Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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und zack, bekam Wulfgar die Breitseite von Arnulfs Schwert zu spüren. Oder er rief: »Ragnor, den Schild hoch! Zu spät, du bist tot! Jetzt gehtʼs zu deinen Ahnen! Grüß sie von mir!« und dengel… bekam ich seinen Schwertknauf in die Rippen. Bei unseren Exerzitien starben wir mindestens dreimal am Tag. Hinterher taten uns sämtliche Knochen weh, nicht nur dank Arnulfs Belehrungen. Die harmlosen Holzschwerter hatten wir schon lange abgelegt. Um unsere Muskeln zu trainieren, kämpften wir mit Waffen, die zwar stumpf waren, aber immerhin beinahe das Gewicht von echten Waffen besaßen. Natürlich der Größe ihres Trägers angepasst. Dennoch, sobald jemand zum Krieger wurde, bekam er das Recht, selbst Sorge zu tragen, dass die Waffen von ihm scharf gemacht wurden. Stolz durfte der junge Krieger dann beim Schmied am Schleifstein stehen und seine Kriegsgeräte schärfen. Bevor er dann an Bord ging, bekam er von Arnulf einen Wetzstein in die Hand gedrückt, ganz so, als sei es ein Orden, der ans Revers geheftet gehört.

      Wie Arnulf seine Hand verlor? Obwohl er als unser Ausbilder kein Erbarmen kannte, war er nach dem Unterricht erstaunlich sanftmütig. Mir kam es beinahe so vor, als gäbe es zwei Arnulfs. Einer, der Spaß daran hatte, junge Menschen zu erniedrigen und ihnen stets vor Augen zu führen, was sie doch für erbärmliche Pfeifen seien. Mit den Mädchen ging er ein wenig sanfter um. Wir Jungs hingegen, hatten bei ihm nichts zu lachen. Und dann der andere Arnulf, der uns ehrfürchtig wie junge Fürstenkinder behandelte, - und haarsträubende Geschichten über den Verlust seiner Hand erzählte. Und jedes Mal eine andere. Wenn man das Ergebnis jeder Geschichte zusammenrechnete, hatte Arnulf mehr Hände verloren, als Argus Augen besaß.

      Mal war er gefangen in einem Käfig, und vor ihm schlummerte ein grimmiger Wolf, der dummerweise den Käfigschlüssel gefressen hatte. Arnulf griff ihm in den Schlund und dabei erwachte die Bestie. Als Arnulf »Schnapp!« brüllte, kreischten meine Schwestern. So sehr hatte er sie erschreckt.

      Allerdings sah er ziemlich ratlos aus, als ich fragte, wie er denn letztendlich aus dem Käfig gekommen sei. Leider blieb er uns diese Antwort schuldig. Sein Glück, da Aenna gerade rief, wir sollten zum Essen ins Haus kommen.

      Ein anderes Mal erzählte Arnulf, er sei mit seinem Fischerboot unterwegs gewesen. Beim Netzeinholen sei ein schwarz-weißes Monster dort drin gewesen, welches mit einem einzigen Happen seine Hand abgebissen habe. Diese Geschichte klang für mich schon wesentlich glaubwürdiger, weil ich im Fjord ebenfalls riesige Wesen sah, mit Rückenflossen so lang, wie Schwerter. Ja, richtig geraten, es waren Schwertwale, auch Orcas genannt, die sich ab und zu mal neugierig bei uns umschauten. Sie tummelten sich des öfteren im Fjord, wenn die Lachssaison begann. Allerdings gingen sie immer wieder schleunigst stiften, wenn sie sahen, wie sich ihnen Boote näherten. Wahrscheinlich merkten sie, wie ihre Anwesenheit Begehrlichkeiten in uns weckten. Zudem schmeckten sie ganz gut.

      …. Nee, ne? Ich höre schon wieder die entsetzten Schreie der Greenpeace-Aktivisten. Du meine Güte, es sind zwölfhundert Jahre ins Land gezogen, und Orcas gibt es immer noch!…

      Dann gab es die Geschichtsvariante, in der ein Drache seine Hand abbiss. Und das, obwohl es schon seit Langem bei uns keine Drachen mehr gab. Jedenfalls wurden in letzter Zeit keine mehr gesichtet. Wahrscheinlich war ihnen der Zusammenstoß mit Harald eine Lehre gewesen und sie wanderten aus.

      Interessanter fand ich die Geschichte, in der Arnulf von einem gefräßigen Troll gefangen wurde, der ihn mit der linken Hand an die Höhlenwand kettete. Während der Troll sich um das Feuer kümmerte, das aus Arnulf eine lecker Mahlzeit machen sollte, biss sich dieser unterdessen selbst die linke Hand ab. Okay, auch das finde ich unglaubwürdig. Aber allein die Vorstellung, wie Arnulf seine Hand abnagte, war sehr amüsant. Dennoch nicht unwahrscheinlich. Fallensteller fanden manchmal nur einzelne Gliedmaßen in ihren Fallen, weil sich das gefangene Tier die Pfote abbiss, um nicht gänzlich sterben zu müssen.

      Nicht nur deshalb, denke ich mit Grauen an Arnulf zurück. Bis heute habe ich nicht erfahren, wie er seine Hand verlor. Vielleicht wurde sie ihm einst im Kampf abgeschlagen. Das würde erklären, weshalb er so ein gnadenloser und strenger Lehrer war. Er wollte uns davor bewahren, dasselbe Schicksal zu erleiden.

