Carola Hipper

Clockwise - Reise durch Traum und Zeit


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Urteils verkündete:

      »Mein Herz ist schwer, nun, da ich euch, meinen teuren Freunde, das Todesurteil verkündigen muß: Königin Irhavana fordert euer Leben im Austausch für die Freiheit unserer übrigen Gefährten. Doch eine letzte Gunst konnte ich der Herrscherin abringen: Jeder unter euch darf selbst bestimmen, wie er zu Tode kommen will! Wählt weise, meine Freude!«

      Theonas, der Jüngste und zugleich Klügste unter den Mannen des Layos, entschied sich als erster. Mit fester Stimme sagte er: »Ich wähle den Gifttod! Man möge das Lippenrot meiner Gemahlin mit dem tödlichen Stoff benetzen. Von ihren süßen Lippen möchte ich den Kuß des Todes empfangen, denn meiner Gemahlin allein gebührt das Recht der Vollstreckung!«

      Was die Königin nicht ahnte, war, daß der schöne Theonas nicht verheiratet war. Seinen engsten Vertrauten war nicht lange verborgen geblieben, daß er der Weiblichkeit abschwor. Theonas Liebe galt dem Jüngling Osastros, der in der Heimat auf seine Rückkehr wartete. Es war nun also höchst unwahrscheinlich, daß Theonas jemals seine wahre Natur verleugnen und eine Frau zu seiner Gemahlin erwählen würde. Als nächster trat Godehard vor und sagte beherzt:

      »Ich will von der Hand meines leiblichen Bruders gerichtet werden. Mögen die Götter mir gnädig sein!«

      Ein kaum merkliches Lächeln glättete die Züge des Layos, denn er wußte, daß Godehard keinen Bruder besaß. Seine Eltern waren kurz nach seiner Geburt gestorben. Geschwister hatte er nicht. Es gab keinen Bruder, von dessen Hand er gerichtet werden konnte. Zuletzt war die Reihe an Arialdus. Hatte auch er die List, mit der sein Anführer die königliche Aufgabe zu hintergehen suchte, durchschaut? Würde auch ihm eine Lösung einfallen? Arialdus bedachte sich einige Augenblicke, bevor er mit ruhiger Stimme zu sprechen begann: »Höret nun meinen Todeswunsch: Ich möchte an den Gebrechen des Greisenalters sterben.«

      Bei diesem Ausspruch begriff Königin Ihravana, daß sie einer Täuschung aufgesessen war. Tiefes Schweigen hatte von den Anwesenden Besitz ergriffen. Die Männer waren auf einen Zornesausbruch der Regentin gefaßt, doch nichts dergleichen geschah. Zu ihrer Verwunderung erhellte ein Anflug von wissender Genugtuung die gestrengen Züge der Herrscherin. Endlich sagte sie:

      »Layos von Argant! Es bedarf großen Mutes, dem Willen einer Königin zu trotzen! Doch sei versichert, Sohn Libranûrs, daß es niemals mein Bestreben war, deine Gefährten hinrichten zu lassen. Der Zweck der letzten Aufgabe bestand einzig darin, deine Gesinnung zu prüfen. Du hast dich als würdig erwiesen, meinen letzen Urteilsspruch zu hören: Du bist frei! Und mit dir deine Gefährten! So gehe hin, und berichte der Welt von Aurorien, dem vergessenen Eiland, und von seinen Schätzen. Viele werden nun aufbrechen, um in deinen Fußspuren zu wandeln. Doch wehe denen, die kommen werden, um sich das vedayanischen Volk zu unterwerfen und Auroriens Schätze zu rauben! Ihnen droht ein Schicksal grausamer als der Tod!«

      Die Königin ließ Layos und seine Mannen großzügig mit Gold und Juwelen beschenken. Sie überließ ihm eines der prächtigsten Schiffe ihrer Flotte und versorgte ihn reichlich mit Vorräten für die Rückreise.

       III. Mordogar und das Orakel von Volon

      Layos von Argant kehrte als strahlender Held in die Heimat zurück. Die Kunde von seinen Heldentaten auf dem Goldenen Kontinent verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und bald zogen Eroberer und Piraten aller Länder des Nordens aus, es ihm gleich zu tun und die Schätze Auroriens zu entdecken. Zahllose Schiffe verließen ihre Heimathäfen, doch nur wenige fanden den Weg in den fernen Süden. Einige mußten vor der Zeit umkehren, weil ihnen die Vorräte auszugehen drohten, andere zerschellten in der tobenden See. Die Jahre gingen ins Land, doch keiner der Weltenumsegler kehrte in die Heimat zurück. Die sagenhaften Reichtümer des aurorischen Königshauses wurden zur Legende. Immer mehr Abenteurer zogen aus, das Goldene Eiland zu erobern. Die wenigen, die die Küste Auroriens erreichten, wurden von der vedayanischen Armada vernichtet. So kam es, daß die Geschichten, die sich um das ferne Aurorien rankten, langsam zum Mythos wurden. Der Mythos aber gebar immer mehr unglaubliche Legenden um Auroriens Heiligtümer.

