Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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reagierte nicht so, wie ich es vermutet hatte: »Na, na, Ragnor. Kein Problem. Wir sind Artisten. Für uns gibt es keine Schwierigkeiten - wir lösen sie. Wir kommen überall rein, sogar hinter die Linien! Kopf hoch!«, munterte er mich auf, indem er mir Alter Ego unter das Kinn knuffte. Sofort schöpfte ich wieder ein wenig Hoffnung.

      Wieder schaute ich mich um: »Worum geht es hier eigentlich? Du musst wissen, die Erwachsenen halten uns Kinder für Idioten. Mir haben sie nicht verraten, wieso sie überhaupt hier sind. Nur, dass morgen das Ting abgehalten wird.«

      »Soweit mir berichtet wurde, geht es um eine Abstimmung, nämlich ob sie gegen König Gødrik in die Schlacht ziehen, oder eben nicht. Er muss irgendetwas fürchterlich Blasphemisches getan haben, so wie hier alle auf Krawall gebürstet sind«, berichtete Bento kopfschüttelnd.

      »Äh, was ist Blasphemisch?«, wollte ich wissen.

      »Ihr Heiden…«, verdrehte er die Augen. »Blasphemie ist, wenn jemand gegen heilige Gesetze verstößt«, erklärte er.

      »Aha! Was hat er denn...«

      Weiter kam ich nicht, weil ein Horn ertönte. Von unserer Anhöhe konnten wir erkennen, wie mehrere Langschiffe in den Fjord einliefen. Sofort ertönte ein Lärm, der es uns nicht mehr ermöglichte, eine vernünftige Unterhaltung zu führen. Alle Anwesenden schlugen mit ihren Schwertern oder Äxten auf ihre Schilde. Speerträger stampften mit den Speerschäften auf den Boden. Dabei riefen sie ununterbrochen: »Krieg, Krieg, Krieg…«

      Offensichtlich stand ihr Entschluss bereits fest.

      Ein Langschiff hatte ein besonders auffälliges Segel; ein riesiger roter Drache prangte darauf. »Das ist das Boot meines Vaters und mein Onkel ist auch dabei!«, rief ich hocherfreut und rannte ohne zu zögern zum Anleger hinunter. Wieder einmal schien das Pech recht zähflüssig an mir zu haften, denn es gab kein fortkommen. Alles drängte sich, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Dabei machten sie immerzu diesen ohrenbetäubenden Lärm. Ich wollte mich bis in die erste Reihe durchdrängeln, doch so ein ungehobelter Kerl schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Taumelnd fiel ich auf den Hosenboden. So schnell es ging, rappelte ich mich wieder auf, um durch die Beine der Umstehenden zu krabbeln, jedoch packte mich jemand am Gürtel - und unversehens fand ich mich in den hinteren Reihen wieder.

       »Papa! Papa!«, rief ich immer wieder. Nur konnte er mich bei diesem Lärm nicht hören. Zum Glück reagierte meines Vaters Hund auf mich. Er bahnte sich wedelnd seinen Weg durch die Menge. »Hey, Hati!«, rief ich erfreut. Doch dann ertönte ein schriller Pfiff. Daraufhin klemmte der Hund den Schwanz ein und machte schleunigst kehrt. »Oh, Mann! Das glaube ich doch nicht! Scheiß die Wand an!«, fluchte ich. Schnell versuchte ich Anschluss zu finden, winkte, hüpfte und bemühte mich redlich, zu meinem Vater vorzudringen, wurde aber dabei von seinen Gefolgsleuten abgedrängt. Und dann erreichten sie die Festung - und die Tore schlossen sich hinter ihnen. Bedrückt wanderte ich wieder zum Rummelwagen.

      »Und? Hast du deinen Vater gesehen?«, fragten Bento und Luigi. Sie nickten verschwörerisch Richtung Wagen. Galatea hatten wir vorsichtshalber in der Kutsche versteckt, da wir sie nicht einem Haufen betrunkener Wikinger ausliefern wollten.

      Wir kletterten in den Wagen, um uns in Ruhe zu besprechen. Ich war am Boden zerstört, weil ich das Gefühl hatte, das Schicksal wolle unbedingt verhindern, dass ich zu meinem Vater gelangte. Galatea legte tröstend ihre Arme um mich. Die Nähe tat mir gut. Trotzdem hatte ich nichts Positives zu vermelden: »Ich habe meinen Vater und auch meinen Onkel gesehen. Nur haben mich die anderen nicht an sie herangelassen. Sie tobten wie die Verrückten. Meinen Vater habe ich beinahe nicht wiedererkannt. Von zuhause kenne ich ihn als gelösten und freundlichen Mann, aber hier erschien er mir völlig fremd. Gänzlich anders, so gravitätisch und streng. Sie haben ihn begrüßt wie einen König. Ich bin total verwirrt und habe, ehrlich gesagt, ein bisschen Bammel, wie er reagieren könnte, wenn er mich sieht!«, gab ich zu.

