Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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      »Ja, er war der erste Hund, den mein Vater ausbildete. Sobald er wieder daheim war, suchte er schon den nächsten. Manchmal aber auch zwei Rüden gleichzeitig. Selbstredend aus vielen Gründen: Erstens lebten die Tiere risikoreich, weshalb er für ausreichend Ersatz sorgen musste, falls einer der Hunde während eines Kampfes schwer verletzt wurde, oder fiel. Meistens hatte er zwei von den großen Hunden dabei. Der zweite Grund ist der, dass diese großen Hunde viel schneller altern als kleinere Hunde. Die meisten erreichen gerade ein Alter von fünf Jahren.« Mir entging nicht der besorgte Blick, den Agnir unserem großen Hund zuwarf. »Mach dir keine Sorgen, er altert nicht vorschnell, dafür ist er einfach nicht groß genug. Ich rede hier von Hunden, die beinahe doppelt so groß sind.«

      »Okay, erzähl weiter. Ich möchte gerne erfahren, wie du so als Kind warst.«

      Angesichts dieses Geburtsbeinaheunfalls, nahm sich Ylva meine Eltern zur Brust, damit die sich wiederum ihre Worte zu Herzen nahmen: »Diesmal seid ihr alle noch davongekommen! Nochmals würde ich an eurer Stelle das Glück und die Götter nicht herausfordern. Du, Skryrmir, solltest mit Numa keine weiteren Kinder zeugen. Willst du dennoch welche, such dir eine Zweitfrau, oder nimm dir eines von den Sklavenmädchen! Aber so wie ich euch beide kenne, könnt ihr die Hände sowieso nicht voneinander lassen. Deshalb schlage ich vor, ihr kümmert euch um die Verhütung. Numa, ich werde dir einen Kräutersud aus wilden Karotten-Samen, Wegwarte, Hibiskus, Ackerminze, Gartenkresse-Samen, Wermut und Salbei brauen. Trinke davon täglich zweimal, dann könnt ihr es von mir aus treiben, wie die verdammten Karnickel!«

      Tja, irgendetwas machten Skryrmir und Numa allerdings verkehrt, denn zwei Jahre nach meiner Geburt, kam meine ebenfalls rothaarige Schwester Gundfreya Ojuna Octavia zur Welt. Allerdings war ihre Geburt nicht ganz so dramatisch. Erstens, war sie nicht so groß, und zweitens, holte Ylva das Kind schon früher durch wehenfördernde Mittel auf die Welt. Offenbar betrachteten Skryrmir und Numa danach die Familienplanung als abgeschlossen, denn ab da nahm Numa den Kräutersud, obwohl sie sich darüber bitterlich beschwerte, wie abscheulich dieser schmecke. Mein Vater liebte sie so sehr, dass er Abhilfe wusste und ihr diese Bürde auch noch versüßte. Wortwörtlich. Denn er brachte Ylva ein großes Fass mit Honig, um das klebrige Zeug in ihren Sud zu geben. Mit so viel elterlicher Liebe ausgerüstet, gediehen wir Kinder prächtig. Außer der stillen, ohnehin ständig kränkelnden Svenja, erkrankte keines von uns Kindern ernsthaft.

      Nur machte sich mein Vater schwere Sorgen um meine Sprachentwicklung. Zudem war er nicht gerade erfreut darüber, dass Numa uns als Säuglinge fest einwickelte, damit sie die Kinder als praktisches Paket auf ihrem Rücken geschnallt, mitreiten lassen konnte. Das sorgte nicht nur für Schreie der Entrüstung von Seiten der Säuglinge, sondern auch bei den Dorfbewohnern für verwirrtes Kopfschütteln. Andere Menschen pflegen nun mal andere Sitten. Im Nachhinein hat es uns nicht geschadet. Die Modelle der Herstellungsreihe von Skryrmir und Numa, wurden mit einem äußerst stabilen Magen geliefert.

      Letzten Endes ließ Skryrmir seine Frau ohnedies nach ihrem Gusto gewähren. Wie hätte er auch verhindern können, dass sie sich nicht an seine Anweisungen hielt, wenn er vom Frühjahr bis zum Spätsommer auf Beutefahrt ging? Und Hackbart konnte nicht intervenieren, weil er Numas Bogenschützenkünste fürchtete. Ohnehin wurde die Luft zwischen den beiden immer dicker. Aber zuerst zu dem Sprachproblem.

      »Er ist jetzt über zwei Jahre alt! Warum spricht er noch nicht?«, fragte Skryrmir besorgt. »Viel jüngere Kinder brabbeln ihren Eltern schon Worte nach. Nur Ragnor sagt rein gar nichts!«, beschwerte er sich bei Numa, die sich das Haar kämmte. Damit wusste sie jedes Mal ihren Gatten zu beschwichtigen. Denn der Anblick ihres offenen Haares, das wie Ebenholz glänzte, brachte ihn regelmäßig aus dem Konzept.

