Hermine Stampa-Rabe

Auf zum Nullarbor


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sich prima. Waikerie ist umgeben von endlosen Weinplantagen. Mal wieder halte ich an, um mir die Trauben anzusehen. Dunkelblaue! Ich fotografierte sie und fahre weiter. Später halte ich wieder an, um zu sehen, ob hier gelbe Trauben hängen. Nein, auch dunkelblaue. Ich nasche eine kleine Beere davon. Sie zergeht zuckersüß und saftig auf meiner Zunge! Eine ganze Traube wandert in meine Packtasche für den Abend. Ohne schlechtes Gewissen aufgrund der vielen Trauben, die dort an jeder Weinpflanze hängen, radle ich glücklich weiter.

      In einem Ort finde ich ein Geschäft, in dem Autoreifen verkauft werden. Das erinnert mich an meinen Bruder Helmut, der Autoschlossermeister von Beruf war. Deshalb weiss ich, dass hier intelligente und tatkräftige Männer vorhanden sind. Ich stoppe und schiebe mein Rad in die große Eingangshalle. Ein Mann sitzt in seinem offenen Büro und schaut ganz verwundert auf mich, die ich mit meinem Sturzhelm auf dem Kopf und dem bepackten Rad bei ihm in der Halle stehe. Er tritt mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu mir. Und dann erkläre ich ihm mein Missgeschick mit dem umgekippten Fahrrad und zeige ihm die nach rechts verbogene Lowrider-Aufhängung am Vorderrad. Nur 1 cm ist noch zwischen meinem Laufrad und dem Metallbogen vorhanden.

      Flott nehme ich die kleinen Packtaschen und meine Lenkertasche ab und überlasse ihm mein Rad. Er braucht nicht lange, um zu wissen, was dagegen zu tun ist. Sofort schiebt er das Fahrrad in die nächste Halle, in der sein Kollege mit einem großen Lkw-Rad beschäftigt ist, bittet ihn, mal herzukommen, sich so hinzuhocken, dass das Vorderrad stramm zwischen seinen Knien eingeklemmt ist und dreht oben an meinem Lenker. Und schwupps – meine Lowrider-Aufhängung sitzt wieder richtig!!!! Ein Wunder!!! Ich strahle die beiden Männer an und bedanke mich. Für sie war es nur eine kleine Abwechslung in ihrer Arbeit, und mir haben sie sehr gern geholfen. Ab nun kann ich wieder mit bestem Wissen und Gewissen voll in die Pedalen treten, ohne Angst zu haben, dass irgendwann plötzlich das Rad von der Lowrider-Aufhängung blockiert wird. Ein tolles Gefühl!

      Nach einiger Zeit werde ich auf eine gute Fotomöglichkeit hingewiesen. Ganz erwartungsvoll radle ich weiter und suche sie. Es ist der Murray River, der unter einer und später einer weiteren Brücke entlang fliesst. Ich lehne mein Rad hinter der Brücke ans Geländer, wandere zu Fuß am Brückengeländer zurück und verewige diesen legendären Fluss in meinem Fotoapparat. Auf einer Seite erhebt sich eine mindestens 20 m hohe ockerrote Felswand. Auf der anderen Seite der Brücke stehen abgestorbene Bäume wie die einer untergegangenen Allee im Wasser.

      So rolle ich weiter. Überwiegend sind wenigstens auf einer Seite Weinstöcke zu sehen. Die andere Seite ist entweder mit wilder, unberührter Natur bewachsen oder weist Stoppelfelder auf.

      An diesem Sturt Highway befindet sich ein breiter Seitenstreifen, auf dem ich gut radeln kann. Auf diese Weise kommen die Road Trains nicht in Konflikte und können einfach geradeaus fahren. Hin und wieder wird aber vorher gehupt. So radle ich Renmark entgegen. Nach einem Caravan-Park Ausschau haltend, dringe ich immer weiter in diesen für den Murray River bekannten Ort. Aber auf den ersten Caravan Park will ich nicht, weil er im Binnenland liegt. Ich erkundige mich in einer Tankstelle, ob es hier noch einen zweiten Caravan Platz gibt. Ja, gibt es. Dazu soll ich weiterfahren. Außerhalb des Ortes befindet er sich am Fluss.

      Als ich ihn erreiche und mich anmelde, soll ich pro Nacht $39 bezahlen. Und in diesem Ort wollte ich zwei Nächte verbringen! Das übersteigt mein Budget. So drehe ich um und möchte mich nach einem Backpacker Hotel umsehen. Ja, es soll zwei geben. Das erste finde ich. Es ist unbewohnt. Ich folge dem Hinweis nach dem zweiten und finde es tatsächlich. Zuerst wird am Telefon nachgefragt: „Sie sind tatsächlich 75 Jahre?“

      „Ja, das stimmt. Ich bin mit dem Fahrrad hier in Australien unterwegs.“

      „Sie können kommen.“

      Allerhand junge Leute bevölkern es. Mir wird ein Bett in einem 4-Bett-Zimmer zugewiesen. Die beiden Mädchen, beide aus Korea, räumen ihre Sachen von den beiden leerstehenden Betten für mich. Aber ich lasse noch alles Gepäck draußen am Rad, nehme nur mein kleines Notebook und setze mich in den Aufenthaltsraum, um meine Korrespondenz zu beantworten.

