Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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gehabt.«

       »Ja, die Ferien bei meinem Onkel Úlfur waren toll. Sie nahmen ein wenig die Spannung heraus, die ansonsten stets zwischen meiner Mutter und Onkel Hackbart herrschten. Wenn mein Vater nicht zuhause war, wetzten sie die Messer. Hackbart nannte Numa meist eine tätowierte Bratze, und sie schimpfte meinen Onkel einen fetten, trägen Kerl, der uns die Haare vom Kopf fraß und den ganzen Tag herumlungerte und Met soff.«

      »Tätowiert?«, fragte Agnir interessiert.

       »Ja, die Arme meiner Mutter waren tätowiert. Das konnte man nur sehen, wenn sie im Sommer Kleidung ohne Ärmel trug. Natürlich nicht solche Tätowierungen wie heutzutage, oder wie es damals die Seemänner trugen, mit nackter Frau auf dem Bizeps. Nein, es waren skythische Symbole, die ihr einst, als sie ein kleines Kind war, ein Schamane in die Haut tätowiert hatte. Das waren Schutzsymbole, die sie vor bösen Geistern beschützen sollten. Sie dienten zum Schutze und dazu, ihren Träger gesund zu erhalten. Halt eben mystisches Zeug. Numa erklärte mir damals die Bedeutung jedes Zeichens, aber wie sie genau aussahen, kann ich gar nicht beschreiben. Eben wie eine Mischung aus Kringeln, Schrift und Symbolen.«

       »Cool. Und was hat dein Vater über die Situation zwischen Numa und Hackbart gesagt?«, fragte Agnir und griff in die Kühlbox, um sich eine Blutkonserve zu angeln. Wir trinken sie so, wie andere Leute ihre Capri-Sonne. Nur nicht mit Trinkhalm, sondern mit Schlauch.

       »Skryrmir saß in dieser Beziehung zwischen den Stühlen. Er liebte sowohl Numa, als auch seinen Bruder, der ja gewissermaßen der Statthalter meines Vaters war. Natürlich gab es zwischen ihnen auch mal Reibereien, vor allem, weil die Haushaltung von Hackbart und dessen Anhang, beinahe das Dreifache unserer Haushaltung erforderte. Zudem war Hackbart ein wahrer Hedonist, der viel und gut aß. Aber das konnte mein Vater gewissermaßen als Hackbarts Lohn ansehen. Er ermahnte die beiden immer wieder, gemeinsam Frieden zu halten. Im Grunde grauste es ihm, sich zwischen beiden geliebten Menschen entscheiden zu müssen. Dabei wusste jeder, wie die Wahl ausfallen würde. Es heißt zwar stets, Blut sei dicker als Wasser, aber seine Frau ist einem Manne stets wichtiger, als dessen Bruder.

      Wir Kinder liebten Hackbart, eben weil er immer vor Ort war. Und leicht angetrunken, ein lustiger, gutmütiger Geselle, der schon mal ein Auge zudrückte, wenn wir irgendwelche Verfehlungen begingen. Selbstverständlich liebten wir Numa ebenfalls, sie war eben unsere Mutter, restriktiv, die Ersatzmutter.

      Und mich packt noch im Nachhinein das schlechte Gewissen, da ich es war, der quasi für die Verbannung meines Onkels sorgte, wenn auch ungewollt.

       Im Grunde waren wir Kinder echte Freilandgewächse. Ins Haus kamen wir nur, wenn uns der Hunger plagte. Tja, und das war gewissermaßen rund um die Uhr. Ein Kind im Wachstum, und dann noch an der frischen Luft? Das ist der Nährboden für den Kohldampf schlechthin. Ich war ungefähr sieben, nein, acht Jahre alt. Und da ich nicht am Euter einer Ziege saugen wollte, enterte ich die große Halle, um der Köchin etwas Essbares abzuluchsen. Was ich im Inneren des Hauses zu sehen bekam, verwirrte mich außerordentlich. Deshalb schlug ich extra laut die schwere Tür hinter mir zu. Mathilda und Hackbart sprangen auseinander, als hätten sie sich verbrannt. Sie wirkten verlegen und taten so, als sei nichts Besonderes passiert.

       Ich stürmte an ihnen vorbei, sagte: »Hallo!« und trabte in die warme Küche, wo Aenna das Abendessen zubereitete.

       »Na, Ragnor? Dir kann man ja regelrecht beim Wachsen zusehen!«, sagte die runde Köchin. Sie meinte es immer gut mit mir. »Aber nicht die Keule!«, schlug sie mir auf die ungewaschenen Finger. »Wenn du sie jetzt schon futterst, bekommst du heute Abend nichts mehr! Hier, du darfst die Lebern essen!«, servierte sie mir Gänseleber. Auch gut. Nachdem sie dazu noch etwas Brot und Käse für mich rausrückte und ich einigermaßen gesättigt war, zog ich wieder Leine.

      Neidvoll betrachtete ich meinen großen Bruder Wulfgar, der in diesem Sommer zu einem echten Krieger geworden war. Er trug voller Stolz seine frisch gestochenen Ohrringe, und da er einen Bären erlegt hatte, dessen Zähne an einer Kette um seinen Hals. Und im nächsten Jahr war dann Sigurd an der Reihe. Zwei Jahre später mein Bruder Balder. Ich hingegen musste noch mindestens sechs Jahre warten, bis ich meine Wolfsschuhe bekam und reif für das Initiationsritus war. Im nächsten Sommer dürfte Wulfgar dann endlich mit auf große Fahrt gehen, womöglich würde er sogar bald eine Braut bekommen und seine eigene Familie gründen.

