Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1


Скачать книгу

Luxemburger Eigenarten. Wie antwortete mir doch Joe Heintzen seinerzeit in seiner Antwortmail auf meine Bitte um ein Treffen: „Vorab mal eine Bemerkung zum Arbeitstitel von Ihrem neuen Werk: « Klein, aber (nicht immer) fein » : Da dürfen Sie, was Luxemburg anbelangt die Worte zw. den Klammern ruhig beiseitelassen, weil wir sind immer fein und nett und umgänglich.“

      Die allermeisten Luxemburger sind außerdem erfreulich polyglott. Neben der Landessprache Luxemburgisch sprechen sie Französisch und Deutsch. Und da jeder fünfte Einwohner portugiesische Wurzeln hat, hört man auf den Straßen und in den entsprechenden Kneipen ganz viel Portugiesisch. Ein Abend in einer der portugiesischen Sportbars hinter dem Bahnhof ist besonders dann zu empfehlen, wenn ein Spiel von Benfica Lissabon live übertragen wird. Da wird man schon einmal von einem kleinen älteren Mann mit Glatze animiert, an dessen Freudentänzchen teilzunehmen, wenn Benfica gerade wieder ein Tor erzielt hat. An diesem Abend endet das Spiel 5:1 und bietet somit genügend Anlässe für Tänze statt Fado.

      Nur ein paar Fußballfelder entfernt auf der anderen Straßenseite ist die Rotonde, mein hiermit nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp für einen sonntäglichen Brunch, eine abendliche Musikveranstaltung oder einfach nur für ein geruhsames Abhängen draußen im Hof an einem lauen Sommerabend.

      Da der gemeine Luxemburger ungern mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sondern lieber im eigenen Blechhaufen (hier allerdings häufig in sehr edlem Blech), plant man, mittels der Einführung des Nulltarifs im staatlich betriebenen öffentlichen Verkehr Luxemburgs zum 1. März 2020 die Bürger zum Umsteigen auf Bahn oder Bus zu bewegen. Luxemburg wird damit der erste Staat weltweit, der den landesweiten Nulltarif (außer im kommunal betriebenen öffentlichen Nahverkehr oder in der ersten Klasse der Bahn) einführt. Das klingt nach einer guten Idee, wobei: „Schüler, Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, alle Bedürftigen fahren sowieso schon umsonst. Und alle Anderen, so auch Sie als Tourist, zahlen für ein Tagesticket für ganz Luxemburg gerade einmal 4 Euro. Das ist doch auch jetzt schon sehr günstig. Und wir befürchten, dass einige Kolleginnen und Kollegen, die bei der Fahrkartenkontrolle, im Fahrkartenverkauf oder der Kundeninformation tätig sind, entlassen werden könnten, wenn dann der Nulltarif kommt. Ich bin ja bald in Rente, aber meine junge Kollegin hier, die könnte es treffen.“ Die sehr freundliche Dame am Informationsschalter in Luxemburg-Stadt ist auf die Pläne der Regierung gar nicht gut zu sprechen. Schon wenn ich nur an die Preise für den ÖPNV bei uns in der Region Hannover denke (für ein Tagesticket unserer Region zahle ich mehr als das Doppelte als in Luxemburg für ein Tagesticket für ein ganzes Land), dann kann ich die Argumente der netten Düdelingerin durchaus verstehen. Ja, unser Gespräch ist sehr unterhaltsam, da erfahre ich u. a. auch, dass ich am Nachmittag in den Wohnort meiner Gesprächspartnerin fahren werde. Bei aller Ablehnung der Nulltarif-Pläne erhalte ich aber dann doch die Zustimmung, dass der öffentliche Nahverkehr attraktiv und preiswert sein muss, um ein ernsthaftes Angebot für den Verzicht auf die ständige Nutzung des Autos zu sein. Komisch eigentlich und für mich nicht nachvollziehbar, dass so viele Luxemburger nicht jetzt schon auf die Idee kommen, ihr Auto in der Garage zu lassen.

      Reden wir zuletzt noch einmal über die Finanzen, auch wenn der durchschnittliche Luxemburger das sonst nicht tut. Er hat sie einfach und denkt sich, dass er ja auch ordentlich was dafür tut. Schließlich ist das luxemburgische Bruttoinlandsprodukt, gleich nach dem BIP der Fürstentümer Liechtenstein und Monaco, das höchste weltweit.

      Eine nicht unwesentliche Rolle für den Wohlstand der Luxemburger ist die Attraktivität ihres Landes für Investmentfonds. So hatten 2010 mehr als 3500 derartiger Fonds ihren Geschäftssitz in Luxemburg. Mit einem Anlagevolumen von mehr als 2 Billionen Euro ist Luxemburg der größte Fondsstandort Europas und der zweitgrößte weltweit (hinter den USA). Zum Thema „Steueroasen“ komme ich bald. Zunächst aber führt mich meine Reise vom souveränen Kleinstaat Luxemburg in die Mikronation Saugeais.

