Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1


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Glück gehabt, denn Joe ist ein vielbeschäftigter Mann. Als Gemeinderatsmitglied von Vianden wurde Joe zum Schöffen gewählt. Hier sollte ich wohl erläutern, dass Schöffen in Luxemburg und Schöffen in Deutschland völlig unterschiedliche Ämter ausüben. In solchen Fällen hilft Wikipedia wie immer weiter: „An der Spitze der luxemburgischen Gemeinde steht der Buergermeeschter (deutsch Bürgermeister, französisch Maire). Er führt als Verwaltungsbeamter die Geschäfte der Gemeinde. Ihm zur Seite gestellt sind die Schäffen (deutsch Schöffen, französisch Echevins) sowie der demokratisch nach Mehrheits- oder Verhältniswahl gewählte Gemeinderat, aus dem Bürgermeister und Schöffen hervorgehen sollen.“

      „Wir sind zwei parteiunabhängige Gruppen im Gemeinderat. Meine Gruppe stellt sechs Mitglieder, die Opposition nur drei. Politisch bilde ich als sozial-liberal eingestellter Mensch den rechten Flügel in unserer Gruppe. Die FDP in Deutschland wäre mir aber zu weit rechts.“ Wie ich von Joe erfahre, wählt die Mehrheit in Vianden traditionell eher links. „Eine Partei wie die AfD in Deutschland gibt es bei uns nicht.“ Joe erzählt aber auch, dass die beiden rechten Parteien (welche rechts von denen mit dem „C“ anzusiedeln sind) derzeit versuchen, den Luxemburger Wahlspruch „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn“ zu usurpieren, um Stimmung gegen Migranten zu machen. „Aber auch ich stehe zu unserem Spruch, denn wir können schon stolz auf unser Land sein, das in vielerlei Hinsicht Vorbild für die großen Länder sein kann.“

      Diesen Wahlspruch haben die Luxemburger übrigens einer Krise zu verdanken, der Luxemburgkrise im Jahre 1867. Damals versuchte der französische Kaiser Napoleon III., Luxemburg von König Wilhelm III. der Niederlande (auch König-Großherzog Wilhelm III) zu kaufen. Da hatte er aber die Rechnung ohne die Öffentlichkeit im Großherzogtum und anderen Gebieten des Deutschen Bundes (eine Folge des Wiener Kongresses von 1812) gemacht. Die Luxemburger hatten schließlich in der Geschichte vier römisch-deutsche Kaiser hervorgebracht. Da konnte man ihr Land doch nicht einfach an den damaligen Erbfeind Deutschlands, an Frankreich, verkaufen. Die Protestbewegung plädierte für den Erhalt des Status quo und kreierte den Slogan „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn“ (Wir wollen bleiben, was wir sind). Nun, zu guter Letzt wurde ein Kompromiss gefunden und das Land für immer neutral erklärt.

      Ich verstehe gut, was Joe im Sinn hat. Schließlich sind die Luxemburger Vorbild-Europäer, wurden gar als ganzes Volk schon für Ihre Europafreundlichkeit mit dem Karlspreis der Stadt Aachen ausgezeichnet. Ja, schon deswegen sollen sie wirklich bleiben, was sie sind, die Luxemburger!

      Ich treffe Joe um 14.00 Uhr am östlichen Ufer des Flusses Our, sozusagen auf der „deutschen Seite“. Nur hier in Vianden gibt es eine kurze (sieben Kilometer lange) Grenze an Land zwischen Luxemburg und Deutschland. Ansonsten bilden die Flüsse Our, Sauer und Mosel die insgesamt 135 Kilometer lange Grenze. „Wir fahren jetzt erst einmal hoch zur Burg. Dort werden wir uns mit Frank treffen, der macht mit uns eine Führung.“ Natürlich will mir Joe zuerst die bekannteste Touristenattraktion Viandens zeigen, die Oranierburg. Immerhin ist diese mit mehr als 200.000 Besuchern jährlich die meistbesuchte historische Sehenswürdigkeit von ganz Luxemburg, wie ich von Frank erfahre. Frank ist ebenfalls Gemeinderatsmitglied, allerdings von der „Opposition“. Trotzdem scheinen sich meine beiden Begleiter sehr zu mögen und zu schätzen. Eine derartig freundschaftliche Beziehung über die Fraktionsgrenzen hinweg wünschte ich mal den Mitgliedern unseres eigenen Gemeinderates. Nun, das ist jetzt aber wirklich eine ganz andere Geschichte.

      Frank arbeitet hier auf der Burg, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass ich eine höchst kompetente und amüsante Führung bekomme. Zuerst schauen wir uns einige Modelle der Burg an. Modelle von den verschiedensten Zeiten, also von der Gründung als römisches Kastell im vierten Jahrhundert, über die Erweiterung im 11. Jahrhundert, mehrerer Um- und Anbauten in den folgenden Jahrhunderten, den Verkauf und Verfall im 19. Jahrhundert bis zum Wiederaufbau und Restaurierung seit 1977. „Hier, dieses Modell aus dem 13. Jahrhundert zeigt die Burg zur Zeit Yolandas von Vianden. Die spätere Priorin des Klosters Mariental ist ca. 1231 hier geboren und aufgewachsen. Bisher ist sie nur selig gesprochen, zur Heiligsprechung fehlt der Nachweis eines Wunders. Nun, wir arbeiten daran, das Wunder bekommen wir schon noch hin“, soweit Frank. So erfolgreich Yolanda in religiöser Hinsicht auch war, so nachteilig war aus politischer Sicht ihre dem Klostereintritt vorangegangene Weigerung, Walram II. von Monschau zu heiraten. Dabei hatte es ihr Vater, Graf Heinrich der I., doch nur gut mit seiner Tochter gemeint, als er ihr diese Heirat nahelegte. Der Einfluss Viandens wäre durch diese Heirat deutlich gewachsen. Wer weiß schon, ob sich die Geschichte nicht ganz anders entwickelt hätte, mit einem „neuen Lothringen“.