      Das war für mich im höchsten Maße frustrierend. Dabei konnte ich es kaum erwarten, auf Beutefang zu gehen. Stattdessen musste ich mit Numa, meinen Geschwistern und dem dämlichen Kamel, in die Natur ziehen, die Jurte aufbauen und campen. Campen! Dabei wartete hinter dem Fjord das große Abenteuer und unendlicher Reichtum auf mich!

      »Ragnor? Was hast du? Du siehst so nachdenklich aus!«, bemerkte Numa, die ihren braunen Hengst neben sich am Zügel führte. Wie jeden Tag, ritt Numa mindestens eine Stunde aus.

       »Ich gebe es zu, ich bin verwirrt. Onkel Hackbart hat Mathilda geküsst. Dabei ist Mathilda doch mit ihrem Gott verheiratet, oder etwa nicht?«, entgegnete ich. Im Grunde wusste ich nicht, dass ich damit geradewegs Öl ins Feuer goss. Schließlich vermutet ein Kind bei einem Kuss keinerlei Sünde. Bei Numa hingegen war ich mir nicht so sicher. Sie machte ein Gesicht, als habe sich damit ein besonders böser Verdacht bestätigt.

       Wie sich herausstellte, ahnte sie schon länger etwas. Vor allem, weil ihr Verhütungsgebräu in letzter Zeit auf geheimnisvolle Weise extrem schnell verdunstete. Deshalb markierte sie den Flüssigkeitsstand in der Flasche unauffällig mit etwas Kreide. Nachdem ihr Verdacht bestätigt wurde, nahm sie eine zweite Flasche, schüttete die Hälfte des Kräutersuds hinein und verdünnte den verbliebenen Rest mit Wasser. Ihren unverdünnten Teil versteckte sie in der Schlafkammer.

      Nun, vielleicht war ich wirklich derjenige, der das Fass zum Überlaufen brachte. Jedenfalls blies Numa zum Angriff, sobald mein Vater zurückkehrte.

      Wie immer, wenn mein Vater heimkam, holten wir ihn von der Anlegestelle ab, wo er uns noch vor Ort mit Geschenken überhäufte. Erst später kapierte ich, dass es seine Taktik war, uns Kinder für eine Weile los zu werden, damit er sich erst einmal mit meiner Mutter vergnügen konnte. Obwohl sie schon eine Weile verheiratet waren, konnten sie nicht von einander lassen. Ihre Liebe war so tief, dass sie gar nicht abkühlen konnte, zumal meine Eltern ihre lange Trennung nur schwer verkrafteten. Mein Vater unterbreitete meiner Mutter sogar einmal den Vorschlag, sie auf Beutezug mitzunehmen. Dies lehnte sie mit der Begründung ab, sie sei nicht gut im Rauben und erst recht nicht im Vergewaltigen. Okay, ich wusste zwar, was es mit dem Rauben auf sich hatte, nur nicht, was vergewaltigen bedeutete.

      Wenig später gesellte sich mein Vater zu Hackbart in die große Halle. Dieser ahnte sicherlich schon, dass das Unbill frontal auf ihn zukam.

      »Mein lieber Bruder...«, begann Skryrmir.

      Okay, ich gebe es zu: Ich hatte mich in der Halle versteckt, um dieses Gespräch zu belauschen. Wie immer, war Balder an meiner Seite. Wir hielten es für einen Spaß, zu erfahren, was die Erwachsenen da so Wichtiges zu besprechen hatten.

      Hackbart ging gleich in die Defensive. »Ich weiß, was du mir vorwerfen willst! Aber diesmal...«

      »Vorwerfen? Hackbart, soll das ein Witz sein? Es ist eine unumstößliche Tatsache. Sag mir nicht, dass es diesmal etwas ganz anderes ist! Kannst du dich entsinnen, was ich dir genau an dem Tag sagte, als ich Mathilda ins Haus brachte? Die Hausangestellten sind für dich tabu! Welchen Teil dieses simplen Satzes verstehst du nicht? Du, mit deiner unstillbaren Gier nach Frischfleisch!«, knurrte der Stammesfürst.

      »Du tust mir unrecht!«, wehrte Hackbart ab.

      »Nein, du, beziehungsweise Mathilda. Ihr tatet unrecht. Mathilda bediente sich heimlich an Numas Kräutersud, hat damit unser Vertrauen missbraucht und Numa hintergangen! Und was hat angeblich Mathildas Gott gefordert? - Du sollst nicht stehlen? - War es nicht so? Ich weiß nicht, welches Gebot das ist, aber ihr Gott hatte es so befohlen!«

      »Lassen wir mal die Götter aus dem Spiel. Ich gebe zu, es war meine Idee, etwas von Numas Kräutersud abzuzweigen. Aber offensichtlich hat das Gesöff ohnehin nicht gewirkt. Mathilda ist schwanger«, gab Hackbart reumütig zu.

      »Na, tolle