Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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das Kind, aber nicht meine Numa! Ich liebe sie so sehr!«

      In der Ferne löste sich ein Blitz vom Himmel und ein Donnergrollen ertönte. Dies sah Skryrmir eindeutig als Zeichen an, dass der Deal zwischen ihm und Odin als abgeschlossen galt.

      Schleunigst machte er sich auf den Weg zur Drachenburg. Natürlich wusste er, dass er sich den Hass der Frauen aufhalsen würde, wenn er sie störte. Dennoch wollte er Numa von der Vereinbarung mit Odin erzählen.

      In der Schlafkammer herrschte derweil ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen Ylva und Mathilda.

      Skryrmir sah sich gezwungen, ein Machtwort zu sprechen: »Mathilda, tritt zur Seite, Ylva soll die Sache in die Hand nehmen. Ich vertraue ihr, sie hat mich schon auf die Welt geholt!«

      Besagte Ylva sah sich Numas Zustand an. Wie ein wissender KFZ-Gutachter, der einen fünfzigjährigen Benz unter der Hebebühne untersucht, stellte sie fest: »Oh, oh! Das Kind steckt im Geburtskanal! Numa ist zu zart für dieses große Kind! Darüber hättet ihr euch vorher mal Gedanken machen sollen!«

      Dem blonden Hünen schoss das Blut ins Gesicht. Denn genau diese Bedenken hatte er schon zuvor seiner Gemahlin gegenüber geäußert. Doch diese hatte nur abgewiegelt und wieder ihre Weisheit über die Pferde als Grund angeben. Nur, der Unterschied ist folgender: Wenn dort eine Geburt Schwierigkeiten bereitet, konnte man dem Fohlen einen Strick um die Hufe binden und kräftig daran ziehen.

      Die Seherin gab Skryrmir ein kleines Fläschchen in die Hand: »Hier, halte das deiner Frau unter die Nase!«, ranzte sie unfreundlich. Er tat wie ihm befohlen wurde. Das Riechsalz zeigte seine Wirkung. Numa gab einen angeekelten Laut von sich. Kurz darauf krampfte wieder eine Wehe durch ihren Körper.

      »Was ist mit deinem Auge?«, fragte die werdende Mutter besorgt, als sie ihren Gatten aus tränenden Augen betrachtete.

      »Das ist kaum der Rede wert. Alles wird gut!«, tröstete Skryrmir seine Frau. »Hab keine Angst. Ich habe mit Odin eine Vereinbarung getroffen. Du wirst leben«, versprach er ihr.

      »Mein Kind! Was stimmt denn nicht mit ihm?«, fragte Numa besorgt. Ihre Kraft reichte nur für ein schwaches Flüstern.

      Doch Ylvas Ohren schienen keinerlei Anzeichen von Taubheit zu zeigen, denn sie schnauzte unverblümt: »Was nicht mit ihm stimmt? Das Kind ist zu groß, es wird dich umbringen! Wir müssen es irgendwie schleunigst aus dir herausbekommen. Ich sollte versuchen, diesen kleinen Braten zu drehen, um ihn dann an den Füßen herauszuziehen! Sein Kopf wird das Problem sein.«

      … Als hätte Ylva schon damals vorausgesehen, dass ich selbst später gerade mit meinem Kopf Probleme haben würde...

      »Skryrmir?«, fragte Numa.

      »Ja, ich bin hier. Ich halte deine Hand«, flüsterte Skryrmir.

      »Geh und hol Taras«, bettelte Numa.

      »Was?«, fragte er verwirrt. »Warum soll ich dein Pferd in unser Schlafgemach holen?« Er hoffte, sich lediglich verhört zu haben. Vielleicht war Numa auch nicht mehr ganz bei Sinnen? Bei diesen Schmerzen wäre es überhaupt nicht verwunderlich.

      »Frag nicht, bring Taras einfach hierher!«, sagte Numa, jetzt wesentlich entschlossener.

      Und da Skryrmir sonst schon nichts für sie tun konnte, lief er los, um ihr kleines, braunes Pferd zu holen…

      … »Entschuldige Papa, wenn ich dich unterbreche, aber was haben sie eigentlich mit dem Pferd im Schlafgemach gemacht?«, fragte Agnir mit einem leicht irritierten Gesichtsausdruck.

