Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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trieb Arthur den kalten Schweiß auf die Stirn. Er erinnerte sich plötzlich wieder gut an sie, obwohl die Jahre sie nicht verschont hatten: Katherines Großtante Elizabeth! Ihre Augen waren erschreckend durchdringend und ein unheimliches Feuer schien in ihnen zu brennen. Sie war ihm offensichtlich immer noch genauso feindlich gesinnt, wie damals, denn sie betrachtete ihn unter ihrem biederen Witwenhäubchen und den grauen Korkenzieherlocken, wie ein besonders ekelhaftes Insekt, dass sie am liebsten zertreten würde.

      "General Wellesley.“ Longford begrüßte ihn nicht mit Handschlag sondern mit einem herablassenden Kopfnicken. Dann kam er ohne Umschweife zur Sache: “ Seit unserem letzten Zusammentreffen hat Ihre Situation sich in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eher gebessert. Aus diesem Grund ist meine jüngere Schwester erfreut darüber, dass Sie nach fast eineinhalb Jahrzehnten endlich in der Lage sind, ordentlich und in aller Form um ihre Hand anzuhalten."

      Arthur wich entsetzt einen Schritt zurück: "Sir, ich würde Ihre Schwester gerne persönlich fragen, ob Sie nach einer so langen Zeit der Trennung sicher ist, dass sie meine Frau werden möchte."

      Longford wimmelte Arthur ab und überrollte ihn: "General, meine Schwester ist sicher und was wesentlich wichtiger ist, ich bin mir sicher, dass diese Ehe die beste Lösung für unsere beiden Familien ist." Arthur fing an, leise zu kochen: "Bei allem nötigen Respekt, Longford“ sagte er, “Ihre Schwester Katherine und ich, wir sind beide erwachsene Menschen! Ich möchte sie gerne sehen und alleine mit ihr sprechen." Arthur war höflich geblieben, doch der Unterton seiner Stimme bedeutete dem Gegenüber, dass kein Widerspruch geduldet wurde. Robert Lord Longford erkannte, dass er keinen verschüchterten Jungen mehr vor sich hatte, wie im Jahr 1793 sondern einen harten, unbeugsamen Mann, der gewohnt war, zu befehlen. Sein übergroßer Mund wurde schmal. Longford war leicht erregbarer Mensch und anderen Menschen gegenüber für gewöhnlich rücksichtslos und rüpelhaft Sowohl in der Politik, als auch im gesellschaftlichen Leben verfolgte der irische Aristokrat ehrgeizige Ziele. Er besaß sehr viel Land und noch mehr Geld. Doch seine unverheiratete Schwester Katherine behinderte ihn schon seit vielen Jahren an der Umsetzung seiner Pläne. Er versuchte schon seit ewigen Zeiten, sie an irgendjemanden zu verheiraten, der drüben in England und vor allem in der Londoner politischen Szene Einfluss hatte, um endlich selbst den Sprung nach London machen zu können. Doch niemand der Longfords Anforderungsprofil entsprach wollte Kitty. Nicht einmal die opulenteste Mitgift konnte sie wenigstens halbwegs attraktiv machen. Seine jüngere Schwester war ein echtes Problem. Als er zufällig von der Rückkehr der drei Wellesley-Brüder aus Indien hörte, erinnerte sich Longford plötzlich an den erfolglosen Heiratsantrag zurück, den ein bettelarmer, abgerissener Soldat Kitty im Jahr 1793 gemacht hatte. Wenn es ihm gelang, diesen Mann so in die Ecke zu drängen, dass er seinen uralten Antrag wiederholte, dann konnte er endlich den Schleider des Vergessens über einen gewaltigen Haufen Ärger, Sorgen und ungute Gefühle werfen. Aus dem abgerissenen Rotrock von 1793 war zwischenzeitlich ein akzeptabler General geworden…und Sir Arthur Wellesley war seine allerletzte Chance, Kitty loszuwerden. Sobald sein Mühlstein Sir Arthurs Mühlstein geworden war, würde er mit dessen lebhaften und hoch ambitionierten ältesten Bruder Lord Mornington ins Geschäft kommen können. Er hatte die finanziellen Mittel, während Mornington die Kontakte in London und in entsprechenden politischen Kreisen hatte…: "Tante Elisabeth“, sagte er plötzlich mit honigsüßer Stimme, “ wären Sie so freundlich, meine Schwester zu holen.“

      Die alte Frau kehrte kurze Zeit später mit ihrer Nichte zurück. Als Arthur seine ehemalige Jugendliebe wiedersah, konnte er nur mit größter Mühe die herbe Enttäuschung verbergen. Vor ihm stand eine verblichene, scheue Kreatur, die kein Wort sagte und ihm nach all den langen Jahren der Trennung nicht einmal ein Lächeln schenkte. Ein unmögliches, cremefarbenes Kleid aus Musselinen schlotterte formlos um ihren mageren Körper. Sie hatte die langen Haare nachlässig hochgesteckt. An den Schläfen hatte sie feine, graue Strähnen. Ihre Haut wirkte ungesund, ja leichenhaft blass. Kitty machte auf Arthur den Eindruck eines Lamms, dass man zur Schlachtbank führte und das nicht wusste, wie es sich wehren sollte. "Ich möchte jetzt alleine mit Miss Pakenham sprechen!", er sah ihren Bruder Longford kalt an. Gerald und Kittys Tante blickten flehend zu ihm hinüber. Endlich verzog er ungehalten den Mund und nickte: "Also gut, Wellesley…falls meine Schwester damit einverstanden ist." Auch Katherine sah ihren Bruder jetzt bittend an. "Robert, ich möchte gerne alleine mit General Wellesley sprechen." Endlich verließen Gerald und Kittys ungemütliche Verwandte den Salon und eine unsichtbare Hand schloss die Tür.