      Im Übrigen sind die Einwohner Viandens nicht gut zu sprechen auf einen ihrer früheren Bürgermeister. Wenzeslas Coster, so hieß der nicht ganz so gute Mann, kaufte die Burg 1820 für 3200 Gulden, verscherbelte für viel Geld alles, was nicht niet- und nagelfest war, und wanderte mit viel Geld in den Taschen aus. Ohne Dach, Türen, Bleiverglasung und Fenster verfiel die Burg zusehends. Soll ja auch heute noch vorkommen, dass die Gewinnsucht einzelner Politiker die Gemeinschaft teuer zu stehen kommt. Im Falle der Burg Vianden sind es vornehmlich Mittel vom luxemburgischen Kulturministerium, aber auch private Mittel der „Amis du Cháteau de Vianden“ und Mittel des Großherzogs, die eingesetzt wurden, um die Burg nunmehr als Schloss Vianden den Besuchern zugänglich zu machen. Und da es eine Burg der Oranier war, kommt selbstverständlich insbesondere auch so mancher Holländer vom Campingplatz Viandens nach oben auf die Burg.

      „Ja, leider, ich muss wegen einer plötzlich anberaumten Besprechung bezüglich des Campingplatzes runter ins Stadthaus. Wir treffen uns nachher im Café Cinema“, mit diesen Worten lässt Joe Frank und mich auf der Burg zurück. Nun, dann kann mir Frank auch noch davon erzählen, dass er aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen anlässlich dessen 200. Geburtstages im letzten Jahr bei etlichen Festveranstaltungen als dessen Double aufgetreten ist. Der Idee Raiffeisens, (bäuerliche) Genossenschaften zu gründen („Einer für alle, alle für einen“) kann Frank viel abgewinnen. „So lässt sich eine wirkliche Gemeinschaft bilden, von unten nach oben. Nicht so wie im Marxismus, von oben nach unten. Das funktioniert nicht.“

      Als wir schließlich gerade im Auto sitzen um runter in die Stadt zum Café zu fahren, kommt ein Anruf und Frank muss nach Hause („da kommt die Italienerin in meiner Frau durch, die will immer wissen, wo ich bin und wann ich komme“). Im Café brauche ich aber nicht lange auf Joe zu warten. Leider ist es inzwischen doch zu spät geworden, um noch das Victor Hugo-Haus zu besuchen. Hier lebte nämlich der französische Schriftsteller als politischer Flüchtling für ein paar Monate. „Sehr praktisch. In dem Haus dort hinten lebte er ganz alleine und seine Mätressen lebten gegenüber im Hotel.“ Aber außer dieser amourösen Geschichte hat Joe noch mehr über Victor Hugo zu berichten. „Im letzten Jahr war ich Mitglied einer Delegation, die nach Havanna reiste. Man hat uns dort gefragt, ob wir in Vianden, dem Exil-Ort eines Fast-Revolutionärs, nicht ein Denkmal des Poeten, Schriftstellers und kubanischen Nationalhelden José Marti aufstellen wollen. In Kuba steht ja vor jeder Schule ein Denkmal für ihn. Das Pikante daran: In Luxemburg-Stadt wäre ein solches Denkmal wohl unvorstellbar, schließlich stammt die Frau des Großherzogs aus einer alten kubanischen Adelsfamilie. Mal sehen, was daraus wird!“

      Eines will mir Joe aber unbedingt noch zeigen, bevor er um 18.30 Uhr zur heutigen Gemeinderatssitzung muss. „Wir fahren jetzt noch zum Pumpspeicherwerk. Wir haben hier in Vianden nämlich nicht nur historische Bauten, sondern echtes Hightech.“ Also fahren wir an der Staumauer vorbei und am Our-Stausee entlang bis zum Eingang einer unterirdischen Kavernenhalle. Durch einen langen Stollen gelangen wir bis zur großen Maschinenhalle. Durch ein Fenster blicken wir auf neun Maschinengruppen, die jeweils aus einem Generator, einer Turbine und einer Pumpe bestehen. „Die Idee ist im Prinzip ganz einfach, auch wenn es dann in der Wirklichkeit etwas komplizierter ist“, soweit Joe. „In Zeiten mit wenig Stromverbrauch wird über die Pumpen Wasser aus dem Stausee nach oben in große Sammelbecken gepumpt. Bei hohem Stromverbrauch, d. h. bei großem Bedarf an Strom, lässt man Wasser von oben nach unten durch die Turbinen fließen, die dann mit Generatoren Strom erzeugen. Unser Pumpspeicherwerk ist das größte seiner Art in Europa.“ Ich bin begeistert. Heißt es nicht immer, dass sich Strom leider nicht speichern lässt? Diese Art der Stromgewinnung aus Wasserspeichern erscheint mir geradezu genial, zudem man die ganze