Carola Hipper

Clockwise - Reise durch Traum und Zeit


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langgezogenen Gebirgskette gebildet wurde. Im Südwesten schmiegte sich ein schier unendliches Steppen- und Savannenland an das rotgoldene Wüstenherz. In den südlichsten Gefilden aber, wo die Insel ihrem Schwesterkontinent am nächsten war, herrschte die Macht der Winde über bizarre Bergketten, liebliche Weintäler und endlose Sandstrände.

      Aurora verdankte ihren Namen den sagenumwobenen Sandwüsten, die das Herz des vergessenen Eilands bildeten. Wie gleißendes Gold ergoß sich das Sonnenlicht über Auroriens weichen Wüstensand. Jenen, die sie liebten und ihr voller Demut begegneten, öffnete die Insel ihre wundervollen Schätze. Selbst ihr karges Wüstenherz war reich an Nahrung für all jene, die »der Goldenen« ihr Schicksal bereitwillig anvertrauten. Doch jenen, die danach trachteten, Aurorien zu erobern, ihren Willen niederzuringen und ihre unermeßlichen Schätze zu rauben, brachte die Insel nichts als »den Goldenen Tod«.

      Als nun die Große Göttin den Urkontinent Gajapana teilte und seine Kinder, die Erdteile Euradon und Wanado ins Meer entsandte, waren zwei voneinander unabhängige Hemisphären erschaffen: das nördliche Thalamarrh und das Südland, Wanamarrh. So geschah es, daß auch der erste Ozean, das Äonische Meer, zerfallen mußte in das nördliche Panthalassa und Wanossa, die Südsee.

      Nachdem der zweite Schöpfungszyklus beendet war, sah die Große Göttin, daß es im Inneren des Erdballs noch immer wallte und brodelte. Da ließ sie das Erdreich erbeben, die großen Erdteile dehnten sich aus und zerbarsten. Auf diese Weise entstanden die Kontinente und die großen Ozeane. In jener Phase der Schöpfung waren die auf der südlichen Hemisphäre gelegenen Erdteile Aurora und Elyandria noch eng verbunden, während das nördliche Thetania sich bereits als selbständiger Kontinent von Gajapana abgespalten hatte. Bald darauf hatten sich auch Atlanada und Archatlanada voneinander gelöst, während Aurora mit dem Kontinent der Großen Schöpfer noch immer eine fest verbundene Einheit bildete.

      Doch Auroriens Erdenseele dürstete es nach Freiheit: Schwere Erdbeben und Vulkanausbrüche, gefolgt von schrecklichen Fluten, plagten das Land. Da entschied der Rat der Großen Ahnen, das Goldene Eiland freizugeben. Getrennt von Elyandria, ihrer kontinentalen Schwester, trieb Aurora gen Norden ins offene Meer. Lange Zeit blieb sie verschollen, ihr Name geriet in Vergessenheit. Die Bewohner der Zwischenwelt glaubten, die Goldene Insel sei im Ozean versunken, eingetaucht in die Arme der Zeit und auf ewig verschollen in den Fluten der Unendlichkeit.

      Nun geschah es im Jahre 1803 nach Zeitrechnung der Wolkenkinder, daß die altehrwürdigen Galaxanten auf der Erde landeten. Sie kamen, um sich mit den Großen Schöpfern zu beraten. Nach langer Konferenz und sorgfältigem Abwägen entschieden die Unsterblichen, daß die Welt nun bereit sei für den nächsten großen Schöpfungszyklus. Mit dem Eintreffen der Galaxanten hatte das zweite große Zeitalter begonnen, das die Wolkenkinder »Gaya« tauften. Die Ehrwürdigen waren gekommen, um den Großen Ahnen die Erschaffung der weltlichen Götter aufzugeben. In einer feierlichen Zeremonie überreichten sie den Havatheri zwölf Edelsteine. Auf dem Berg Pallas, dem höchsten Gipfel der Welt im schneebedeckten Mahilaya-Gebirge wurden die zwölf magischen Steine mit dem Atem des Göttlichen beseelt. Aus diesen zwölf Steinen wurden die zwölf Weltengötter geboren, die fortan das Schicksal der Menschheit und aller anderen Sterblichen dirigieren sollten.

      Die Mission der Galaxanten war damit beinahe erfüllt. Vor ihrer Abreise hinterließen sie der Welt sieben große Wunder und sieben große Gebote. Die sieben Weltwunder wurden gerecht über den gesamten Erdball verteilt, so daß jeder der sieben Kontinente eines der großen Mirakel sein eigen nennen durfte. Die sieben Gebote aber wurden in Form von Klangrunen in sieben Kristalle gegossen und in eine goldene Truhe gegeben. Unter den Großen Schöpfern herrschte Einvernehmen über die Tatsache, daß die Menschen und alle anderen Erdenbewohner noch nicht bereit waren, ihre Geschicke nach einer höheren Ordnung auszurichten. Also versahen sie die goldene Lade mit einem unsichtbaren Siegel und brachten sie nach Aurora, dem vergessenen Eiland.

      Damit aber ihr kostbarer Inhalt nicht entweiht oder gar geraubt werde, sollte die Truhe von drei unsterblichen Wächtern gehütet und so lange verborgen gehalten werden, bis die Kinder aller Sphären eines Tages bereit wären, ein gemeinsames Schicksal zu teilen.