      Hier lese ich, dass mein gestern von Gudrun in Waikerie aufgenommenes Video schon im facebook steht und von einigen auch schon gesehen wurde. Leider können meine Englisch sprechenden Freunde nichts davon verstehen. Beim nächsten Mal muss ich die Übersetzung gleich zur Hand haben.

      Total müde dusche ich und krabble ins Bett. Ein Teil der hier gerade anwesenden Jugendlichen sind mit dem Auto in die Stadt gefahren, um schoppen zu gehen. Ich wurde vorher auch gefragt, ob ich mich ihnen anschließen möchte. Aber ich habe für heute meinen Sport getrieben. Da ich für zwei Nächte buchte, kann ich morgen prima ausschlafen. Möchte mir morgen den Hafen und die hier üblichen Raddampfer ansehen und fotografieren, ansonsten mich mal wieder erholen.

      24.01.2013: Ruhetag in Renmark: 0 km

      Meinen Wunsch, hier eine kleine Murray-River-Bootsfahrft mitzumachen, zerschlägt sich sofort. In der Information höre ich, wie teuer so etwas ist: $50 – $60 soll ich für eine Motorbootfahrt mit einem winzigen Schiffchen bezahlen. Nein, das ist mir entschieden zu teuer. Und außerdem liegt mir nur daran, mit einem Raddampfer zu fahren! Der fährt hier überhaupt gar nicht. Den werde ich wohl erst in Mildura sehen können – hoffentlich; denn ich möchte doch wenigstens einen fotografieren.

      So mache ich mich auf den Weg zu einem Geschäft, in dem ich mir eine dünne und trotzdem warme Decke für die kalten Zeltnächte kaufen kann. Ich soll zum BIG W gehen, einem großen Supermarkt mit allen möglichen Geschäften. In der Abteilung für Camping finde ich nur andere Sommer-Schlafsäcke. Aber so eine dicke Rolle zusätzlich auf meinem Gepäckträger? Das ist nicht das, was ich suche. Aber was soll ich machen? Das ist besser als gar nichts. So gehe zu Woolworths, um mir Buttermilch zu kaufen, falls sie welche haben.

      Dabei fällt mir ein Stand mit Souvenirs für Touristen auf, auf dem auch eine kleine zusammengerollte Fleece-Decke liegt. Sie ist genau das, was ich mir vorgestellt habe: klein und leicht genug für die Weiterfahrt. Auf dem Absatz mache ich kehrt, gebe den Schlafsack wieder zurück und erhalte das Geld wieder. Nun kaufe ich mir diese kleine mittelblaue Decke mit der australischen Flagge darauf.

      In diesem Geschäft finde ich die Firma Telstra. Dort beschwere ich mich, weil mein Handy nicht funktioniert, obgleich ich für drei Monate schon bezahlt habe. Das junge Mädchen nimmt mein Handy und stellt fest, dass ich bis Ende März bezahlt habe, aber dass nur noch etwas mehr als $6 darauf zur Verfügung stehen. $20 zahle ich ein.

      Unterwegs hatte ich ja die drei jungen Deutschen bei der Arbeit fotografiert und versprochen, dieses Foto zu ihren Eltern nach Hause zu schicken. So fehlt mir ein Fotogeschäft, in dem ich von meinem Foto-Chip die Fotos erhalte. Ja, dieses Geschäft gibt es auch im BIG W. Auf die Rückseite der Fotos schreibe ich die Adresse und daneben an die Eltern eine kleine Nachricht, dass es ihnen gut geht. Auf die Postkarten werden einfach Briefmarken geklebt und ab fliegen sie nach Deutschland.

      Der Weg zur Post ist weit. Sie liegt an der Fluss-Schleife. Die Sonne brennt gnadenlos herab. Aber ich trage ja einen Hut mit breiter Krempe. Neben der Post sehe ich mir die etwas welk werdenden Rosen an. Gerade tritt der Hauseigentümer aus der Tür. Ich frage ihn, ob es seine Rosen sind, die so herrlich duften.

      „Ja“, meint er. „Leider haben wir diesmal den heißesten Sommer solange ich zurückdenken kann. Die Sonne brennt so sehr auf die Rosen, dass die Blütenblätter von außen beginnen, sich einzuringeln.“

      Am Flussufer stehen Bänke unter den hohen Sugar-Gum-Bäumen. Dort setze ich mich hin und erhole mich von dem vielen Herumlaufen. Hinterher wandere ich zu meinem Backpacker Hotel. Dabei stelle ich fest, dass es in der Nähe des Highways nach Mildura liegt. Das ist ein sehr angenehmer Gedanke für morgen früh.

      Bei meinem Quartier wieder eingetroffen, finde ich dort die jungen Leute wieder, die hier übernachten. Einer von ihnen stammt aus Hannover, der einzige Deutsche hier. Er erzählt mir: „Dieses Backpacker Hotel wird eigentlich nur von den jungen Arbeitern aus aller Welt bewohnt. Morgens werden wir abgeholt, zu unserer Arbeitsstelle gebracht und danach wieder zurückgefahren. Ich bin schon seit Anfang August 2012 hier und habe Geld gespart. Demnächst will ich mir erst einmal Australien