Adrienne Träger

Endstation Containerhafen


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nachgehen, statt konzentriert zu suchen.

      Gerade angekommen, hatten sie prompt einen verirrten Gassigeher aufgegriffen und diesen schleunigst zum Haupttor hinaus komplimentiert, allerdings nicht, ohne seine Personalien aufzunehmen und ihm eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs anzudrohen. Das Gelände gehörte schließlich offiziell dem Staat, war umzäunt und überall mit Schildern verziert, auf denen stand: „Zutritt für Unbefugte verboten“. Nun waren sie alleine und konnten ungestört trainieren.

      Pjotr hatte am Vortag einige Geruchsartikel mit dem Geruch von Leichen in verschiedenen Verwesungsstadien ausgelegt. Nun wandte er sich an Peter: „Dein Suchgebiet ist die Fläche dort rechts.“

      „Die Gebäude da auch?“

      „Blöde Frage. Natürlich. Du kannst schließlich nie wissen, wo so ein Verbrecher eine Leiche verschwinden lässt.“

      Peter holte Hektor aus dem Wagen, führte ihn zu der von Pjotr angewiesenen Stelle, zog ihm die Kenndecke an, leinte ihn ab und gab ihm das Suchkommando. Hektor machte einige Schritte nach vorne, blieb stehen, reckte die Schnauze in die Höhe — und lief nach links.

      „Hattest du nicht gesagt, dass wir rechts suchen sollen?“

      „Doch.“

      Peter fluchte, während er seinen Hund beobachtete, der weiter nach links lief, einige Kreise zog und sich dann fiepend neben einer Eisenplatte im Gras niederließ.

      „Dämlicher Köter! Kannst du nicht ein einziges Mal vernünftig arbeiten? So bestehst du die Prüfung nie! — Äh, Pjotr, was machst du da?“

      Während Peter sich in Flüche und Schimpftiraden hatte ergehen lassen, weil er fand, sein Hund versuche ihn zu ärgern, war Pjotr zu Hektor und der Eisenplatte hinüber gegangen. Nun lag er auf dem Bauch im Gras und schnüffelte an der Platte herum.

      „Komm mal her. Riechst du das auch?“

      Peter ging zu den beiden und tat es Pjotr gleich. An den Rändern der Platte nahm er einen leicht süßlichen Geruch wahr.

      „Weißt du, wozu die Platte hier liegt?“, fragte er Pjotr.

      „Hier gibt das überall größere Löcher und ehemalige Schächte. Ich glaube, die hat jemand zur Abdeckung hier hingelegt, damit keiner in so ein Loch reinfällt und das Land anschließend auf Schadensersatz verklagt.“

      Er zog zwei Paar Gummihandschuhe aus der Hosentasche und gab eins davon Peter.

      „Hier, hilf mir mal“.

      Sie zogen die Handschuhe an und rückten die Platte beiseite. Darunter befand sich tatsächlich ein kleiner Schacht, aus dem sie eine rotblonde Frau überrascht anschaute. Allerdings stimmte an dem Gesamtbild etwas nicht, denn auf ihrer Stirn prangte ein kleines, schwarzes Loch, das wie ein drittes Auge wirkte, aus dem sie blutige Tränen geweint hatte.

      Pjotr sah Peter an. „Was sagen unsere englischsprachigen Kollegen immer? Trust your dog.“

      ~

      Eine Stunde später herrschte reger Betrieb auf dem alten Militärgelände, da die beiden ihre Kollegen umgehend verständigt hatten. Handerson war gerade angekommen und ging auf Peter zu.

      „Was haben wir?“

      „Eine Frau mittleren Alters mit einem schönen runden Loch in der Stirn. Du findest sie da drüben“, gab Peter zur Antwort.

      „Dann wollen wir mal sehen.“

      Handerson ging in die Richtung, die Peter ihm gezeigt hatte. Der kleine, untersetzte Gerichtsmediziner, Morton Weidmann, saß über ein Loch gebeugt. Handerson ging zu ihm und schaute ihm über die Schulter.

      „Die kommt mir irgendwie bekannt vor.“

      „Wirklich?“ Weidmann sah ihn erstaunt an. „Wir wollten sie gerade da rausholen. Vielleicht fällt dir ja dann auch ein, wie sie heißt.“ Er gab seinen Kollegen ein Zeichen, die sich sofort daran machten, die Frau aus dem Schacht zu bergen. Nach einer kleinen Weile hatten sie es geschafft und die Tote in einen Leichensack gelegt. Jemand wollte gerade den Reißverschluss zuziehen.