      Wellesley ging auf Katherine zu und nahm ihre Hand in die Seine. Der kalte Schleier über seinen Augen hatte sich gehoben. Seine Stimme war sanft geworden. Das Mädchen tat ihm ehrlich leid. " Ich habe Dir vor langer Zeit einmal ein Versprechen gegeben, Katherine. Ich bin immer noch bereit, es einzuhalten. Doch nur wenn Du es auch möchtest…aus eigener, innerer Überzeugung und nicht nur weil Deine Familie Dich zwingt!" Unter der fahlen Haut der Frau zeigte sich eine leichte Röte: "Gefalle ich Dir immer noch? Ich habe mich so schrecklich verändert. Ich bin alt geworden. Ich bin nicht mehr hübsch." Arthur seufzte leise. Dann zog er die schmale Gestalt vorsichtig an sich und legte seine Wange an die Ihre. Leise flüsterte er ihr ins Ohr. "Du bist so zerbrechlich und verschreckt. Was ist nur mit Dir geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Ich erkenne Dich nicht wieder! Warum drängelt Dein Bruder so, damit wir heiraten?"

      "Arthur, er drängelt nicht und er zwingt mich nicht. Ich habe all die langen Jahre so auf Dich gewartet. Mein Bruder ist nur furchtbar verärgert, weil ich fünfzehn Jahre lang jeden anderen Antrag zurückgewiesen habe! Als Vater starb, hat Robert mir verboten, Dir nach Indien zu schreiben. Er sagte immer, Du wärst nur ein mittelloser Taugenichts ohne Zukunft und Potential. Er war felsenfest überzeugt, Du würdest mich unglücklich machen. Doch ich habe nie nachgegeben. Wenn Du mich also noch willst...? "

      "Wollen?", ging es Arthur durch den Kopf. Die Alarmglocken läuteten sturm. Wenn er seinem Verstand folgte und nicht seinem guten Herzen und dem Mitgefühl, das er für die Frau verspürte, die vor ihm stand, dann müsste er Kitty jetzt eigentlich offen und ehrlich ins Gesicht sagen, dass zwischen ihnen Welten lagen. Sie stand nicht mehr vor dem Jungen von 1793 gegenüber, sondern vor einem Mann, denn sie nicht kannte und von dem sie sich ganz offensichtlich ein völlig falsches Bild machte. Andererseits, was hatte er schon zu verlieren: Sein Herz lag zusammen mit Charlotte und dem Kind in Seringapatam begraben. Sarah wollte ihre Freiheit nicht verlieren…und er war Berufssoldat. Er würde gehen, sobald die Trommeln wieder anfingen zu schlagen. Napoleon Bonaparte wurde immer gefährlicher, seine Macht in Europa immer grösser. Wenn es Krieg gab, dann waren seine Chancen den vierzigsten Geburtstag zu feiern verschwindend gering. Generäle im aktiven Dienst starben nur ganz selten an Altersschwäche in ihren Betten. Er hatte in dieser Beziehung in Indien schon mehr Glück, als Verstand gehabt, doch Glück hielt nicht ewig…Natürlich hatte die gute Kitty in ihrem Zustand nicht viel zu bieten. Doch was konnte er einer Frau geben, außer einem Namen, einer gesellschaftlichen Stellung und einem gewissen Mass an finanzieller Sicherheit. Für Kitty war er außerdem noch einer realistische Möglichkeit schnell aus einer deprimierenden Umgebung zu fliehen. Arthur hatte ihren Bruder Longford und ihre Tante Elisabeth Pakenham nur kurz getroffen. Bereits diese kurze Bekanntschaft hatte ausgereicht, ihn zu überzeugen, dass so gut wie alles im Leben einer Frau besser war, als eine Zukunft in diesem düsteren, freudlosen Haus: "Katherine, “ sagte er ernst, “es geht nicht darum, ob ich Dich noch will. Ich habe Dir vor sehr langer Zeit und unter völlig anderen Umständen einmal einen Heiratsantrag gemacht. Damals wurde ich abgewiesen. Ein grausames Schicksal wollte es, das ich alleine aus Indien zurückgekehrt bin. Ich habe dort eine Frau, die ich über alles geliebt habebegraben …und unser gemeinsames Kind. In den Jahren nach ihrem Tod …“,er schüttelte den Kopf. Der Krieg und seine persönlichen Gespenster gehörten nicht zu diesem Gespräch, “Meine indische Vergangenheit hat an sich nichts mit dieser ganzen Geschichte hier zu tut und ich möchte hier und jetzt auch nicht darüber reden. Im Augenblick stellt sich lediglich eine Frage: Bist Du überzeugt, dass Du die richtige Entscheidung triffst? Ich habe nichts mehr mit dem jungen Mann gemein, in den Du Dich mit fünfzehn oder sechzehn Jahren verliebt hast.“ Kitty schlug die Augen nieder und nickte: “Ich bin mir darüber im Klaren, doch ich kann mich nicht anders entscheiden. Es ist der letzte Ausweg für mich.“ Arthur seufzte leise: “Gut, dann soll es so sein. Das Einzige, was ich Dir in diesem Augenblick geben kann, außer meinem Namen und