Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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Numa vorstellen? Sie ist so freundlich, uns etwas auf der Morin chuur vorzuspielen.«

      »Was ist eine Morin chuur?«, fragte Skryrmir interessiert.

      »Das ist unsere berühmte Pferdekopfgeige. Kennst du die Geschichte, wie diese entstand?«

      »Nein, aber ich würde sie nur zu gerne erfahren.«

      »Einst lebte ein Junge in den weiten Steppen, der besaß einen wunderschönen weißen Hengst. Diesen wollte jedoch ein böser Fürst unbedingt für sich. Doch der Junge konnte sein geliebtes Pferd nicht hergeben. Also stahl der Fürst den weißen Hengst, doch der lief wieder zurück zu seinem wahren Herren, weil dieser ihn liebte und gut zu ihm war. Dies passte dem Herrscher überhaupt nicht, und wenn er den weißen Hengst schon nicht besitzen konnte, so sollte es der Junge ebenso wenig. Und so tötete er das weiße Pferd. Der Junge war untröstlich und vermisste seinen Freund. Eines Nachts erschien ihm der weiße Hengst in seinen Träumen. Er sagte ihm, dass er wieder lebendig würde, wenn der Junge sich aus seiner Haut, seinen Knochen und aus seinem Haar ein Musikinstrument baut. Dies tat der Junge und als er die Saiten seiner Pferdekopfgeige strich, erzählte das Instrument von den Weiten der Steppe, vom Himmel und dem Wind, und er hörte sogar die Hufschläge der Pferde.«

      »Eine wunderschöne Geschichte«, sagte Skryrmir.

      »Ja, sie berührt mich genauso, wie das Spiel der Geige. Darf ich vorstellen? Numa«, verneigte er sich erneut.

      Eine zierliche Person betrat das Zelt. Sie trug ein wunderschön glänzendes Kleid aus geblümter, türkisfarbiger Seide, dazu die passenden Stiefel und einen emalierten Haarschmuck mit bunten Perlen. Sie verneigte sich mit vollendeter Eleganz und blickte anschließend kurz zu den Nordmännern auf. Sie zwinkerte dem blonden Skryrmir zu.

      Hackbart zog die Luft ein: »Ist das jetzt ein Witz? Das ist doch diese Rotznase, die auf dem Anger vor dem Markt ihre Bogennummer aufführte! Warum haben sie dem Burschen ein Kleid angezogen?«, fragte er verwundert.

      Skryrmir beruhigte ihn. »Meintest du nicht selbst, mit diesem Burschen würde irgendetwas nicht stimmen? Dein Bauch hatte recht. Nur ist er kein Bursche, sondern ein verkleidetes Mädchen. Nun, wenn hier überall ungehobelte Kerle herumlaufen, würde ich meinen Töchtern ebenfalls die Kleidung eines Jungen empfehlen.«

      »Ach so...«, sagte Hackbart, dem endlich ein Licht aufging, was es mit dem Kleid auf sich hatte.

      Skryrmir nickte dem Mädchen aufmunternd zu. »Verzeih die Störung. Es lag leider einiges im Argen. Bitte, wir sind jetzt aufmerksam, mein Ehrenwort… Numa«, setzte er hinterher. Er sprach ihren Namen so aus, als würde er ihn auf seiner Zunge zergehen lassen, um festzustellen, ob er ihm schmeckte.

      Die Skythin nickte und begab sich zu einer Truhe, aus der sie einen umwickelten Gegenstand herausholte. Sie befreite ihr Musikinstrument aus mehreren Lagen braunen Stoffs. Skryrmir fragte sich sofort, was das für ein braunes Gewebe war. Es schien fest und schwer, zudem sah es sehr warm aus.

      Numa zog einen Hocker näher, setzte sich darauf und klemmte das seltsame kastenförmige Musikinstrument zwischen ihre Schenkel.

      Aus einem ihm völlig unbekannten Grund schoss Skryrmir bei diesem Anblick das Blut in die Ohren.

      Als hätte Numa seine Gedanken erraten, errötete sie ebenfalls. Mit zierlicher Geste nahm sie ihren Bogen zur Hand. Natürlich keinen, der Pfeile verschoss, sondern jenen, mit dem sie die zwei Saiten der Pferdekopfgeige strich, obwohl Skryrmir so war, als hätte Amor einen seiner Pfeile direkt in sein Herz geschossen. Ach ja, die Pferdekopfgeige. Sie besitzt ungefähr die Größe einer Gambe, hat aber lediglich zwei Saiten. Im Gegensatz zu einer Gambe fehlen jedoch die typischen Stege. Die Saiten sind aus den Schweifhaaren eines Hengstes gemacht. Das hat nichts mit Machismo zu tun, sondern weil der Schweif einer Stute mit deren Urin in Berührung kommt und das Haar porös und unbrauchbar für die Geige macht.

