Hermine Stampa-Rabe

Auf zum Nullarbor


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aus dem Karton nehmen zu lassen, die Pappe-Radstützen daraus zu entfernen, das Rad wieder hineinzuschieben und den Karton oben quer abzuschneiden und rundherum gut zu verkleben. Aber wie kann ich das machen lassen? Möchte eigentlich heute Nacht an Bob in London deswegen eine Mail schreiben. Aber ich erhalte trotz meines neuen WIFIs keine Netzwerkverbindung. Hiermit sitze ich nun auch noch auf dem Schlauch.

      Also muss ich heute früh wieder zu Telstra, um mir hierfür Hilfe zu holen. Habe gestern vor lauter Aufregung vergessen, meinen Computer fachmännisch abzuschließen. Deshalb hat das Programm vorhin alles wieder hergestellt. Aber mein WIFI arbeitet scheinbar nun nicht mehr. Was tun? Ein Problem folgt dem anderen.

      Als ich in der Nacht gegen 6.00 Uhr aufwache, fällt mir die Lösung meines WIFI-Problems ein: Der Mann, der es mir verkaufte, zeigte mir, dass es nur zur Hälfte aufgeladen war. Ich sollte es zu Hause gleich an die Steckdose hängen, um es voll aufzuladen. Das hatte ich vergessen. Also leise in der Dunkelheit die Schranktür geöffnet, den WIFI-Karton hervorgeholt, das Kabel zum Aufladen herausgenommen, an das WIFI gesteckt und mit dem anderen Stecker in die Steckdose unter dem Fußende meines Bettes gesteckt. Nun leuchtet dort das orangefarbene Licht und zeigt mir, dass es Strom speichert. Ein Problem weniger. Nun noch das des Fahrrades und des Verpackens all meiner Utensilien in die Packtaschen. Gleich lege ich mich wieder hin und schlafe auf der Stelle ein.

      Draußen regnet es. Das ist für die Natur bestimmt ein Geschenk des Himmels. Als die anderen zwei Mädchen das Zimmer verlassen haben, stehe ich auf und mache mich frisch. Komisch, habe gar keinen Hunger. Heute möchte ich nach dem ISO-Behälter fahnden, meine Uhr vom Uhrmacher stellen lassen, Brennspiritus für meinen Kocher kaufen und ?

      Den ISO-Behälter vergesse ich, kaufe jedoch für mich einen Sonnenhut aus Stoff mit fester Krempe für die Zeit, in der ich nicht auf dem Fahrrad sitze, dann noch den Brennspiritus für meinen Kocher. Beim Uhrmacher angekommen, geht dieser sofort dabei, meine neue automatische Uhr so zu stellen, dass die richtige Uhrzeit von Westaustralien angezeigt wird. Nach der beiliegenden Beschreibung soll sie sich jedes Mal allein, wenn ich eine andere Zeitzone betrete, richtig einstellen.

      „Sie sollte sich nun allein so einstellen“, meint er lächelnd.

      „Können sie mir ein sehr gutes Fahrradgeschäft hier in Perth nennen?“

      Das malt er mir in meinen kleinen Stadtplan. Ich also ganz stolz mit dieser Armbanduhr weitergegangen. Mich quält Durst, möchte aber kein teures Getränk oder Wasser kaufen, weil ich in meinem Zimmer zwei Getränkeflaschen voller Wasser aus dem Wasserhahn mit Mikropillen habe. Das ist entschieden günstiger und schmeckt mir aus diesem Grund auch entschieden besser.

      In meinem Zimmer rufe ich Gudrun an. Sie meint: „Mutti, gehe vorsichtshalber in ein gutes Fahrradgeschäft für den Fall, dass dein Rad verloren gegangen ist und du dir dann dort ein neues kaufen kannst.“ Ich also nichts wie hin zu diesem Geschäft. Dort gibt es aber nur Alu- oder Carbon-Räder. Solche kann ich absolut nicht gebrauchen, weil sie entschieden zu weich für eine Trekkingfahrt mit schweren Packtaschen sind. Der Besitzer hätte mir eins aus Sydney bestellen können, das dann nach einer Woche hier in Perth gelandet wäre.

      „Aber“, so meine ich, „vielleicht kommt bis dahin ja doch noch mein Rad.“

      Der Besitzer des Geschäftes, Matt, möchte meine schriftliche Suchmeldung von Quantas in Sydney haben, um selber dort nachzuforschen. Und was soll ich sagen? Er findet heraus, dass mein Rad schon heute Nacht in Perth in der Jugendherberge ausgeliefert wird. Das ist mit die beste Nachricht, die ich erhalten kann. Am liebsten hätte ich ihn vor Freude in die Arme genommen und gedrückt. Aber als Dankeschön für seine Nachforschung kaufe ich mir bei ihm ein Paar neue Fahrradschuhe. In New York wollte ich schon welche kaufen, bekam aber keine für meine Größe. Und meine alten sind von 1992 und schon ganz abgelaufen.

      So nehme ich mir vor, mich heute in der Nacht bei der Rezeption aufzuhalten, meinen großen Fahrradkarton in Empfang zu nehmen, ihn hinten in den abgeschlossenen Hof zu stellen und mich dann schlafen zu legen. So sitze ich total müde in der Anmeldung in einem gemütlichen Sessel und warte.