      Außer Arnulf waren selbstverständlich auch die Winter ziemlich streng und hart. Für uns Racker trotzdem schön. Vor allem, wenn große Teile des Fjords zufroren. Dann konnten wir uns auf die Schilde setzen und lange Strecken darauf herunter rodeln, bis wir weit auf die Eisfläche hinausgetragen wurden. Und wer sich am weitesten an der Eiskante befand, war der Gewinner. Komisch, im Nachhinein wundere ich mich immer wieder, wieso keiner von uns Waghalsigen, im eisigen Wasser ertrank…

      *

      Ein starker Glaube wächst aus Zweifel, ein schwacher aus Verzweiflung.

      (Thomas Möginger)

      »Oh, das war sicherlich sehr traurig für dich, als euch dein Lieblingsonkel verlassen wollte, äh … musste«, mutmaßte Agnir. Sicherlich hätte er Hackbart in natura ebenso gemocht, wenn er schon nach dieser kurzen Erzählung von ihm so angetan war und starke Empathie für ihn empfand.

      »Natürlich, aber für uns Kinder war es einfach schlimm, wie Numa und mein Onkel Krieg führten. Hackbart war niemand, der so ohne Weiteres klein bei gab. Also zog sich ihr Konflikt in die Länge. Überhaupt kann ich mich nicht erinnern, sie jemals friedfertig nebeneinander gesehen zu haben. Ihre Chemie stimmte einfach nicht. Und so ein ungleiches Paar unter einem Dach? Das kann auf Dauer nicht gut gehen«, berichtete ich.

      Das herannahende Frühjahr erwartete ich mit gemischten Gefühlen. Denn einerseits fürchtete ich den Tag, an dem uns Onkel Hackbart verließ, und andrerseits, fieberte ich der Reise nach Uppsala entgegen, denn sie versprach ein großes Abenteuer zu werden. Und sie sollte definitiv das Abenteuer meines jungen Lebens werden.

      Am Abend vor der Abreise gab mein Vater ein Festbankett in der großen Halle, zu Ehren und Verabschiedung seines Bruders Hackbart. Alle wichtigen Persönlichkeiten der Siedlung waren anwesend. Einige von ihnen beabsichtigten sich uns anzuschließen und mitzufahren. Die Feier verlief ohne größere Reibereien, was fraglos als Ausnahme galt. Normalerweise gab es mindestens eine handfeste Auseinandersetzung und dazu jede Menge Volltrunkene, die einfach von der Bank fielen, um im Stroh der großen Halle ihren Rausch auszuschlafen. Da wir indes am nächsten Tag früh aufbrechen wollten, löste sich die Feier recht früh und relativ nüchtern auf. Wir gingen alle zeitig zu Bett.

      Heutzutage kaum vorstellbar, dennoch besaß ich als Kind einen gesegneten und äußerst tiefen Schlaf. Wenn ich mich mit den Hunden meines Vaters beschäftigte und es mir bei diesen warmen, kuscheligen Monstern so richtig schön gemütlich machte, konnte ich einfach mal so dabei einschlafen. Beim Aufwachen fand ich mich meist in meinem Bett wieder. Natürlich fragte ich mich oftmals, wie ich dort hingekommen war. Meine Mutter erzählte, mein Vater hätte mich ins Bett getragen, ohne dass ich dabei aufgewacht sei. Alle machten sich über meinen festen Schlaf lustig. Sie behaupteten, ich würde wie ein Stein schlafen. Zudem dürfte ich mich nicht wundern, eines Tages mal woanders aufzuwachen, denn man könne mich unbemerkt, schlafend überallhin transportieren. Selbst die heftigsten Schneestürme, oder gar Gewitter, die draußen wüteten, bekam ich nächtens nicht mit. Erst, wenn alle am nächsten Morgen vom nächtlichen Unwetter erzählten, fragte ich mich, warum ich davon nichts mitbekommen hatte. Heutzutage würde ich mich wirklich freuen, so einen formidablen Schlaf zu besitzen.

      Nun ja, ich wollte mich in keinerlei Weise wegen meines Schlafs rühmen, denn eigentlich war dies nur eine reine Einleitung zu etwas Wichtigerem.

      Denn in der Nacht vor unsere Abreise wurden wir Kinder alle schlagartig wach. Sogar ich. Wahrscheinlich auch Hackbart und seine Sippschaft. Nicht etwa, weil ein Unwetter nahte, sondern zum ersten Male, seit wir uns erinnern konnten, stritten unsere Eltern lautstark miteinander. Ich hörte die aufgeregte Stimme von Numa. Sie war von jeher eine eher leise Frau. Niemals erhob sie ihre Stimme. Nur diesmal verstieß sie gegen ihre Gepflogenheiten: »Wie kannst du es wagen, so etwas von ihm zu verlangen? Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden, mein Lieber! Er ist ebenso mein Sohn! Er sollte selbst über sein Leben entscheiden dürfen! Vielleicht will er Kaufmann werden, wenn er schon an Zwerge hartgekochte Eier verkauft!«

      Leise antwortete Skryrmir darauf etwas, das Numa förmlich zur Weißglut brachte: »Du