      »Das würde ich auch gerne wissen, denn sie haben es mir nie verraten!«, beschwerte ich mich. »Und wie immer, vermute ich wieder mal das Allerschlimmste, denn nachdem der Gaul zu meiner Mutter ins Zimmer gebracht wurde, ging alles ziemlich schnell. Das jedenfalls, berichtete mein Vater. Und ich will nicht wissen, was sie damit angestellt haben. Womöglich banden sie mir ein Seil um die Füße und ließen den Gaul dran ziehen. Ich hoffe dennoch, dass es nicht so gewesen war, sondern sie nur das Pferd holten, um meine Mutter zu beruhigen. Was immer auch geschah, hatte mich offenbar geprägt. Wahrscheinlich erlitt ich dort mein erstes Trauma. Das würde erklären, weshalb ich bis zum heutigen Tag eine Abneigung gegen Pferde hege.«

      Ylva betrachtete das schlaffe, blau angelaufene Bündel. »Ein Junge. Wäre ein kräftiger Bursche geworden. Tut mir leid, da ist kein bisschen Leben in ihm!«, horchte sie den Brustkorb des Säuglings nach Herztönen ab. »Er ist tot. Hat sich augenscheinlich selbst mit der eigenen Nabelschnur stranguliert!« Sie nahm das Kind an sich und wollte es wegbringen.

      »Halt, wo bringst du ihn hin?«, fragte Skryrmir.

      »In den Götterhain. Dort werde ich ihn Odin überantworten und begraben«, sagte die Alte.

      »Gib ihn mir!«, fordert Skryrmir. »Ich will ihn das erste und letzte Mal betrachten, bevor er in sein kaltes Grab kommt.«

      »Warte, ich mache ihn erst sauber!«, knurrte Ylva und reinigte das Kind notdürftig. Sie überreichte es Skryrmir, der dem Kleinen zärtlich über die Haare strich. »Zuerst dachte ich, sein Haar wäre so schwarz, wie das seiner Mutter. Aber jetzt sehe ich, dass es dunkelrot ist. Warum darf er nicht leben? Es bricht mir das Herz. Er ist so kalt und blau«, schniefte er.

      Numa streckte die Arme aus. »Gib ihn mir, bevor sie ihn wegbringt. Ich will unseren Sohn sehen!«

      »Hier, nimm du ihn«, legte er das tote Kind auf ihren Bauch. Und dennoch konnte er die Augen nicht von den beiden lassen. Er war zutiefst bestürzt und fühlte sich, als würde das Pech an ihm kleben. Durch sein gesundes Auge konnte er kaum noch irgendetwas erkennen, denn Tränen verschleierten seinen Blick.

      Zärtlich streichelte Numa ihr Kind, und ignorierte dabei, dass es ein totes Kind war. Sie wurde von ihren Muttergefühlen schier überwältigt: »Nein, er kann nicht tot sein! Er ist so kräftig wie sein Vater, nur nicht so warm. Sieh nur! Er hat die Fäuste fest geballt, als wolle er wütend auf diese Welt einschlagen. Wie ein kleiner Krieger!«, rieb sie die Hände des Säuglings. »Sein Gesicht ist ganz kalt!« strich sie ihm über sein Antlitz und massierte dem Kleinen die Brust und den Bauch. »Ich probiere mal etwas aus. Mein Vater tat das bei einem Fohlen, das nicht atmen wollte.« Genauso tat es Numa und blies dem Kind ihren Atem in Mund und Nase.

      Tja, und was dann passierte, ist eindeutig ein wenig gruselig. Denn das angeblich tote Kind, machte ein würgendes Geräusch und spuckte unerwartet seiner Mutter einen blutigen Klumpen auf die Brust. Danach schrie es wie ein Berserker. Sofort brach Hektik in der Schlafkammer aus.

      Ylva packte das Kind und hielt es kopfüber. Daraufhin hustete es noch mehr Schleim und Blut aus - und endlich bekam es eine andere Farbe, gesünder als das vorherige Blau.

      Skryrmir ging in die Knie. »Odin, ein Wunder! Ich danke dir! Aber warum wolltest du unseren Sohn nicht?«

      Die Seherin Ylva brachte das Kind zur Mutter, damit es endlich etwas zu saufen bekam. Mit vollem Mund konnte es wenigstens nicht brüllen. »Das fragst du? Was soll Odin mit einem toten Knaben anstellen? Odin ist weise und kennt bereits die Zukunft deines Sohnes. Tot nützt er ihm rein gar nichts. Mit dem kleinen Krieger wird er etwas ganz Besonderes vorhaben. Darum, freue dich nicht zu früh. Odin kann in dieser Beziehung sehr launisch und sogar grausam sein. Gebt dem kleinen Burschen lieber einen ordentlichen Namen, bevor es sich der Gottvater möglicherweise nochmals anders überlegt.«

      »Er soll Ragnor heißen«, beschloss Skryrmir.

      »Eine kluge Wahl. Weißt du um die Bedeutung seines Namen?«, fragte die Seherin.

      »Krieger von den Göttern«, antwortete der Nordmann...

      … »Äh, Papa?«, unterbrach mich Agnir nochmals.

      »Was ist?«, fragte ich. »Musst du etwa aufs Klo?«

      »Nein, aber warum hast du mir erzählt: Stark wie eine Armee, wäre die wahre Bedeutung deines Namens?«

      »Joah… Habe ich mal im Internet gelesen. Nein, der wahre Grund ist der, dass ich es nicht mag, wenn mein Name gleichzeitig meine Bestimmung sein soll. Also