Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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Jetzt bin ich einer von euch Nordmännern!«, sagte sie im Brustton der Überzeugung.

      »Ja, ein verdammt zähes Schlitzauge!«, bestätigte Aðalgeirr, in dessen Mund eine sichtbare Zahnlücke zum Vorschein kam.

       Skryrmir machte ein Geräusch, als stünde er kurz vor einer Explosion. »Alles herhören! Wer Numa noch einmal als Schlitzauge bezeichnet, kann nach Hause schwimmen, ist das klar?«

      »Wieso denn? Er hat doch Schlitzaugen!«, bemerkte Tjörvi.

      Nur bemerkte er Skryrmirs Faust nicht mehr rechtzeitig, die krachend in seinem Gesicht landete. Augenblicklich ging Tjörvi wie eine gefällte Tanne zu Boden.

      Die entsetzten Blicke der Mannschaft riefen Skryrmir wieder zur Vernunft. Er sah ein, wie recht Hackbart hatte. »Also gut. Vielleicht reagiere ich ein wenig übertrieben. Bevor es zu weiteren Unruhen kommt, werde ich euch die Wahrheit sagen. Vielleicht war es verkehrt, von euch zu verlangen, Numa wie einen von uns zu behandeln. Ihr nehmt ja immer alles so wörtlich. Behandelt sie in Zukunft ein wenig sanfter. Denn Numa ist mitnichten ein Junge, sondern eine Frau. Genauer gesagt, meine neue Ehefrau. Somit ist sie eure Stammesfürstin, also bringt ihr den gebührenden Respekt entgegen!«

      Den Nordmännern standen die Münder offen.

      »Mund zu, sonst fresst ihr Fliegen! Was glotzt ihr so blöde?«, fragte Skryrmir in die Runde.

      »Für eine Frau hat sie aber einen verdammt harten Schlag!«, rieb sich Aðalgeirr den Mund und grinste schief.

      »Ja, das hat sie von den Pferden. Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben, dann können wir ja endlich ablegen!«, knurrte Skryrmir.

      *

      Die Rückfahrt stellte sich als recht unkompliziert heraus. Nach Verlassen der Newa, behielten sie die Küste hart Steuerbord im Auge, durchquerten den finnischen Meerbusen, und ließen wortwörtlich die Dänen links liegen. Und falls Fragen aufkommen: Die Männer waren alle lammfromm zu Numa. Obwohl sie darüber lachten, wie staunend sie die See betrachtete. Für die Mannschaft war es unvorstellbar, dass es Menschen gab, die niemals zuvor das Meer sahen. Reibereien gab es keine. Die Skythin beeindruckte die Nordmänner nicht nur durch ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit Pferden; die harten Kerle staunten zudem nicht schlecht, als sie erlebten, was Numa mit Pfeil und Bogen vollbrachte. Und ins Herz schloss sie sogar der Letzte, der zuvor Zweifel der Fremden gegenüber hegte. Spätestens als Numa abends am Lagerfeuer auf ihrer Morin chuur spielte, wurde aus dem härtesten Kerl ein Weichei, das sich heimlich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte.

      Die Verwandtschaft gab sich unterwegs zuerst ein wenig pikiert, vor allem die Damen, die sich bei Skryrmir Heiratschancen ausgerechnet hatten. Schließlich war er als Witwer eine gute Partie. Doch Numa war ihnen dabei mächtig in die Parade gefahren. Allerdings schmollte die Damenwelt nicht mehr lange, denn Numa konnte nicht nur raubeinig wie ein Kerl sein. Sie nahm alle mit ihrer grazilen und exotischen Schönheit für sich ein. Und mit ihrer liebenswürdigen Art, fiel es selbst den Zweiflern schwer, sie nicht zu mögen.

      Und endlich endete die weite Reise. Inzwischen war es bereits später November. Das Langschiff lief in den Reisafjord ein.

      Die Kinder standen mit Mathilda am Pier und warteten sehnsüchtig darauf, dass der Kahn endlich anlegte. Viel zu lange vermissten sie schon ihren Vater. Und Skryrmir behielt recht. Die Kleinen waren schlichtweg begeistert von den Pferden, und natürlich froh darüber, ihren Vater und den dicken Onkel Hackbart wiederzuhaben. Allerdings rechneten sie nicht damit, dass ein buckliges Monster und eine fremdartige Frau zu Besuch kamen.

      »Kinder!«, rief Skryrmir und sprang locker über den Skjaldrim des Langschiffs und landete, für einen Mann seiner Größe, erstaunlich leichtfüßig auf dem Steg. »Ich habe euch alle so vermisst!«, umarmte und herzte er jedes Kind nacheinander.

      »Hast du uns was mitgebracht? Außer Onkel Hackbart, natürlich! Was Süßes? Hast du Honig dabei?«, brabbelten die kleinen Steppke durcheinander.

