Peter Urban

Adler und Leopard Gesamtausgabe


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Um nachts zu schlafen und nicht mehr an Kitty zu denken, hatte er entgegen der Gebräuche bei Allem mitgemacht und wie seine Soldaten schweres Gepäck durch den Dreck geschleppt. Er wusste noch heute ganz genau, was jeder Rotrock im Tornister trug und wieviel alles wog. Arthur hatte im Frühjahr 1793 einen radikalen Schlussstrich gezogen und die Träume seiner Jugend, die Musik, die Poesie und das süße Nichtstun zu Grabe getragen. Dann war er nach Flandern in den Krieg gezogen und hatte gehofft, eine gnädige Kugel oder ein scharfes Schwert würden ihn von seinem Liebeskummer erlösen. Doch er war zurückgekommen…um eine Erfahrung reicher und mit einer Beförderung. Daraufhin hatte er den nächsten Fluchtversuch gewagt. Arthur hatte sein letztes Geld zusammenkratzte und war mit dem ersten, verfügbaren Truppentransport aus Irland ans andere Ende der Welt geflohen. Jahrelang in Indien, hatte es ihm geradezu masochistische Freude bereitet, sich für seine sorglose Jugend, das Kartenspielen, den Wein, die Träumereien und die Geige zu bestrafen. Er hatte den Krieg zu seinem Lebensinhalt gemacht, Charlotte gefunden und Kitty vollkommen vergessen. Dann waren der Erfolg, die Ehre, der Titel und dieser Ruf der Unbesiegbarkeit gekommen und am Ende sogar Geld. Aber der Krieg hatte ihm auch alles genommen: seine geliebte Charlotte, ihr ungeborenes Kind und sein Herz! Katherine Pakenham hatte diesen Gang seines Lebens indirekt ausgelöst. Vielleicht war sie aus diesem Grund die Möglichkeit für einen neuen Anfang, eine zweite Chance, nachdem er seit Charlottes gewaltsamem Tod in Seringapatam fünf Jahre im Fegefeuer zugebracht hatte. Vielleicht konnte ja Kitty seine Uhr zurückdrehen, die verlorene Zeit und eine verlorene Jugend zurückholen und… die Träumereien am Ufer eines kleinen Sees im County Meath.

      Kapitel 6 Kitty

      Die Parlamentswahlen verliefen, wie von Buckingham und Lord Uxbridge im Carlton prophezeit ganz in Arthurs Sinn. Er durfte sich über einen Sitz im Unterhaus freuen. Anfang März 1806 zog er für den Wahlkreises Rye in die ehrwürdige Versammlung ein. Rye lag direkt an der Kanalküste und nur wenige Kilometer von Hastings entfernt, wohin die Horse Guards ihn abgeschoben hatten um eine Garnison zu kommandieren. Es war ein echter Außenposten am Ende der Welt. Da die Eröffnung des neuen Parlaments allerdings erst für Anfang Mai anstand, fand er endlich die Zeit, nach Irland zu reisen um sich seinen familiären Angelegenheiten zu widmen. Er hatte einen Monat Urlaub von der Armee genommen und sich mit Hilfe seiner Freunde in London nach einem kleinen Haus umgesehen. So gut wie täglich kamen Briefe aus Irland an und Arthur schickte Post an Miss Pakenham. Wenigstens auf dem Papier, schien ihre Beziehung zueinander nicht unter der dreizehnjährigen Trennung gelitten zu haben. Selbst Sarahs Bedenken, die vor allem auf dem ersten, von Katherines Bruder Robert verfassten Brief beruhten, zerstreuten sich, wenn Arthur ihr abends manche Passagen aus Kittys Briefen laut vorlas. Sein Unbehagen war fast vollständig verflogen. Er spürte sogar eine leise Ungeduld und freute sich darauf, seine Jugendliebe wiederzusehen. Mit der Idee sie heiraten zu müssen, hatte er sich in seinem Inneren inzwischen irgendwie abgefunden.

      Die Tür des großen Salons von Richmond Palace tat sich auf und Henry Paget stolzierte in voller Uniform und mit einem großen Paket unter dem Arm herein. Er spähte erst, wie ein Verschwörer zu Sarah und zu ihrer Mutter Georgiana hin. Dann wandte er sich Arthur zu: "Also, wenn Du morgen in die Postkutsche steigst, um endlich mit Deinem süßen Junggesellendasein zu brechen, dann solltest Du dieses Paket auf jeden Fall mitnehmen. "Er machte einen großen Bogen um den Sessel seines Freundes und legte das geheimnisvolle Paket vorsichtig auf einen Ecktisch. Dann ließ er sich neben Sarah aufs Kanapee fallen: "Wenn ich nicht sofort ein großes Glass Whisky bekomme, falle ich tot um. Meine Frau Charlotte hat mich wegen diesem Ding regelrecht verrückt gemacht und dabei durch ganz London gehetzt!" Der Butler der Richmonds reichte Paget ein Kristallglas auf einem silbernen Tablett. Alle sahen Arthur neugierig an.