       Layos von Argant

      Nachdem die Galaxanten die Erde verlassen hatten, blieb Aurora zwei volle Zeitalter verschollen, seine Schätze unentdeckt. Im Zeitalter Androchat endlich machte ein unerschrockener Abenteurer von sich reden: Layos von Argant, ein Menschensohn aus dem ruhmreichen Geschlecht der Phargonäer, zog aus, um neue Welten und unentdeckte Kontinente zu erobern.

      Eines Tages, nach Zeitrechnung der Wolkenkinder schrieb man das Jahr 9003, begab sich Layos mit einer kleinen Schar seiner treuesten Anhänger auf die Suche nach dem Wohnsitz der Großen Ahnen, dem Ventros Elyadrez. Der erhabene Berg befand sich auf dem sagenumrankten Kontinent Elyandria, den noch nie ein Menschenkind betreten hatte. Layos, der Weltenumsegler, hatte schon so manch unglaubliches Abenteuer bestanden. Als er den Hafen von Velos und damit sein Heimatland Libranûr hinter sich ließ, war er guten Mutes, den göttlichen Berg zu erobern.

      Das Schiff begann seine Fahrt mit gestrafften Segeln, die Elemente schienen Layos und seinen Mannen gewogen, und so dauerte es nicht lange, da erreichten sie die äußerste Spitze des Landes Vyndunaî. An diesem Punkt angelangt, gebot Layos seinen Navigatoren, den südlichsten Pol von Wanamarrh zu berechnen und diesen sogleich anzusteuern, denn dort vermutete er die Wiege der Schöpfung. Doch die Großen Ahnen beschieden ihm ein anderes Schicksal. Ultrizia, die göttliche Patronin der Elemente, brachte einen unentfliehbaren Wind gegen Layos auf, der das Schiff in seinen Bann zog und stetig gen Osten drängte.

      Unzählige Mondwechsel gingen dahin, längst hatten die Seefahrer den Äquator passiert und die südliche Hemisphäre erreicht, da gerieten sie in einen heftigen Sturm. Das Schiff ächzte und bäumte sich auf im Widerstand gegen die rasende See. Sieben Tage und sieben Nächte wüteten die Elemente, am achten Tag endlich beruhigte sich das Meer, und es kehrte Stille ein. Das Schiff aber bot einen traurigen Anblick: Mit gebrochenem Fockmast und zerfetzten Bramsegeln glich es mehr einem Wrack denn einer stolzen Brigg. Zu allem Unglück war der größte Teil der Vorräte über Bord gegangen, und das Geschick der Seeleute lag nun gänzlich in der Hand der Großen Ahnen.

      Die Besatzung war müde vom Kampf gegen die tobenden Elemente, die Süßwasserfässer leerten sich rasch, auch Brot und Salz waren bald aufgezehrt. Schon begann der Hunger hart an der Willenskraft der Männer zu zehren, da entschied Layos, dem das Wohl seiner Gefährten über alles ging, abzudrehen und in die Heimat zurückzusegeln, falls die Götter ihm nicht ein Zeichen der Hoffnung sandten. In der folgenden Nacht fand Layos keinen Schlaf. Er grübelte und fragte sich, ob es tatsächlich klug sei, die Reise so kurz vor dem ersehnten Ziel abzubrechen.

      Endlich stand er auf und begab sich an Deck. Die Luft war kühl und klar, da blickte Layos zum Himmelszelt empor und erflehte der Götter Gnade. Plötzlich sah er ein wunderbares Licht am Nachthimmel aufgehen. Es war ein Stern, dessen blauschimmerndes Licht heller und strahlender leuchtete, als alle anderen Sterne am Firmament. Gleich einem majestätischen Leuchtfeuer pulsierte der blaue Riese am Himmelsgewölbe. Layos glaubte, den Göttern mit seinem Flehen ein Zeichen entlockt zu haben und befahl seinem Navigator, dem blauen Stern zu folgen.

      Zehn weitere Tage segelte das Schiff dahin, bis von der Großmastspitze ein schicksalhafter Ruf ertönte: »Das Festland ist nah! Das Festland ist nah! Die weißen Milane! Sie segeln gen Osten!«

      Und tatsächlich: Als Layos seinen Blick zum Himmel aufrichtete, bemerkte er hoch über seinem Haupt drei adlergleiche Raubvögel. Majestätisch und unberührbar, wie mit der Morgenröte des Himmels verschmolzen, glitten sie dahin. Das hoheitsvolle Dreigespann bewegte sich in südwestlicher Richtung, die weißen Schwingen weit ausgebreitet, so schwebten die göttlichen Wesen hinfort. Dabei schien ihr Flügelschlag einem vorgegebenen Rhythmus zu folgen, ja, beinahe sah es aus, als folgten die edlen Tiere einem unhörbaren Lockruf.

      »Das Ziel ist nah!« rief Layos freudig aus. »Es ist ein Wink der Götter! Steuermann! Hoch am Wind! Folgt der himmlischen Triade!« befahl er mit entschlossener Stimme. Der Navigator korrigierte den Kurs entsprechend seinem Befehl, der Steuermann schlug das Ruder hart nach backbord und der Maat ließ die Segel dichtholen. Die Brigg ächzte wie ein gequältes Tier,