Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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Gebete an die Götter zu senden.

      Und weil an diesem Tag die Priester alle Hände voll zu tun hatten, durfte ich einem Verletzten die Wunde vernähen, die aussah, als wäre sie ihm durch einen Schwertstreich verpasst worden. Der Kerl wirkte kernig und war in Topform, besaß mehr Narben als Finger und machte den Eindruck, als würde er solche halben Portionen wie mich, kurzerhand zum Frühstück verspeisen. Ihm fehlte, genauso wie meinem Vater, ein Auge. Also versuchte ich ihn, während ich seine Wunde mit Kräutertinktur reinigte und anschließend mit kleinen Stichen vernähte, nach Leibeskräften auszuquetschen, um so viel wie möglich von seinem Wissen als Krieger zu profitieren. Ich musste zugeben, dass ich unseren verrückten Ausbilder Arnulf schrecklich vermisste. Und sobald ich zum Reisig sammeln ausgeschickt wurde, holte ich, mit einem gewöhnlichem Stock, mein mir so vertrautes Schwerttraining nach.

      »Hast du im Süden für König Gødrik gekämpft?«, versuchte ich meine Stimme so belanglos wie möglich klingen zu lassen.

      »Ja, ich kämpfte an der Grenze gegen die Truppen vom alten Karl. Habe dabei keinen einzigen Kratzer abbekommen!«, prahlte der Krieger, der nicht einmal das Gesicht verzog, als ich in sein Fleisch stach. »Wie alt bist du? Zehn?«, fragte er.

      »Acht«, antwortete ich.

      »Du bist sehr groß für den Alter«, bemerkte er.

      »Mag schon sein. Und wie bist du zu dieser Wunde gekommen?«, fragte ich höchst interessiert. »Entschuldige meine Neugier, ich will nämlich ebenfalls mal ein großer Krieger werden«, sagte ich aus meiner kindlichen Naivität heraus.

      »Diesen Hieb hat mir ein Kerl beim Würfeln verpasst. Ha, ha, ha! Behauptete, ich hätte ihn betrogen!«, lachte er. »Junge, kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«

      Ich hielt mit meinen Näharbeiten inne. »Natürlich, wir sind hier im Heiligtum Uppsala, nichts dringt nach draußen.«

      »In Ordnung. Er hatte recht gehabt - ich habe ihn beim Würfeln beschissen, weshalb ich das hier auch redlich verdient habe«, deutete er auf seine Wunde. »Beim nächsten Mal bin ich vorsichtiger...« Er stutzte, dachte kurz nach und redete daraufhin leiser. »… Moment mal, wenn du ein Krieger werden willst, befindest du dich dann nicht eindeutig am falschen Ort?«

      Vorsichtig blickte ich mich um, ob auch niemand unserem Gespräch seine übermäßige Aufmerksamkeit schenkte. Die Luft war rein. »Das war allein meines Vaters Wille, nicht der meine«, flüsterte ich. Um uns herum kümmerten sich die Priester aufopfernd um ihre Patienten. Sie beachteten uns kaum. So konnte ich sicher sein, dass uns niemand belauschte.

      »Tja, der Wille der Väter. Und wer ist dein Vater? Ist ja nicht so, als würden sie hier jeden Krethi und Plethi aufnehmen.«

      »Skryrmir Einauge, Stammesfürst der Haraldinger«, antwortete ich leise.

      Mein Gegenüber zog hörbar die Luft ein und seine Stimme verwandelte sich sogleich in ein Flüstern: »Wenn du wirklich Krieger werden willst, Junge, schlage ich vor, du setzt deinen Entschluss so bald wie möglich in die Tat um. Sollte Gødrik erfahren, dass Skryrmir seinen Sohn hier bei den Priestern gelassen hat, könnte er auf die dumme Idee verfallen, dich als Geisel in seine Gewalt zu bringen. Oder noch schlimmer - ein Exempel an dir zu statuieren. Übrigens kenne ich Skryrmir gut, wir fuhren ein paar Jahre gemeinsam zu den britischen Inseln rüber. Ist ein feiner Kerl. Ich bin Wulfric Knutson und lebe auf Jütland, in Bramminge, ganz in der Nähe deines Onkels Úlfur«, stellte er sich mir vor.

      »Ragnor Skryrmirson«, gab ich mich wortkarg. Was Wulfric erzählte, beunruhigte mich zutiefst.

      Der Recke sah sich ebenfalls nach allen Seiten um: »Falls du die Absicht hegst, in Richtung Dänemark zu fliehen, kann ich dir nur davon abraten. Als Gødrik die Familie deines Onkels Úlfur in Sippenhaft nehmen wollte, kippte dieser um und schwor König Gødrik seinen Treueeid. Dort kannst du nicht mehr hin. Hast du jemanden, der dir bei der Flucht hilft? Vertraust du hier irgendjemanden?«, fragte er verschwörerisch.

      Schweigend schüttelte ich den Kopf.

      »Vertraust du mir?«, wollte er wissen.