      Ich muss eingeschlafen sein; denn plötzlich wache ich von einem Schubs auf und höre: „Eben ist dein Fahrrad angekommen.“

      Ich springe sofort auf und helfe dem jungen Mann noch dabei, den riesigen Karton in den Empfangsraum zu ziehen. Der Schlaf ist der Freude gewichen. Allein bugsiere ich den Karton durch das Erdgeschoß bis nach draußen auf den Innenhof und lasse ihn dort stehen. Morgen werde ich das Rad auspacken, mir noch den ISO-Behälter besorgen und mit dem leeren Rad zum Fahrradgeschäft fahren, mir die neuen Fahrradschuhe mit SPD-Klickpedalen abholen und die alten dort zum Verschrotten lassen. Der Besitzer möchte unbedingt mein Rad sehen.

      Heute wäre ich eigentlich losgefahren. Ich bin glücklich, dass es erst morgen losgeht. Habe lange geschlafen. Meine erste Amtshandlung gilt meinem Fahrrad, das ich unter den neugierigen Augen junger Leute aus der Herberge zusammensetze. In der Stadt hole ich noch eine Kühlbox für Wasser. Diese ist für mich sehr, sehr wichtig, doch nimmt sie die ganze Fläche meines Gepäckträgers ein. Und wo kann ich dann meinen Schlafsack und den Kocher unterbringen?

      Ohne Gepäck radle ich zum Fahrradgeschäft, stelle mein Rad vor, lasse noch die Laufräder ein wenig nachjustieren und kaufe mir neue Fahrradschuhe. Matt, der mich dort bedient, will sie aber nicht „verschrotten“, sondern in eine Grabbelkiste für Minderbemittelte legen. Ein guter Gedanke.

      Zurück in der Herberge, koche ich mir meine ersten 2-Minuten-Nudeln und werde davon total satt. Nun sitze ich mit meinem kleinen Laptop hier und schreibe mein Tagebuch. Anschließend versuche ich, das Unmögliche mit meinem Gepäck möglich zu machen, lege mich aber mit keinem guten Gefühl schlafen.

      Meine Zimmermitbewohnerin aus der Schweiz erscheint strahlend. Sie hat sich mit ihrer Freundin außerhalb von Perth getroffen und erzählt das Neueste: Am Strand vor Perth in Rottnest Island hat man einen abgeschnittenen Männerkopf gefunden. Nach dem Körper wird noch gefahndet. Oje, das ist ja für mich mit meinem Fahrradprojekt keine gute Nachricht. Deshalb kommen meine Gedanken nicht mehr zur Ruhe. Ich erhebe mich leise, denn die beiden anderen Mädchen schlafen schon. Um mich abzulenken, wandere ich hinunter in die Küche. Im gemütlichen und großen Essensraum sitzt ein fröhlicher und interessanter Student, mit dem ich mich bis Mitternacht unterhalte. Als ich ihm von dem Ermordeten erzähle, meint er, dass ich mit dem Zug nach Adelaide und ab dort meine Tour beginnen soll. Nun sei das Nullarbor doch zu gefährlich für mich.

      Kaum geschlafen, hole ich mein Fahrrad in den langen Gang der Herberge und hänge die von mir sorgfältig geschlossenen Packtaschen daran. Oben quer darüber lege ich die Coolbox mit den gefüllten Wasserflaschen und den vollen 2-l-Wassersack. Schon allein der Anblick lässt mich innerlich erschauern. Und bei dem Versuch einer Probefahrt, geht gar nichts. Das Gepäck ist entschieden zu schwer. Das Rad lässt sich gar nicht lenken und lenkt sich selber. Ich stürze beinahe. Sofort steige ich ab und schiebe es ganz enttäuscht wieder zurück auf den Hof. Wie soll ich damit nur radeln können? Was kann ich daran ändern? In diesem Moment bin ich total verzweifelt und habe außerdem noch den abgetrennten Männerkopf und den irgendwo frei herumlaufenden Mörder in meinem Kopf. Kann ich bei dieser Lage überhaupt allein mit dem Rad auf Tour gehen? Große Zweifel steigen in mir auf.

      So mache ich mich auf und betrete die Tourist-Information. Der Zug von Perth nach Sydney fährt nur immer am Sonnabend. Und dieser kommende Sonnabend ist schon bis auf den letzte Platz ausgebucht. Der nächste fährt erst eine Woche später. Und die hiesigen Züge fahren nur an der Küste gen Norden oder Süden. Und der Greyhoundbus fährt nur gen Norden und nicht Osten. Also sitze ich wie die Maus in der Falle. Was soll ich nur machen? Mit dem Flieger von hier nach Adelaide fliegen, um von da weiterzuradeln? Aber dazu müsste ich mein Rad wieder einboxen. Und dazu habe ich absolut keine Meinung! Was soll ich tun?

      Gudrun und Klaus-Otto schlafen noch. So setze ich mich entnervt in einen kostenlosen City-Bus „Yellow Free CAT“ und lasse mich lange, lange herumfahren. Von Zeit zu Zeit nicke ich ein. Mir fehlt der Schlaf. Als ich absolut zu müde werde, steige ich im Stadtzentrum aus und wandere in die Herberge, in der mein Rad noch voll bepackt im Gang auf mich wartet.

      Ich greife wieder zum Handy und versuche,