Adrienne Träger

Endstation Containerhafen


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      „Oh, das ist aber schrecklich. Ja, wurde sie denn ermordet?“

      Handerson fand, dass Frau-von-und-zu nicht gerade einen besonders besorgten Eindruck machte. Die Frage zielte wohl eher darauf ab, beim nächsten Kaffeekränzchen mit den Freundinnen etwas Interessantes und Schauerlich-schreckliches erzählen zu können. Mit einer Ermordeten im Bekanntenkreis war sie dann vermutlich fortan die neue Königin der allwöchentlichen Kaffeegesellschaft.

      „Das können wir leider noch nicht sagen.“ Sie mussten der Nachbarin ja nicht gleich alles auf die Nase binden. „Wann haben Sie Frau van Leeuwen denn zuletzt gesehen?“

      „Mh, das war vor etwa zwei Wochen. Da ist sie abends um acht hier mit ihrem Auto weggefahren. Sie war ganz dunkel gekleidet. Das war so gar nicht ihre Art.“

      „Ach nein? Was war denn ihr bevorzugter Kleidungsstil?“

      „Na ja, sehr bunt.“ Frau von Hochstedt verzog das Gesicht. Ihrer Ansicht nach war der Geschmack der Verstorbenen wohl zu bunt gewesen und hatte nicht in dieses Viertel gepasst.

      „Sie sagten, Sie hätten sie vor etwa zwei Wochen zuletzt gesehen. Wissen Sie es noch etwas genauer?“

      Die alte Dame überlegte. „Es muss der Samstag gewesen sein. Ich weiß noch, dass ich anschließend einen Krimi im Fernsehen geschaut habe. Der läuft immer samstags.“

      „Da stehen Brötchen und eine Flasche Milch vor der Tür. Standen die dort die letzten zwei Wochen auch?“

      „Ja. Na ja, ich dachte, die ist wieder mal auf einem Auslandseinsatz und hat vergessen die Sachen abzubestellen. Daher habe ich das Zeug nach drei Tagen immer reingenommen.“

      Handerson rollte innerlich mit den Augen. Das war mal wieder typisch. Auf der einen Seite waren solche Leute überneugierig, aber bei so etwas dachten sie nicht besonders nach. Er war sich sogar ziemlich sicher, dass Frau-von-und-zu auch kein Problem damit gehabt hatte, Brötchen und Milch höchstselbst zu vernichten.

      „Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“

      „Nein. Was hätte mir denn auffallen sollen?“

      „Vielen Dank, Frau von Hochstedt. Wir werden uns jetzt im Haus von Frau van Leeuwen umsehen. Wenn wir noch Fragen haben sollten, dann kommen wir noch einmal auf Sie zu.“

      An dem Schlüsselbund war genau ein Schlüssel übrig, den Björn noch nicht ausprobiert hatte. Er hoffte inständig, dass es der war, mit dem sich die Haustür öffnen ließ, da er keine Lust hatte, sich weiter mit der Nachbarin zu unterhalten. Er hatte Glück. Während die drei in Windeseile im Haus verschwanden, machte Frau von Hochstedt einen langen Hals und versuchte, einen Blick ins Innere zu erhaschen. Björn schloss schnell die Tür.

      „Puh, warum sind Rentner eigentlich immer so nervig?“

      „Na komm“, sagte Anna, „immerhin wissen wir jetzt, dass sie vermutlich Samstagabend das letzte Mal gesehen wurde und eine für sie völlig untypische Kleidung trug.“

      „Die trug sie auch noch, als Hektor sie in dem Loch gefunden hatte“, ergänzte Peter. „Da sie zu ihrer Verabredung mit Schreiber am Tag darauf nicht aufgetaucht ist, muss sie wohl irgendwann in der Nacht zum Sonntag oder am Sonntagvormittag getötet worden sein.“

      „Ok“, sagte Björn. „Dann haben wir zumindest jetzt den Tatzeitpunkt etwas eingegrenzt. Bleibt immer noch die Frage, wo sie getötet wurde.“

      „Sag mal, diese Frau von Hochstedt hat davon gesprochen, dass Monique mit einem Auto weggefahren sei. Aber bei ihren Sachen war doch gar kein Autoschlüssel, oder?“, wollte Anna von Björn wissen.

