Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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wollte. Aber eins wusste er über die Nordmänner. Sie liebten ihre Nachkommen abgöttisch. Darum fragte er, welcher meiner Onkel, der Lieblingsonkel sei.

      »Onkel Ásgrímur in Niðaróss«, entgegnete ich daraufhin.

      Wieder besprach das Trio in ihrer ausländischen Sprache die Lage. Ich witterte Morgenluft, als ich den Namen Niðaróss vernahm. Sollte es mir gelungen sein, sie zu manipulieren?

      Wieder ergriff der Narr das Wort: »In Ordnung, wir werden dich zu deinem Onkel Ásgrímur bringen. Aber eins ist klar: Wer essen will, der muss auch arbeiten! Du wirst uns unterstützen und nicht nur auf der faulen Haut herumliegen. Übrigens, wie heißt du Bengel überhaupt?«

      »Ragnor Skryrmirson. Und ihr?«, fragte ich.

      »Ich bin Bento, der Große ist Luigi, und die Schöne, das ist unsere Galatea«, stellte er die Truppe vor.

      »Galatea… Was für ein wunderschöner Name...«, schwärmte ich. »Woher kommt er? Und woher kommt ihr? Solche, wie euch, habe ich bisher noch nie gesehen.«

      Offensichtlich war Bento der Wortführer dieser illustren Truppe. »Luigi kommt von der Insel Sardinien, er ist ein Eisenbieger. Ich bin von der Insel Sizilien, und Galatea ist von einer winzigen Insel namens Lampedusa. Wir sind vom Süden bis hier in den Norden hinaufgefahren.«

      »Aha, und warum?«, wollte ich wissen.

      »Weil wir eben Lust dazu hatten. So wie du Lust hattest, selbst ein Abenteuer zu erleben. Wir sind frei wie die Vögel und gehen eben dort hin, wohin uns die Laune so treibt.«

      »Aha, und was ist das für ein seltsamer Name? Galatea?«

      Endlich richtete die Schöne ihr Wort an mich. Ich war so dankbar, sie dabei unverhohlen beobachten zu dürfen. Ihre Haut war weiß wie Elfenbein, ihre Augen schwarz wie Ebenholz, das Gleiche galt für ihr Haar. Aber ihre Lippen! Sie waren rot wie Blut. »Der Name Galatea kommt aus dem Griechischen. Ovid erzählte von einem Bildhauer namens Pygmalion, der von den Frauen enttäuscht war, die er kannte. Sie waren Propoetiden«, erzählte sie geduldig.

      »Propoetiden?«, echote ich. »Was soll das sein?«

      »Unredliche Damen. Davon verstehst du noch nichts, mio Piccolo. Pygmalion erschuf eine Frauenfigur aus Elfenbein und betete diese förmlich an, weil sie so reinen Wesens war. Venus hatte Mitleid mit diesem fehlgeleiteten Künstler und belebte diese von ihm angebetete Figur. Sie stieg vom Sockel. Und diese Dame trug den Namen Galatea«, endete ihre Erzählung. »Ragnor, mein Kleiner?«, fragte Galatea. »Was kannst du? Wie könntest du uns nützlich sein und dich einbringen?«

      »Bitte, nenn mich nicht Kleiner! Für einen Achtjährigen bin ich ziemlich groß!« Mir war es peinlich, dass sie in mir ein kleines Kind sah. Ich wollte ihr gefallen. Für sie hätte ich einfach alles getan. »Ich kann Fische fangen. Nur gut laufen, das kann ich momentan nicht. Ich habe mir schreckliche Blasen gelaufen!«, zeigte ich gequält auf meine wunden Füße.

      Bentos Alter Ego gackerte. »Stell dich nicht so an, dann laufe eben auf den Händen!«, sagte er und demonstrierte sogleich, wie so etwas funktionierte.

      »Kann ich nicht!«, nörgelte ich zurück.

      »Dann wird es Zeit, so etwas Wertvolles zu lernen!«, gab er mir daraufhin Kontra.

      Zum Glück zeigte sich die schöne Galatea gnädig und bereitete eine Arznei für meine gequälten Füße zu. Im Heiligtum machte ich bereits Erfahrungen mit der Heilkunde, jedoch dieses Zaubermittel, welches die Schöne für mich fertigte, stellte alles andere in den Schatten. Gleich nachdem sie die Salbe auftrug, begannen meine Füße augenblicklich zu heilen. Es grenzte beinahe an ein Wunder. Und als ich ihnen dankbar Fische fing, konnten wir beim Abendessen meinen Einstand in die Truppe feiern.

      *

      Wer das Abenteuer sucht, braucht nur ein paar Rechnungen nicht pünktlich zu zahlen.