      Galatea klopfte mir aufmunternd die Schulter. »Kopf hoch, Ragnor. Wir hätten es schlimmer erwischen können. Stell dir mal vor, diese Kerle wären alle Feinde deines Vaters.«

      Sie wandte sich an die Herren. »Bento, wir fahren bis vor das Tor der Festung. Wenn wir da sind, werde ich aussteigen und vorschlagen, die hohen Herren zu bespaßen. Also, lasst uns losfahren!«, schlug sie optimistisch vor.

      »Wie du wünscht, meine Schöne«, sagte Bento und verschwand durch die Wagentür, nahm Lulus Zügel auf und schon rumpelten wir los.

      »Der Typ am Tor, er wird mich wiedererkennen und nicht reinlassen!«, befürchtete ich.

      »Ach, was!«, sagte Galatea, setzte mir Bentos Ersatz-Narrenkappe auf, stopfte mein langes, rotes Haar darunter und schminkte mein Gesicht mit weißer Paste; malte mir schwarze Rauten über die Augen und schmierte rote Farbe auf meine Lippen. Fehlte nur noch eine E-Gitarre und ich hätte bei der Rockgruppe Kiss mitmachen können. Zum Glück gab es die damals noch nicht, sonst wäre mein Leben sicherlich anders verlaufen. So ausstaffiert hätte mich nicht mal meine eigene Mutter wiedererkannt, geschweige denn gewaschen.

      »Halt!«, hörte ich den Befehl von Einar, oder Steinar Magnusson. »Was soll das werden, wenn es fertig ist?«, wollte er wissen. Galatea öffnete den zweiten Knopf ihrer Bluse und kletterte durch die Wagentür nach vorn.

      Bei ihrem Anblick strich Magnusson unwillkürlich über seinen struppigen Schopf, um ihn ein wenig zu glätten und ansehnlicher zu machen.

      »Hallo«, sagte Galatea mit ihrer hypnotisch schönen Stimme.

      »Aber hallo!«, sagte Magnusson. »Ähm... was ist euer Begehr?«, fragte er schon wieder etwas förmlicher, dennoch zuvorkommend freundlich, und dabei auf ihr Dekolleté glotzend.

      »Wir sind Spielleute und halten es für eine gute Idee, die hohen Herren zu bespaßen. Was sagst du dazu?«, fragte Galatea und starrte Magnusson, ohne zu blinzeln, in die Augen. Der Kerl vor dem Tor blickte Galatea an, wie ein paralysiertes Kaninchen eine Schlange.

      »Ja, Spielleute seid ihr. Hey, ich habe eine Idee, wie wäre es, wenn ihr die hohen Herren bespaßt? Sie nehmen gerade an einem Abendessen teil, vielleicht fällt für euch, statt für die Hunde, ein wenig vom Festmahl ab?«, schlug er vor.

      Die Schöne nickte. »Ja, das ist eine ganz hervorragende Idee. Öffne das Tor«, riet sie ihm.

      »Öffnet das Tor!«, rief Magnusson im Befehlston. Innen wurde ein Riegel fortgezogen und das Doppeltor schwang auf.

      Bento gab Lulu die Zügel. Rumpelnd setzte sich der Jahrmarktswagen in Bewegung.

      »Halt!«, rief Magnusson plötzlich. Sofort ergriff mich ein banges Gefühl. »Was habt ihr da im Wagen?«, wollte er wissen.

      »Den großen und den kleinen Luigi«, antwortete Galatea ungezwungen und öffnete die Tür, damit Magnusson einen Blick hinein werfen konnte, was er auch unverzüglich tat.

      »Du lügst!«, behauptete Magnusson, »Ich sehe nur einen riesigen und einen winzigen Luigi!«, lachte er amüsiert, wobei er mich augenscheinlich nicht wiedererkannte. »Weiterfahren!«, befahl er und wir setzten uns wieder in Bewegung. »Aber bleibt auf dem Gelände der Vorburg! Sobald ihr dran seid, sagt der Hausmeier euch Bescheid!«

      »Geht klar!«, winkte Galatea und warf ihm eine Kusshand zu, bevor sich die Tore hinter uns krachend schlossen.

      »Ha, ha. Winziger Luigi? Wie weit soll ich eigentlich noch sinken?«, beklagte ich mich bitterlich. »Wie hat Galatea das gemacht?«, wollte ich vom riesigen Luigi wissen.

      Der Riese zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, ich denke, das ist ihr Charme. Dem kann sich keiner entziehen. Vor allem nicht, wenn er Augen im Kopf hat, und sie einen Knopf mehr an ihrer Bluse öffnet!«, grinste er errötend.

      Jetzt meldete sich wieder Bento zu Wort: »Ich wusste gar nicht, dass unsere Lulu ein trojanisches Pferd ist! Na, habe ich nicht gesagt, dass Probleme dazu da sind, um sie zu lösen? Wir sind drin! Nichts steht mehr der glücklichen Familienzusammenführung im Wege! Hey, wenn du wieder mit deinem Vater abhaust, dann lässt du aber meine Kappe hier!«, frotzelte er.

      »Die kannst