      „Nein, da war keiner bei. Aber vielleicht hat die gute Frau sich auch getäuscht und das Auto steht in der Garage. Also los, lasst uns mal auf die Suche nach Hinweisen gehen.“

      Sie zogen sich Handschuhe an und durchsuchten das Haus. Einen Hinweis darauf, wo Monique an dem Abend hingefahren war, an dem sie zuletzt gesehen wurde, konnten sie allerdings nicht finden. Genauso wenig wie ein Auto. Der Laptop der Verstorbenen war das einzig Interessante. Nach einigen Stunden fuhren sie mehr oder weniger ergebnislos wieder zurück zur Dienststelle.

      Carlshaven, Büro der Mordkommission, 16. März 2016

      Das Telefon auf Handersons Schreibtisch schellte.

      „Handerson.“

      „Schreiber hier. Gibt es schon etwas Neues?“

      Handerson drehte innerlich mit den Augen. Der Reporter konnte sehr nervig werden. Jetzt, wo es um eine seiner Bekannten ging, würde er Handerson bestimmt noch mehr auf die Nerven gehen als sonst.

      „Nein, nicht wirklich. Aber können Sie mir ein Bisschen mehr über Ihre Bekannte erzählen? Was war sie für ein Mensch?“

      Schreiber seufzte. „Monique war toll. Sie war ein Kumpeltyp und auf sie konnte man sich immer hundertprozentig verlassen.“ Er machte eine Pause. Handerson glaubte, ein leises Schluchzen zu hören, dann sprach der Journalist weiter. „Sie liebte es, zu reisen und sprach mehrere Fremdsprachen. Vor ein paar Jahren war sie auch einmal für eine kurze Zeit als Auslandskorrespondentin für das Zweite Amberländische Fernsehen tätig.“

      „Wo denn?“

      „Ich glaube, es war Syrien. Vielleicht war es aber auch der Irak. Aber auf jeden Fall war es irgendein arabisches Land.“

      „Kann Frau van Leeuwen sich da Feinde gemacht haben?“

      „Mh, erfreut waren die über die kritische Berichterstattung aus dieser Region bestimmt nicht, aber wenn sie sich da wirklich Feinde gemacht hätte, hätte man sich ihrer dann nicht direkt entledigt? Ich meine, das waren auch schon vor sieben oder acht Jahren Krisenregionen und es wäre kein Problem gewesen, sie in einer solchen Situation verschwinden oder töten zu lassen, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hätte.“

      „Da haben Sie auch wieder recht. Gibt es sonst vielleicht jemanden, der irgendeinen Grund gehabt hätte, Ihre Bekannte zu ermorden?“

      Schreiber überlegte. „Nein, mir fällt da beim besten Willen keiner ein. Wenn überhaupt, dann hatte es etwas mit dieser Recherche zu tun. Aber wie gesagt, ich habe überhaupt keine Ahnung, um was es da ging.“

      „Trotzdem vielen Dank. So, ich müsste jetzt auch mal weiterarbeiten.“

      „Ja, natürlich, auf Wiederhören.“

      Schreiber hatte gerade aufgelegt, als Weidmann mit einer Aktenmappe unter dem Arm zur Tür hereinschlenderte.

      „Was machst du denn hier?“, fragte Handerson überrascht.

      „Och, ich dachte, ich bringe euch mal den Obduktionsbericht vorbei. Aber wenn ihr den nicht wollt...“

      Handerson starrte ihn ungläubig an. Normalerweise rief der Gerichtsmediziner nach Wochen übelgelaunt an und verlangte, dass der Bericht bitte persönlich bei ihm im Institut abgeholt werde. Nun stand er lächelnd und fröhlich dreinschauend in der Tür.

      „Äh...“

      „Was denn?“

      „Seit wann bringst du denn die Berichte höchstpersönlich im Präsidium vorbei?“

      „Wieso, ist das etwa verboten?“

      Handerson machte eine abwehrende Handbewegung. „Nein, nein. Alles gut. Das ist wirklich eine willkommene Abwechslung. Ich bin nur etwas überrascht.“

      Weidmann legte ihm den Bericht auf den Schreibtisch. „Sie wurde zwischen dem fünften und sechsten März getötet. Kopfschuss in die Stirn aus nächster Nähe. Der Bericht aus der KTU kommt noch, aber der Fundort war definitiv nicht der Tatort.“

      „Ok, aber irgendwelche Hinweise auf den Tatort kannst du mir wohl nicht geben.“

      „Nein. Aber wo sind eigentlich deine beiden Kollegen?“

      „Die beiden befragen die Nachbarn der Toten,