      Nun wollte es das Schicksal, daß das Zeitalter Androchat, das als die Epoche der Weltenumsegler galt, eine Vielzahl von Kriegen über die nördlichen Kontinente brachte. Mit Anbruch des Zeitalters Bandachat im Jahre 10312 kehrte endlich Frieden ein, doch es war ein scheinheiliger Friede, dem kein Volk nördlich des Äquators trauen wollte. Die Einwohner der südlichen Hemisphäre waren es müde, ihr Land gegen immer mehr und mehr feindliche Eroberer zu verteidigen. Die Völker des Nordens aber waren führungslos.

      Man schrieb das Jahr 10933, da begann der grausame Mordogar, Herrscher über Luanór, die Grenzen seines Königreiches gen Osten auszudehnen. Es brauchte nur wenige Jahre, bis er die Fürsten der Nachbarländer ausnahmslos entmachtet und sich ihre Ländereien angeeignet hatte. Mordogars Reich dehnte sich weit über das östliche Arboratien bis nach Saragoz aus. Doch sein Eroberungswille kannte keine Grenzen. Bald hatte er das gesamte Nordland unterworfen, die vereinnahmten Territorien hielt er mit seinen Truppen in Schach. Es folgte die Eroberung der südlichen Kontinente. Binnen weniger Jahre erstürmte Mordogar nahezu die gesamte südliche Hemisphäre. Die Staatsoberhäupter der besiegten Länder ließ der Tyrann gnadenlos hinrichten. Mordogar machte keine Gefangenen: Gleich, ob Sultan, König oder Großkhan, sie alle waren des Todes, sobald auf den Zinnen ihrer Burgen, Schlösser und Paläste das Banner Luanórs wehte.

      Im Jahre 11106 nannte sich Mordogar »Imperator über das vereinigte Weltreich«. Lediglich zwei Königreiche hatte er nicht unterwerfen können. Es waren das vedayanische Reich auf der Großinsel Aurora und die kleine, aber uneinnehmbare Eisinsel Asturien nahe dem Nordpol. Während Asturien im hohen Norden hartnäckig Mordogars Belagerung standhielt, blieb die Südseeinsel Aurora unauffindbar für die Schiffe des Imperators. Alle anderen Königreiche hatte der Despot bereits unterjocht und ihre Völker dem gnadenlosen Gesetz der Tyrannei unterworfen. Sein Machthunger aber, blieb unstillbar. Mordogar trachtete nach dem uralten Wissen, das dereinst von den Galaxanten zur Erde gebracht worden war. Das Wissen der Altehrwürdigen ruhte, verborgen in einer goldenen Lade, auf der verschollenen Insel Aurora, gut gehütet und streng bewacht vom vedayanischen Volk.

      Im Herbst des Jahres 113 des zwölften Jahrtausends begab sich der Imperator nach Arcardor, um das Volonische Trigonon zu befragen. Das Orakel bestand aus drei weisen Frauen, die aus den Wassern der drei magischen Brunnen von Volon die Zukunft lasen. Die Prophezeiung, die Mordogar dem Orakel entlockte, lautete: »Wenn du ausziehst, das vedayanische Reich zu erobern, so wirst du Unsterblichkeit erlangen, und fünf Kontinente sollen deine Saat tragen.«

      Der Imperator frohlockte, glaubte er doch, er werde die Vedayana in der Schlacht besiegen und durch die Eroberung der Großinsel Aurora Weltruhm und damit Unsterblichkeit erlangen. Mit Einnahme der Insel werde er die vedayanische Königin bezwingen, sie gewaltsam zur Frau nehmen und mit ihr fünf Erben zeugen, die die fünf größten Kontinente in seinem Namen verwalten würden, so glaubte er. Ja, Mordogar war sich sicher, daß der Orakelspruch ein Wink der Götter sei. Mit einer Flotte von hundert Schiffen zog er gen Süden aus, das Eiland zu erobern. Ein lebhafter Wind trieb die Abenteurer vorwärts, und bald umschifften sie glücklich den Kontinent Atlanada. Von der südlichsten Spitze Atlanadas segelten sie weiter in nordöstlicher Richtung. Viele Mondwechsel gingen dahin, bis Mordogars Krieger Land sichteten.

      Die Silhouette einer prachtvollen Insel, umgeben von purpurrotem Wasser, erschien am Horizont. Vom Himmel fiel das bizarre Licht einer blaßgrünen Sonne hinab auf einen tiefblauen Sandstrand. Das fremde Eiland war zum Greifen nah, schon glaubten sich die Männer am Ziel ihrer Reise. Da gewahrten sie plötzlich einen wundervollen Gesang. Selbst der Gott des Himmels schien den Atem anzuhalten, so herrlich war die Melodie, die sanft über den Ozean hinschwebte.

      Nicht lange, da erblickten die Seefahrer die Verursacherin der engelgleichen Klänge: Auf einem Felsvorsprung hoch über dem Wasserspiegel saß die wunderbare Sängerin und entbot den Abenteurern einen wahrhaft bezaubernden Anblick. Nahe einer weißen Palme thronte die schönste Tochter des Pallas, die Weltengöttin Astrahar. Die Göttin der Liebe badete ihre milchweiße Haut im Sonnenlicht. Zu ihren Füßen kniete der Jüngling Orionos, auf seinem Schoß eine silberne Harfe, der er mit zarter Hand eine vollkommene Melodie entlockte. Orionos,