      (Anonym)

      Mein Sohn machte große Augen. »Dann hast du eine Weile bei den Spielleuten gelebt? Kannst du auch jonglieren?«

       »In der Tat. Mit Telekinese sogar freihändig. Ich glaube so manches Kind wünscht sich, wenn es den Zirkus besucht, einmal genauso zu sein, wie die Artisten, und ebenso zu leben. Nun ja, wir lebten nicht gerade wie die Maden im Speck und konnten froh sein, wenn für uns ein paar Münzen abfielen. Du musst dir vorstellen, die Siedlungen waren damals weit gestreut und hatten nur in etwa zweihundert Bewohner. Und da ich der Kleinste der Truppe war, bettelte ich mit großen Kinderaugen vor allem die Frauen um Brot und Getreide an. Viele hatten Mitleid und steckten mir dann und wann ein Ende von einer Wurst, oder etwas Käse zu. An glücklichen Tagen gab es sogar ein Stückchen Honigkuchen. Selbstverständlich wurde alles brüderlich untereinander aufgeteilt. Zudem lehrte mich Bento wie man jonglierte, auf den Händen ging und - davon war ich ziemlich begeistert - präzise Messer zu werfen. Natürlich brachte ich mich in die Truppe ein und trat mit ihnen auf, um anschließend mit der Mütze umherzuwandern und unseren Lohn einzufordern. Luigi beneidete ich ganz besonders. Irgendwann wollte ich mal genauso stark sein wie er. Er konnte mit bloßen Händen Hufeisen verbiegen. Auf eines war ich jedoch besonders stolz: Ich durfte sogar nachts im Wagen schlafen. Eigentlich dachte ich, die schöne Galatea würde mit mir das Bett teilen, doch seltsamerweise schlief sie meistens tagsüber, bis wir die nächste Siedlung erreichten. Sie behauptete, sie sei eine Nachteule und wäre gerne lange wach. Deshalb sei sie lieber nachts unter freiem Himmel. Zudem hatte sie noch eine seltsame Marotte: Niemals sah ich sie irgendetwas essen. Nun ja, jedem das Seine. Ich wusch, kochte und putzte für die Truppe. Sie akzeptierten mich, ganz so, wie ich war. Sie versuchten nicht, mich umzuerziehen, oder an mir herumzunörgeln, oder gar mit einem bespuckten Taschentuch an meinem Gesicht herum zu reiben. Ich durfte rülpsen, furzen und in der Nase bohren.«

      »Hey! Wieso darf ich das dann nicht?«, fragte Agnir.

      »Wenn du Geld verdienst, kannst du nochmal anfragen!«

      »Okay, das könnte noch ein Weilchen dauern. Erzähl doch bitte weiter!«, drängte er.

      Manchmal fühlte ich mich allerdings ein wenig zerrissen. Selbstredend wollte ich wieder nach Hause zu meiner Mutter und meinen Geschwistern. Nichts wünschte ich mir sehnlicher; selbst wenn mein Vater ein Donnerwetter auf mich niederregnen lassen würde. Vielleicht wüsste Numa, das mich erwartende Unheil zu verhindern, das hoffte ich jedenfalls. Trotzdem stand nicht hundertprozentig fest, dass ich dort auch wirklich bleiben dürfte. So gesehen drohte mir, wieder nach Uppsala zurückgeschickt zu werden. Immerhin hatte ich meinem Vater wenig Ehre gemacht, und da ich gegen seinen Willen handelte, konnte ich ernsthaft damit rechnen, von ihm verstoßen zu werden.

      Andererseits machte es mich ein wenig traurig, meine neu gewonnenen Freunde irgendwann verlassen zu müssen. Aber was will man machen? Leider kann man nicht alles haben, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Falls mein Vater mich verstieß, würde ich die Truppe suchen und mich ihnen wieder anschließen. Das war zumindest eine annehmbare Option.

      Am Lagerfeuer erzählte mir das Trio fantastische Geschichten darüber, was sie schon alles erlebt hatten. Selbst am Kaiserhof in Aachen gaben sie eine Vorstellung.

      »Und wie ist der Kaiser Karl so? Ich hörte, er schlachtet Heiden ab!«, wollte ich unbedingt wissen.

      »Was glaubst du wohl? Wären wir hier, wenn wir keine treuen Christenleute wären? Der Kaiser war nobel in Gold und Purpur gekleidet und ist wirklich ziemlich groß. Na ja, sonst würde er wohl kaum Karl der Große heißen!«, beschied Bento, der selbst kaum größer als eins fuffzig war.

      Luigi brummte. »Er fand uns amüsant, gab uns zu essen und warf uns ein paar goldene Münzen zu.«

      »Echt? Ihr seid Christen?«, fragte ich ungläubig. Bisher sah ich noch niemals welche. Außer eben die geopferten Mönche, oder unsere Mathilda.

      »Natürlich, nur spielt der Glaube bei uns keine große Rolle«, nickte Bento. In meinen Augen war er sowieso ein geflohener Zwerg, der nichts vom Graben hielt.

      »Aha. Stimmt es, dass Karl der Große in einem