      »Ja, ich habe für jeden etwas mitgebracht!«, zauste er den Kindern die Haare. »Und Hackbart natürlich auch.«

      »Papa? Wer ist das?«, zeigte Håkon auf Numa. »Die sieht so anders aus! Nicht so wie Mathilda!«

      »Das ist Numa, sie ist von weit hergekommen, um euch alle kennenzulernen. Mich hat sie schon kennengelernt, deshalb wird sie bei uns bleiben. Ich habe Numa sehr gern.«

      »Hallo!«, winkte Numa etwas verschüchtert.

      »Hallo, Numa!«, winkten die Kinder zurück.

      »Willst du mal meine Puppen sehen?«, fragte die kleine Reinhildis und wedelte mit ihrer Lieblingsstoffpuppe, die mal wieder dringend eine Wäsche benötigte. Die Kleine hatte die dumme Angewohnheit, sämtliche Speisen mit ihrer Puppe zu teilen, die leider nie den Mund aufmachte, wenn sie gefüttert werden sollte. Wahrscheinlich litt das doofe Ding unter Ess-Störungen.

      »Sehr gerne!«, freute sich Numa über die Zutraulichkeit der Kinder. Sie fand sie alle schlicht hinreißend und liebenswert. Und jedes Kind hatte hellblondes Haar und besaß die gleiche Augenfarbe wie sein Vater. Gedankenverloren streichelte Numa ihren Bauch. In absehbarer Zeit käme ein weiteres Kind dazu. Sie freute sich darüber, da es so viele, liebe Geschwister hatte.

      »Wenn du die Puppen gesehen hast, dann musst du dir auch unsere Tiere aus Holz angucken! Die hat Papa nämlich alle für uns selbst geschnitzt!«, erzählte Wulfgar aufgeregt.

      »Was ist das für ein komisches Tier?«, fragten die Zwillinge Sigurd und Sigrun, wie aus einem Mund. Die beiden taten grundsätzlich alles synchron.

      Numa tätschelte den großen, haarigen Kopf des Tieres. »Das ist Tulga, ich zog ihn mit der Flasche groß, weil seine Mutter ihn nicht säugen wollte. Tulga ist ein Kamel.«

      Skryrmir griff in seinen Lederbeutel: »Ach ja, Kinder. Hier, ich habe eure Bestellung fertig geschnitzt: Vier Kühe, den Bullen dazu, und ach, hier ein paar Hühner. Und natürlich Katzen, Pferde, Ziegen… Habe ich was vergessen?«

      Håkon zupfte ihn am Ärmel der Tunika. »Ich glaube, ich habe Numa auch gern. Aber Papa, ich habe noch eine Bestellung für dich zum Schnitzen: Jetzt wo Numa bei uns bleibt, brauchen wir noch unbedingt ein Kamel!«

      *

      Meine Geburt war das erste meiner Missgeschicke.

      (Jean-Jacques Rousseau)

      Agnir wirkte nachdenklich. »Warum war die Verwandtschaft eigentlich pikiert? Ich dachte, Skryrmir war der Clan-Chef?«

      »Gerade deshalb. Er sorgte stets dafür, dass alle anderen vorteilhaft verheiratet wurden, nur er selbst hielt sich nicht daran, sondern nahm eine fremde Frau, die den Haraldingern überhaupt keine Vorteile brachte«, erklärte ich und schenkte mir abermals einen Becher Kaffee ein.

      »Aber sie hatte eurem Stamm doch den Skythenbogen gebracht. Das ist in meinen Augen viel wertvoller als irgendeine Verbindung«, stellte er fest.

      »Das sehe ich genauso«, gab ich ihm recht.

      »Erzähl weiter!«, drängte er mich.

      Und ich musste grinsen, weil Agnir am Esstisch saß und dabei tierisch herumzappelte. Nicht etwa, dass er ein Opfer seiner Ungeduld wurde, eher weil ihm unser Kater Joey auf dem Schoß saß, der wie ein Motor schnurrte und die beiden Hände meines Sohnes vollkommen für sich beanspruchte. Das passte unserem Hund Schnauze, mein Freund gar nicht, weil er sich schwer vernachlässigt fühlte. Also wurde er von Agnirs nackten Füßen gekrault, was ihm sehr gut zu gefallen schien. Er lag unter den Tisch und seufzte genussvoll. Was für ein Anblick. Von jeher hatten Hunde bei uns einen besonders hohen Stellenwert. Ich spreche jetzt nicht von heute, sondern von damals, als Hunde eine richtige Aufgabe besaßen. Heute werden sie zum Kinderersatz stilisiert. Viele müssen ihre Köter den ganzen Tag bespaßen, damit die armen Tiere nicht an Langweile sterben.

      Nun, ich will ohne Umschweife an die Geschichte anknüpfen. Wir schreiben das Jahr 800. Folgendes passierte im Monat August. Und wie immer, wenn Skryrmir eine dunkle