      Numa strich die Saiten und entlockte dem Instrument einen betörenden Gesang. Und während sie das tat, sah Skryrmir Bilder vor seinem geistigen Auge. Die Geige sang von dem weiten Himmel, der den Horizont berührt, der Steppe, dem Wind, der im Sommer sanft die Haut streichelte, jedoch im Winter schneidend wie ein Messer sein konnte. Das Instrument sang von den Pferden, die wie Pfeile über die grasbewachsene Ebene flogen. Es erzählte von Liebe und Tod, von Kampf und von Frieden.

      Er konnte seine Augen nicht von Numa lassen; bewunderte ihre langen, seidigen Wimpern, wenn sie den Blick senkte. Er fühlte sich tief berührt. Nachdem Numa ihr Lied beendete, wischte er sich die Augen.

      »Hab was ins Auge bekommen«, murmelte er.

      Hackbart grinste und flüstert ihm zu. »Na klar, Bruder. In alle beide gleichzeitig. Ich weiß, was du im Auge hast. Eine kleine Skythin, wie? Pass auf, wenn du sie von hinten nimmst. Sie hat bestimmt vom vielen Reiten dicke Schwielen am Hintern!«

      »Hackbart!«, knuffte er ihn dafür. »Du bist unmöglich«, flüsterte er zurück. »Wir sollten ihr sagen, dass es sehr schön war, was sie da gespielt hat.«

      »Warum sagst du mir das?«, fragte Hackbart leise.

      Temudschin wartete gebannt.

      »Vielen Dank, Numa«, verneigte sich Skryrmir. »Das war atemberaubend.« Er nickte dem Skythen zu. »Temudschin? Eine Frage. Darf ich einen Moment mit Numa unter vier Augen sprechen? Keine Bange, wir gehen nur kurz vor das Zelt. Ist das für dich in Ordnung?«

      Der Skythe nickte. »Ja, bitte.« Er wandte sich an seine Tochter. »Numa?«

      »In Ordnung, Vater«, antwortete Numa, verstaute jedoch zuerst das Musikinstrument zurück in die Kiste. Als sie damit fertig war, stand Skryrmir bereits neben ihr und reichte ihr seine riesige Pranke. »Numa, wenn ich bitten darf?«, führte er sie vor das Zelt. Erst da wurde ihm gewahr, dass es davon noch mehr gab und diese Jurte nicht die einzige war.

      Numas Hand war warm und ein wenig rau von der Arbeit. Trotzdem streichelte er mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

      Sie schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Er jedoch, schien um die richtigen Worten zu ringen. Endlich fasste sich der Nordmann ein Herz: »Numa. Ich bin nicht gut, was Worte betrifft, sondern eher ein Mann der Taten. Ich muss zugeben, das war jetzt eine Überraschung. Allerdings eine sehr angenehme. Trotzdem fehlen mir die Worte, was dich betrifft.«

      Numa presste die Lippen zusammen. »Vielleicht darf ich dir alles erklären?«

      »Ja, aber erst, wenn ich fertig bin. Bitte bedenke meine Worte. Du weißt sicherlich, weshalb wir bei deinem Vater zu Gast sind. Eigentlich wegen des Bogens. Und ich muss sagen, ich bin zutiefst verwirrt. Denn ich würde den Bogen wirklich gerne haben. Allerdings werde ich mit leeren Händen von dannen ziehen, wenn du nicht mit mir gehen willst. Man sagt uns Nordmännern nach, wir seien skrupellos. Nun, das mag stimmen, in Bezug auf den Kampf. Aber hier handelt es sich nicht um einen Kampf. Hier geht´s ums Geschäft. Und du bist sozusagen diejenige, auf deren Rücken alles ausgetragen wird. Hör zu. Ich will dich zu nichts zwingen, wenn du nicht bereit bist, mit mir zu gehen. Ich möchte keinesfalls, dass du aus deinem vertrauten Familienverband gerissen wirst, um von einem Barbaren in die Fremde verschleppt zu werden. Ich brauche niemanden an meiner Seite, der unglücklich ist. Und glaube mir, ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich fühle mich mies, weil es den Anschein erweckt, als würde ich dich als kleineres Übel nehmen müssen, dich sozusagen kaufen. Du bist aber viel zu wertvoll für einen dermaßen groben Kuhhandel. Ich überlasse dir die Entscheidung«, endete er seinen Monolog.

      »Deine Skrupel ehren mich. Denn es zeigt mir, dass meine Wahl nicht verkehrt war«, sagte Numa und nahm eine von Skryrmirs langen, blonden Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Haare, so weich wie Seide.«

      »Äh, ich verstehe nicht«, meinte er irritiert.

      »Weißt du, was ich zu meinem Vater sagte, als ich euch zu unserer Jurte brachte?«

      »Nein, woher soll ich das wissen. Ich verstehe eure Sprache nicht einmal ansatzweise so gut, wie ihr die unsere sprecht.«

      »Du musst es einfach mal mit meinen Augen sehen. Mein Vater liegt mir schon eine geraume Weile damit in