Heute zählen die Ruinen all dieser Bauwerke in Cyrene zum Welterbe der Menschheit, atmen immer noch Leben.
In Cyrene interessierte sich Platon wiederum eingehend für die in der Verfassung verankerten Rechte und Pflichten der Menschen sowie für die Philosophenschule der Stadt. Wie in Megara hatte auch diese Schule ein Schüler von Sokrates gegründet. Weit über die Stadt hinaus genoss die Schule einen erstklassigen Ruf. In Cyrene lernte Platon den berühmten Mathematiker Theodoros von Cyrene (460 - 399 v.Chr.) gerade noch vor dessen Tod kennen. Erinnern Sie sich, liebe Leser, aus Ihrem Mathematikunterricht daran, was den Ruhm dieses Mannes begründete? Theodoros hatte als einer der Ersten die Irrationalität aller Zahlen von 3 bis 17 (außer den Zahlen 4, 8 und 16) bewiesen. Schon vorher war bekannt, dass die Wurzel aus 2 eine irrationale Zahl ist.
Als wichtigstes Ergebnis seiner Reise nach Cyrene entpuppte sich für Platon die Begegnung mit dem Mathematiker Theaitetos. Dieser Schüler des Theodoros schloss sich mehr als ein Jahrzehnt später Platon an und stand Platon in allen Fragen der Geometrie zur Seite.
Am Königshof in Syrakus
Als nächstes Ziel steuerte Platon Syrakus an. Schon von Weitem zeigte sich der Ätna. Seit Jahrhunderten wies er den Seefahrern den Weg nach Sizilien. Siedler aus Korinth hatten die ersten Häuser auf der kleinen Insel Ortygia im Mündungsgebiet zweier Flüsse errichtet. Die Stadt hatte sich rasch auf das Festland von Sizilien ausgedehnt. Die griechischen Ankömmlinge und deren Nachfahren waren über Jahrhunderte gezwungen, ihre Selbständigkeit gegen Karthago zu verteidigen.
Im Jahre 405 v.Chr. wählte die Stadt ihren Sohn Dionysios (430 - 367 v.Chr.) zum Feldherrn und gewährte ihm große Sondervollmachten für den Kampf gegen die Feinde aus Nordafrika. Im Friedensschluss erkannten die Karthager schließlich Dionysios als Herrscher von Syrakus an. Danach stieg er zum mächtigsten Tyrannen der Antike auf. Dionysios gründete eine der lang andauerndsten Dynastien jener Zeit. Historiker nannten ihn später Dionysios I. Dessen Macht stützte sich auf eine Leibgarde und eingebürgerte Söldner. In wechselvollen Kämpfen unterwarf der Tyrann den größten Teil Siziliens, ohne allerdings die Karthager jemals gänzlich von der Insel vertreiben zu können.
Die Insel Ortygia ist Syrakus vorgelagert. Auf der Insel hatten die Griechen zwei Tempel zu Ehren von Apollon und Athena erbaut. Bereits lange vor dem Einlaufen ihrer Schiffe in den Naturhafen von Syrakus begrüßten beide Tempel die Ankommenden. Bei einem seiner ersten Besuche hinüber auf das Festland, in die andere Stadthälfte, freute sich Platon auf einen Besuch im Theater. Das eindrucksvolle Rund bot mit seinen 60 in den Fels geschlagenen Sitzreihen Platz für 15 000 Menschen. Viele große Dichter wie Äschylos ließen ihre Werke zuerst in diesem Theater uraufführen.
An einem späteren Tag wird Platon auch das andere, das abschreckende Gesicht von Syrakus entdeckt haben, zum Beispiel das Ohr des Dionysios, eine künstlich in den Fels gehauene Höhle – 64 Meter lang, 20 Meter hoch und 11 Meter breit. Der geschwungene Eingang in diese Hölle erinnert an ein menschliches Ohr. Die Höhle diente dem Tyrannen als gnadenloses Gefängnis. Die außergewöhnliche Akustik der Höhle ließ in einem Loch oberhalb des Eingangs selbst ein leises Flüstern noch hörbar werden, weshalb dieser Ort so gut zum Bespitzeln der Gefangenen taugte. In einem benachbarten Steinbruch ließ Dionysios I. Kriegsgefangene – auch aus Athen – erbarmungslos bis zum Tod ausbeuten.
Als Platon in Syrakus eintraf, bereitete sich die Stadt bereits auf den nächsten Waffengang vor. Dionysios I. wollte die Karthager vom letzten Zipfel im Südwesten von Sizilien vertreiben, auch aus der Stadt Motye auf einer kleinen vorgelagerten Insel. Mit hohen Gehältern lockte Dionysios I. eine große Zahl von Handwerkern nach Syrakus. Sie kamen aus Unteritalien, vom griechischen Mutterland und selbst aus dem Staatsgebiet von Karthago. Mit wertvollen Geschenken motivierte er die Techniker, Möglichkeiten zu erkunden, wie ein Damm bis zu der Insel gebaut werden könnte, auf der Motye lag. Zugleich spornte er die Ingenieure an, neuartige Belagerungstechniken zu ersinnen, mit denen er von diesem Damm aus die Stadt erobern könnte.
