schon gegen seinen eigenen Willen zu beschützen und aus dem Konflikt zwischen Mornington und der Ostindischen Kompanie herauszuhalten?