      Wieder schüttelte ich den Kopf.

      Dafür klopfte er mir anerkennend auf die Schulter. »Du bist ein kluger Junge. Traue niemandem, nicht mal mir. Das mache ich nämlich genauso. Trotzdem, sei auf der Hut!«, warnte er mich eindringlich.

      Zum Zeichen, dass ich meine Arbeit erledigt hatte, winkte ich Halvar zu, damit er sich von meinem Werk eine Meinung bilden konnte. Er gesellte sich zu uns und betrachtete die Stiche.

      »Gut gemacht, Ragnor«, kommentierte er. »Du kannst den Verband anlegen. Aber nicht zu stramm«, nickte er und widmete sich sofort wieder seinen eigenen Aufgaben.

      Nachdem ich Wulfrics Wunde mit frischen Verbänden versehen hatte, räumte ich meinen Arzneikorb ein.

      Wulfric sah zu mir auf. »Hat mich gefreut, Ragnor. Sehen wir uns morgen wieder?«

      »Nein«, sagte ich kurz angebunden und ging, um meine weiteren Pflichten im Tempel zu versehen.

      *

      In der darauffolgenden Nacht musste ich sichergehen, nicht einzuschlafen. Wer will schon seine eigene Flucht verschlafen? Damit es nicht allzu gemütlich in meinem Bett wurde, hatte ich zuvor aus der Apotheke des Tempels stachlige Fruchtbecher der Buchecker besorgt, auf die ich mich legte. So war nicht mal im Entferntesten an Schlaf zu denken, obwohl ich vom frühen Aufstehen und der anstrengenden Arbeit hundemüde war. Jedoch erachtete ich den Zeitpunkt, meine Flucht nachts zu versuchen, für richtig, da ich einen größeren Vorsprung herausarbeiten konnte, anstatt tagsüber beim Reisigsammeln zu verschwinden. Immer wieder tastete ich nach meinem Schnitzmesser, das mir die Priester gelassen hatten. Sie waren der Meinung, damit könnte ich ebenso gut Möhren und Pastinaken schälen. Glücklicherweise strahlte am Nachthimmel ein heller Vollmond, der für gute Sicht sorgte. Somit schien mein Vorhaben nicht scheitern zu können. Zu groß war meine Sehnsucht, wieder nach Hause zu kommen. Vor allem meine Mutter fehlte mir schrecklich. Ich freute mich schon darauf, von ihr herzlich umarmt zu werden.

      Da ich nicht mehr damit rechnen konnte, Unterstützung vonseiten meines Onkels Úlfur zu erfahren, sogar eher Gefahr zu laufen drohte, von ihm verraten zu werden, musste ich mir eine andere Fluchtroute zurechtlegen. Zu Onkel Hackbart konnte ich ebenfalls nicht gehen, da er mich sicherlich postwendend wieder ins Heiligtum zurückgeschickt hätte. Demgemäß beschloss ich, anstatt des Seeweges, mich in Richtung Nordwesten über Land zu bewegen, bis ich Onkel Ásgrímur in Niðaróss erreichte. Ob dieser allerdings begeistert darüber wäre, seinem geflohenen Neffen Unterschlupf zu gewähren, stand in den Sternen.

      Angestrengt lauschte ich den regelmäßigen Atemzügen meiner acht Mitbewohner. Einer der älteren Jungen schnarchte fürchterlich, gleich so, als hätte er Nasenpolypen. Wir Novizen schliefen nicht im gleichen Gebäude wie die Priester. Unser Blockhaus lag gleich in der Nähe des Backhauses und der Wirtschaftsgebäude, einschließlich der Ställe.

       So lautlos wie möglich erhob ich mich von meiner Liege. Vorsichtig tastete ich nach den Buchecker-Hülsen. Ich konnte nicht riskieren, dass eine von ihnen an meinem groben Wollgewand hängenblieb und beim Hinausschleichen zu Boden fiel. Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Falls mich jemand von der Priestern beim Verlassen des Hauses beobachten sollte, würde ich einfach behaupten, ich müsste mal dringend die Latrine aufsuchen. Leise ging ich ins Backhaus und nahm einen Stein aus dem Fundament des gemauerten Ofen. Da es stockdüster war, tastete ich nach meinem Proviantbeutel. Während der Küchenarbeit hatte ich mir am Abend zuvor ein paar Lebensmittel abgezweigt. Einen großen Kanten Brot, einen Anschnitt Käse und einen Apfel. Ganz wichtig: Das großzügig geschnittene Ende einer Wurst. Nachdem ich meinen Schatz gehoben hatte, verließ ich das Backhaus unverzüglich. Dabei konnte ich gerade noch bremsen. Beinahe wäre ich direkt in den alten Priester Tjorre gelaufen, der entweder die nächtliche Aufsicht führte, oder wegen des hellen Vollmondes unter Schlafstörungen litt.

      Wie sich herausstellte, weder noch.

       »Verdammt! Wieso sind die Latrinen so weit entfernt von unserem Schlaftrakt? Oh weh! Das