      »Brüll bitte nicht so herum, Skryrmir, die kleine Gundfreya ist gerade eben erst eingeschlafen«, sagte Numa leise. »Gib ihm Zeit. Er braucht eben etwas länger. Eins steht völlig außer Frage: Wenn er erst einmal das Sprechen gelernt hat, wird er nie wieder so ruhig sein. Denk an die anderen Kinder, die schweigen nur, wenn sie schlafen, oder etwas kauen müssen.«

      »Ist er vielleicht taubstumm? Meinst du, sein Schweigen hat etwas mit seiner Geburt zu tun?«, fragte er weiter, diesmal leise.

      »Wieso sollte sein Schweigen etwas mit seiner Geburt zu tun haben? Wenn du Ragnor das Butterfässchen gibst und sagst, er soll es auf die Tafel stellen, dann macht er das auch. Nur weil er sich weigert zu sprechen, muss er noch lange kein Idiot sein!«, mahnte sie ihren Gatten, der sich oftmals gluckenhafter als die Amme selbst gab.

      »Das habe ich doch gar nicht behauptet. Ich mache mir nur Sorgen, weil er damals beinahe erwürgt wurde. Vielleicht ist seine Kehle gar nicht dazu fähig, zu sprechen«, gab er zu bedenken, während er Numas Haar betrachtete.

      Sie legte den Kamm beiseite. »Nach seiner Geburt hat er gebrüllt. Wenn ihn der Hunger quälte, hat er gebrüllt. Wenn ihn Balder aus Versehen umrannte und er fiel auf den Hintern, hat Ragnor gebrüllt. Und dann behauptest du, er könne keinen Laut von sich geben? Dieses Kind hat mehr gebrüllt als alle vor ihm. Du bist zu lange fort, um ein Urteil über ihn zu fällen«, schüttelte sie lächelnd den Kopf. »Manchmal ging er mir mit seinem Gebrüll dermaßen auf die Nerven, dass ich ihn am liebsten an die Zwerge verschenkt hätte.«

      »Liebling, es gibt gar keine Zwerge«, lachte Skryrmir.

       »Und warum erzählst du dann Geschichten über sie? Immerhin haben sie für die Göttin Freya ein Geschmeide namens Brisingamen geschmiedet. Und Siegfried verdankte dem Zwerg Alberich seine Tarnkappe«, gab Numa zu bedenken.

      »Du meine Güte! Was du dir alles merken kannst.«

      »Natürlich, ich höre dir gerne zu, wenn du Geschichten erzählst. Ich liebe deine Stimme. Du hörst mir schließlich auch gebannt zu, wenn ich die Morin chuur spiele.«

      »Jetzt mal ernsthaft. Weißt du, woran es liegt, dass er nicht sprechen will?«, bohrte er weiter an diesem Thema nach.

      »Du hast jetzt ein halbes Jahr Zeit, um herauszufinden, woran es hapert. Diese Zeit solltest du mit den Kindern verbringen. Sie brauchen ihren Vater als Vorbild, oder willst du etwa, dass sie sich an Hackbart halten?«

      »Bei Odin, nein das wollen wir nicht!«

      »Komm jetzt ins Bett. Ich will nicht, dass du tiefe Sorgenfalten auf deiner Stirn bekommst, sonst sitzt deine Augenklappe schief.«

      Skryrmir machte es sich bequem und zog Numa an sich. »Was hältst du davon, wenn wir im nächsten Jahr statt hier, mal in Esbjerg auf Jütland überwintern? Dann ist Gundfreya groß genug für die weite Reise. Mein Bruder Úlfur hat uns eingeladen, zudem habe ich eine Überraschung für die gesamte Familie vorbereitet.«

      Numa wurde hellhörig. »Was für eine Überraschung?«

      »Verrate ich nicht, sonst wäre es ja keine mehr!«

      *

      »Und woran lag es?«, fragte Agnir interessiert.

       »Wahrscheinlich wirst du genauso erstaunt darüber sein, wie mein Vater. Offensichtlich hatte er gar keine Ahnung, dass ich im reinsten Babel aufwuchs. Meine Mutter sprach mit mir in ihrer Muttersprache, meine Geschwister redeten mit mir Nordisch und meine Amme schwätzte Ænglisc, also Altenglisch. Kein Wunder, wenn ein kleines Kind total verwirrt ist, mit wem es nun welche Sprache sprechen soll.«

      »Und was war dann dein erstes Wort?«, wollte Agnir wissen.

      »Eines, das alle verstanden. Tulga!«

      »Das war doch das Kamel, oder?«

      »Jepp, haargenau.«

      Eines Tages kam ich brüllend zu Numa. Zufällig war mein Vater zugegen und hörte, wie ich schniefte und heulte. Er staunte nicht schlecht, als meine Mutter fragte: »Та яагаад ийм чанга байна вэ? Та хамар дээр хуулбарлаж Balder юм бэ? Энэ удаа хэн байсан бэ?«

      (»Warum brüllst du so? Hat dir Balder wieder eins auf die Nase gegeben? Wer war es diesmal?«)

       »Tulga!«, schniefte