      Mikronation? Sie wissen doch, was eine solche ist, oder? Wenn nicht, dann hier die Definition aus Wikipedia: „Als Mikronation, Fantasiestaat oder Scheinstaat werden Gebilde bezeichnet, die wie eigenständige souveräne Staaten auftreten und den Anschein erwecken, mit staatlicher Autorität zu handeln, obwohl bei ihnen Eigenschaften fehlen oder wenigstens stark umstritten sind, welche einen Staat nach Völkerrecht ausmachen.“

      Republik Saugeais

graphics6

      Vive la République du Saugeais!

      „Mme la Présidente sera heureuse de vous recevoir et de vous accompagner ensuite en République du Saugeais. Avec nos remerciements et nos sincères salutations, …“ Was für eine Ehre, ich habe somit die schriftliche Zusage, von Georgette Bertin-Pourchet, Präsidentin der freien Republik Saugeais, empfangen zu werden und in ihrer Begleitung die Republik zu besichtigen. Ich möge bitte um 14.00 Uhr zum Haus der Präsidentin kommen, Mme la Présidente und eine Dolmetscherin würden mich dort erwarten.

      Als ich mich um 5 vor 2 dem Haus der Präsidentin am Stadtrand von Pontarlier im französischen Département du Doubs zu Fuß nähere, steht Mme la Présidente bereits auf dem Balkon ihres Hauses und erwartet mich. Kerzengerade steht sie dort und weist mir mit einer einladenden Geste den Weg zur Eingangstür. „Herzlich willkommen, kommen Sie bitte herein“, mit etwa diesen Worten (natürlich auf Französisch) empfängt mich die äußerst rüstige Dame in den Achtzigern. Ich werde in das Wohnzimmer gebeten, in dem die angekündigte Dolmetscherin schon Platz genommen hat. Das hoffe ich jedenfalls. Im Wohnzimmer fällt mein Blick sofort auf das Portrait der Amtsvorgängerin der Präsidentin, Gabrielle Pourchet, die immerhin von 1972 bis 2005 regierte. „Meine Mutter ist fast 100 Jahre alt geworden. Wir haben hier zusammen gelebt, nach dem Tod meines Vaters, dem ersten Präsidenten der Republik Saugeais.“

      Die Geschichte der Gründung der République du Saugeais im Jahre 1947 ist natürlich allgemein bekannt. Louis Ottaviani, der Präfekt des Doubs, kam damals in den vom Ehepaar Pourchet betrieben Abteigasthof in Montbenoît. Die Frage des Wirtes, ob der Präfekt denn einen Passierschein habe, der ihm die Einreise in die Republik Saugeais erlaube, konterte der amüsierte Präfekt mit der umgehenden Ernennung des Herrn George Pourchet zum Präsidenten der aus 11 Gemeinden bestehenden Republik. Und jetzt stehe ich hier also im Wohnzimmer der dritten Präsidentin dieser kleinen, im Jura (zwischen der Schweiz und Frankreich) gelegenen Republik. Aus der wunderbaren Standuhr ertönt in diesem Moment, um fünf nach 2, die Nationalhymne der Republik. Wie gut, dass wir beide direkt vor der Uhr stehen und der Hymne somit den angemessenen Respekt zollen. Aber wo ist denn nun die angekündigte Dolmetscherin?

      Mme la Présidente spricht außer Französisch nur noch die Landessprache Sauget, das ich leider noch viel weniger beherrsche als Französisch. Ich verstehe allerdings genug, um zu begreifen, dass wir unser Gespräch ohne Dolmetscherin führen müssen, da diese verhindert sei. Nun, ich kann es schon einmal vorweg nehmen: die nächsten fünf Stunden mit Mme la Présidente werden auch ohne Übersetzerin höchst unterhaltsam. Eine Stunde lang präsentiert mir die charmante Georgette Bertin-Pourchet ein Album nach dem anderen, mit Zeitungsartikeln und Fotos. „Hier, ein Einladungsschreiben von Nicolas Sarkozy an mich. Oder hier, sehen Sie, Valéry Giscard d´Estaing. Meine Mutter traf fast alle Präsidenten der République française während ihrer langen Amtszeit.“ Keine Frage, die République du Saugeais unterhält seit ihrer Gründung hervorragende, ja äußerst freundschaftliche Beziehungen zur Grande Nation.

      Um 5 nach 3 erklingt wieder die Nationalhymne aus der Standuhr und etwas später machen wir uns auf den Weg in die Republik. Ja, die Präsidentin wohnt tatsächlich im Ausland, d. h. in Frankreich, ein paar Kilometer von der Landesgrenze entfernt. „Sie haben doch keine Angst, oder?“ Natürlich nicht, warum sollte ich mich denn davor fürchten, in den Kleinwagen der Präsidentin zu steigen? Schließlich ist Mme la Présidente topfit, bis auf ein paar kleinere, unwichtige, möglicherweise altersbedingte Wehwehchen, die sie mir anvertraute, nachdem ich von meinem früheren Berufsleben erzählt hatte. Schon nach ein paar Metern ist klar, dass ich es hier mit einer schneidigen Fahrerin zu tun habe. Beim Überholen wird der dritte Gang schon mal bis 90 durchgetreten, Respekt, Madame!