      „Einen Moment noch“, sagte Handerson und ging zu dem Mann hinüber. Er kniete sich hin und betrachtete das Gesicht der Toten genauer. Ja, kein Zweifel, das war sie, wenngleich sie auf dem Foto, das er am Morgen gesehen hatte, noch einige Jahre jünger gewesen war.

      „Und? Kennst du sie?“, fragte der Gerichtsmediziner.

      „Ja, das muss Monique van Leeuwen sein. Warte mal.“ Er durchsuchte die Jackentasche der toten Frau und fand das Portemonnaie. Er öffnete es und holte ihren Ausweis heraus. „Ja, das ist sie. Hier, siehst du?“ Er hielt Weidmann den Ausweis hin.

      „Stimmt. Woher kanntest du sie?“

      „Ich kannte sie gar nicht. Hans Schreiber war vorhin bei mir im Büro und hat sie als vermisst gemeldet. Er hatte befürchtet, dass ihr etwas zugestoßen sei.“

      „Zu Recht wie wir sehen.“

      „Kannst du schon irgendetwas sagen? Außer dass sie erschossen wurde, meine ich? Das sehe ich selbst.“

      „Der Fundort scheint nicht der Tatort zu sein. An den Wänden des Schachtes ist kein Blut zu sehen. Und um den Schacht herum auch nicht. Aber sie scheint schon ein paar Tage da drin gewesen zu sein. Wenn hier draußen Blut war, kann es der starke Regen der letzten Tage auch weggewaschen haben. Aber da werden sich die Kollegen von der Technik später noch genauer mit beschäftigen. Kann ich jetzt fahren?“

      „Ja, fahr ruhig.“

      „Sagst du Schreiber Bescheid, damit er die Frau noch offiziell identifiziert?“

      „Ja, mache ich.“

      Carlshaven, Gerichtsmedizin, 14. März 2016, später Nachmittag

      Am späten Nachmittag betraten Handerson und Schreiber die große, weiße Villa aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Gerichtsmedizin untergebracht war. Das klassizistische Gebäude lag in einer parkähnlichen Grünanlage und Handerson wunderte sich jedes Mal über den krassen Gegensatz zwischen dem blühenden Leben im Park und dem prunkvollen Bau einerseits und dem Grauen, das das Gebäude in seinen tiefsten Tiefen beherbergte, andererseits. Sie begaben sich direkt zu Weidmanns Büro. Handerson klopfte.

      „Herein“, klang es von der anderen Seite der Tür. Der kleine, untersetzte Gerichtsmediziner war dafür bekannt, dass er meist schlecht gelaunt war und schnell einen cholerischen Anfall bekam, wenn ihm etwas nicht passte. Dass er am Vormittag eher guter Laune gewesen war, hatte Handerson erstaunt. Er hoffte, dass sich an diesem Gemütszustand in der Zwischenzeit nicht allzu viel geändert hatte. Zwar mochte er Hans Schreiber nicht besonders, aber es schien ihm an seiner Kollegin doch etwas gelegen zu haben. Zumindest hatte er zutiefst erschüttert gewirkt, als Handerson ihm die Nachricht überbracht hatte, dass die Vermisste wahrscheinlich tot sei. Ein miesepetriger Weidmann war vermutlich das Letzte, das der arme Kerl jetzt brauchte. Handerson öffnete die Bürotür und die beiden traten ein.

      „Ach, ihr seid das. Dann kommt mal mit.“

      Sie folgten Weidmann ins Untergeschoss, wo er ein Kühlfach aufzog und die Leiche aufdeckte.

      „Und?“, fragte er Schreiber.

      Der nickte und seufzte. „Ja, das ist Monique van Leeuwen.“ Ihm rollte eine kleine Träne über das Gesicht, als Weidmann die tote Frau wieder zudeckte und in das Kühlfach zurückschob.

      „Äh, Herr Schreiber, wir müssten Frau von Leeuwens Angehörige informieren. Wissen Sie, wie wir sie erreichen?“

      Schreiber sah Björn an. „Moniques Eltern sind vor einigen Jahren verstorben und Geschwister hatte sie keine. Die letzten Jahre hat sie auch alleine gelebt.“

      Handerson nickte stumm und begleitete Schreiber nach draußen. Vor dem Institut stand eine Bank. Schreiber ließ sich darauf sinken, verbarg das Gesicht in seinen Händen und fing an, zu weinen. Handerson wusste nicht genau wieso, aber er