Unter ihren Händen entstanden auf Rädern fahrbare Türme – etwa sechs Stockwerke hoch. Von deren obersten Plattformen aus konnten Soldaten schmale Fallbrücken auf die Mauern von Motye herablassen und die Stadt erstürmen. Findige Spezialisten konstruierten Katapulte, welche Brandpfeile und schwere Speere über größere Entfernungen schossen, als es die stärksten Söldner mit ihrer Muskelkraft vermochten. Einfallsreiche Könner entwickelten aus den Katapulten die mächtigste Waffe der Antike die Steinschleuder. Damit katapultierten die Soldaten steinerne Geschosse bis zu einer Masse von 120 Kilogramm auf Stadtmauern und auch darüber hinweg – mitten in die Verteidigungsanlagen und Wohnhäuser hinein.
Seinen enormen Finanzbedarf deckte Dionysios I. mit der Inbesitznahme des Vermögens politischer Gegner. Weitere Einnahmequellen verschaffte er sich mit Kriegsgefangenen, die er als Sklaven verkaufen ließ. Selbst vor dem Einzug von Tempelschätzen scheute er nicht zurück.
Die Hofhaltung des Tyrannen verschlang ein Vermögen. Auf Ortygia hatte sich Dionysios I. eine prächtige Residenz erbauen lassen. Seine Amtstracht, das Herrscherornat, orientierte sich an persischen Vorbildern. Dionysios I. wollte seinen Ruhm als mächtigster Tyrann weit in die antike Welt hinaustragen. Dazu lud er Dichter und Philosophen ein, die seinen Hof zu einem kulturellen Zentrum der griechischen Welt werden ließen.
Auch Platon genoss die Gastfreundschaft des Tyrannen. Der Aufenthalt am Hofe von Dionysios I. dürfte indes für den Philosophen wenig ertragreich gewesen sein. Welche zündende Idee für einen gerechten Staat sollte dort aufflammen? Als einzigen Erfolg konnte Platon die Freundschaft verbuchen, welche er mit Dion, dem jungen Neffen des Tyrannen geschlossen hatte. Auch dieser wird später zu Platon nach Athen kommen.
Umso erfolgreicher gestaltete sich seine Reise nach Tarent.
Bei den Pythagoreern in Tarent
Die Jahre in Tarent (im heutigen Süditalien) hinterließen in Platons Denken die prägendsten Spuren der langjährigen Reise. In dieser pulsierenden Stadt genoss ein Mann das größte Vertrauen der Bevölkerung, sein Name: Archytas. Obwohl die Verfassung die Wiederwahl eines Strategen nicht zuließ, wählten die Bürger sieben Mal hintereinander Archytas zum Feldherrn der Stadt. Die Lebensdaten von Archytas sind extrem unsicher – geboren zwischen 435 und 410 v.Chr. und gestorben zwischen 355 und 350 v.Chr. Zu jener Zeit erhob sich Tarent zur tonangebenden Kraft am Golf von Tarent, ließ Kroton, die ehemals führende Stadt in Unteritalien, weit hinter sich zurück.
Archytas entwickelte Tarent zu einem Hauptsitz der mathematischen Studien jener Zeit. Unter den Zeitgenossen wurde er mit der Lösung eines der drei unlösbaren klassischen Probleme der antiken Mathematik bekannt. Kennen Sie aus dem Mathematikunterricht noch diese Legende?
Eines Tages brach auf der Insel Delos eine Seuche aus, die kein Ende nehmen wollte. Die Menschen schickten Boten nach Delphi, um das Orakel zu befragen. Als die Ausgesandten zurückkehrten, überbrachten sie die Antwort der Pythia: Die Seuche höre auf, wenn die Bewohner von Delos den Altar verdoppelten, den sie Apollon geweiht hatten. Der Altar besaß die Gestalt eines Würfels. Hinter dem Orakel verbarg sich damit ein mathematisches Problem: Ein Würfel soll allein mit Zirkel und Lineal – ohne Maßstab – in einer endlichen Anzahl von Schritten verdoppelt werden. Die Lösung von Archytas entsprach dieser Forderung nicht ganz, denn er musste seine Konstruktionen auf zwei senkrecht zueinanderstehenden Ebenen ausführen.
Archytas war nicht nur Mathematiker, er war vor allem der letzte führende Kopf der Pythagoreer. Sie kennen noch den Satz des Pythagoras? Dieser gehört nicht zu dem, was für Platon an Pythagoras interessant war – es ist auch ziemlich sicher, dass Pythagoras diesen Lehrsatz in Ägypten kennengelernt und nicht selbst entdeckt hat. Womit beeindruckte dann Archytas den Weltenbummler Platon?
Im ausgehenden 6. Jahrhundert v.Chr. hatte Pythagoras in der wegen seines wohltuenden Klimas noch heute viel gerühmten Stadt Kroton eine Gemeinschaft Gleichgesinnter gegründet. Welche Motive Pythagoras zum Verlassen seiner Heimatinsel Samos bewogen hatten? Das ist nicht ganz klar. War es allein seine Ablehnung der Herrschaft des Tyrannen Polykrates? Kam möglicherweise die Furcht vor einer persischen Eroberung seiner Heimat hinzu? Oder war Pythagoras vielleicht doch vor allem von seinen Landsleuten enttäuscht, weil bei diesen seine Ideen keinen Anklang fanden? Sicher spielte vieles zusammen.