      " Willst Du denn nicht endlich auspacken?“, brummte Paget. Arthur stand auf und ging, gefolgt von allen Augen, zum Ecktisch." Was habt ihr ausgeheckt? "

      Die Herzogin von Richmond sah ihn strafend an: “Mein Junge, Du möchtest heiraten und hast das Allerwichtigste vergessen. Wenn Henry und Charlotte nicht in allerletzter Minute daran gedacht hätten: eine Katastrophe! Bei einer irischen Hochzeitsfeier ist es wichtig, die Traditionen zu achten."

      "Der Brautschleier und das Familienband. ", Arthur schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

      "Der Brautschleier und das Familienband, alter Junge! Um innerhalb von nur zwei Tagen die beiden Familienwappen sticken zu lassen, haben wir Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt", Paget hatte Sarahs Arm ergriffen und grinste breit“, und er hat die gute Uniform eingepackt und einen hübschen Ring für seine Zukünftige besorgt. Jetzt müssen wir ihn morgen nur noch in die Postkutsche setzen!"

      Arthur hielt das Geschenk in Händen. Vor lauter Rührung wusste er nicht mehr, was er seinen Freunden sagen sollte.

      Eine Woche später betrat er zum ersten Mal seit fast fünfzehn Jahren wieder irischen Boden. Ohne sich lange aufzuhalten, ritt er vom Hafen nach Dublin. Sein älterer Bruder Gerald Wellesley erwartete ihn bereits. Er war Geistlicher. Gerald sollte Arthur und Katherine Pakenham auch traue, denn das Stadthaus der Familie Longford befand sich in seiner Gemeinde St.George zu Dublin. Arthur warf Satteltaschen und Reitmantel auf ein Sofa und ließ sich in einen Stuhl fallen. Gerald war ein freundlicher Mann, den sein ruhiges und ereignisloses Leben behäbig und ausgesprochen rundlich gemacht hatte. Seine leicht gerötete Nase zeugte vom Geschmack am Wein und seine gesunden, roten Backen von vielen Spaziergängen an der frischen Luft. Während drei seiner Brüder in Indien Karriere gemacht hatten und das Nesthäkchen William sein englisches Erbe angetreten hatte, war Gerald in Dublin geblieben, hatte Theologie studiert und eine Familie gegründet.

      "Hast Du Katherine Pakenham und Lord Longford gesehen?", fragte Arthur, Gerald neugierig.

      " Sie ist eine gottesfürchtige Frau, Bruder. Ein wahres Beispiel für die Gemeinde. Ich kann über Miss Katherine nur Gutes berichten und hoffe, Du wirst mit ihr sehr glücklich werden.", Geralds Stimme war nicht so fest und überzeugt, wie in den Momenten, in denen er von der Kanzel von St.George zu seiner Gemeinde sprach. Arthur seufzte leise: "Hat sie sich seit 1793 sehr verändert?“ Der Geistliche sah ihn verlegen an. Seine Wangen schienen rot zu leuchten: " Nun, mein lieber Arthur, die Jahre sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Doch ich möchte noch einmal unterstreichen, dass Miss Katherine einer der Pfeiler von St.George ist."

      "Wann kann ich mir die Stütze Deiner Gemeinde denn endlich ansehen?", erkundigte Arthur sich zwischenzeitlich leicht beunruhigt. Sein Bruder schilderte ihm seine künftige Ehefrau als ein bigottes, altes Mädchen, das sich die Zeit damit vertrieb, dem Herrgott die Füße zu küssen und in die Messe zu rennen. "Ich werde einen Bediensteten losschicken und Lord Longford über Deine Ankunft in Dublin unterrichten.“, bot Gerald an. Dann fragte der Geistliche: „ Wie lange hast Du Urlaub?“

      " Ich muss Ende April wieder bei meinem Regiment sein und das Parlament soll am 1.Mai zum ersten Mal zusammentreffen."

      Am nächsten Morgen um elf Uhr standen Arthur und sein Bruder Gerald vor einem großen Haus am Rutland Square. Arthur versuchte, so ruhig wie möglich zu wirken, doch innerlich war er aufgerüttelt. Fast fünfzehn Jahre lagen zwischen diesem und seinem letzten Treffen mit Katherine. Gerald hatte seine Jugendliebe am letzten Abend ständig als Pfeiler der Gemeinde und als sehr gottesfürchtige Frau beschrieben und ansonsten nicht viel über sie erzählen wollen. Zwischen Arthurs Erinnerungen an ein bildhübsches, lebhaftes und unternehmungslustiges, junges Mädchen mit zahlreichen Interessen und überschäumender Energie und Geralds Schilderung lagen Welten. Ein Bediensteter von Lord Longford öffnete die Tür und bat die beiden Männer ins Haus. Gehorsam folgten sie ihm in ein frostiges, in düsteren Farben gehaltenes Empfangszimmer mit sauberen Schonbezügen und sorgfältig arrangierten Blumensträußen, die vermutlich speziell für den Anlass bereitgehalten worden waren. Man ließ Gerald und Arthur alleine. Wenige Minuten später tat sich die Tür auf, und Lord Longford kam herein. Er wurde von einer spindeldürren alten Frau mit einem bitteren Zug um den Mund begleitet. Kaum hatte Arthur das Haus am Rutland Square betreten, kehrten seine früheren Empfindungen zurück, wie Flutwellen. Da war diese seltsame Mischung aus Misstrauen und tiefer Abneigung. und die innere Überzeugung, dass Katherines ältester Bruder, Lord Longford immer noch genauso skrupellos, gerissen,