Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1


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da Max bloß finden, bei dem riesigen Andrang? Ich schreibe ihm schnell eine Nachricht, dass ich schon angekommen bin (45 Minuten vor Spielbeginn) und erhalte wenig später die Antwort: „Wir sind schon drin.“ Noch pünktlicher als ich, der gute Max. Das dort muss er sein, der junge Mann mit der Trommel und dem Megaphon. Ja, er winkt mir zu, als ich mich zögernd nähere. Offenbar hat er in mir umgehend den älteren Typen erkannt, der sich an den Fanclub wandte und um Gesprächspartner bat, die ihm aus erster Hand etwas über die unglaubliche Erfolgsgeschichte des amtierenden luxemburgischen Meisters und (leider inzwischen bereits ausgeschiedenen) Teilnehmers der Europaliga 2018/19 erzählen können.

      Natürlich kennt man sich im beschaulichen Düdelingen und umgehend stellt mich Max einem Vorstandsmitglied des Vereins vor, Herrn Goergen. So schnell geht das hier, um mit einem Vereinsoffiziellen ins Gespräch zu kommen. Etwas ketzerisch frage ich den für ein Vorstandsmitglied noch sehr jugendlich wirkenden Herrn Goergen, warum sich F91 denn nicht für die Champions League qualifiziert hat, sondern bereits in der ersten Qualifikationsrunde gegen die ungarische Fußballgroßmacht Vidi FC Szekesfehervar ausgeschieden ist. „Ja, da hatten wir viel Pech, eigentlich hätten wir die Spiele für uns entscheiden können. Aber das Ausscheiden hatte was sehr Gutes, denn somit nahmen wir an der Qualifikation zur Europaliga teil.“ Und da drehte der F91 Düdelingen so richtig auf. Zuerst warfen die Luxemburger den kosovarischen Vertreter FK Drita Gjilan aus dem Wettbewerb. Na gut, mögen Sie jetzt denken, das heißt ja nicht allzu viel. Gemach, denn in der zweiten Runde war Legia Warschau an der Reihe. Nach einem 2:1-Auswärtssieg in Polen reichte ein 2:2 im heimischen Rückspiel. Derartig vorgewarnt, hätte der frühere Champions League-Teilnehmer CFR Cluj sich vielleicht ein wenig ernsthafter vorbereiten sollen. Nun, nach einem 2:0 Heimsieg konnten sich die Düdelinger sogar noch eine 3:2 Niederlage in Rumänien erlauben. Das Wunder war vollbracht!

      „In Cluj hatten wir das erste Mal einen eigenen Koch dabei. Cluj war der Meinung, dass in Luxemburg nicht alles zu ihrer Zufriedenheit verlaufen war, und wir haben tatsächlich Drohungen erhalten.“ Herr Goergen will mich doch nicht etwa auf den Arm nehmen? „Wahrscheinlich hat der Koch dann die Mannschaft mit Judd mat Gaardebounen (so nennt man die luxemburgische Spezialität geräuchertes Schweinefleisch mit dicken Bohnen) gedopt?“ Über meine selbstverständlich völlig ernstgemeinte Frage kann Herr Goergen nur lachen. „Nein, nein, unser Koch ist Italiener!“ Eigentlich gut passend, denn somit hätte der Mann auch gleich für die ersten Gäste der Gruppenphase der Europaliga kochen können: Am 20.09.2018 kam niemand Geringeres als der AC Mailand nach Luxemburg. „Wir haben wegen der UEFA-Regularien diese Spiele nicht hier in Düdelingen, sondern im Nationalstadion in Luxemburg-Stadt austragen müssen, auch wenn das ebenfalls nicht viel moderner ist als unser Stadion.“ Wahrscheinlich hatte das italienische Starensemble aber einen eigenen Sternekoch dabei, denn wie lässt sich sonst erklären, dass die tapferen Düdelinger Kicker nach großem Kampf mit 1:0 geschlagen werden konnten? „Das Medieninteresse war natürlich enorm, Fernsehteams aus Italien, Deutschland, und, und, und… Alle wollten uns kennenlernen!“

      Und die Düdelinger Spieler und ihre Fans wollten die Stadien der illustren Gegner kennenlernen. Denn welcher Kicker aus der Kleinstadt Düdelingen hatte schon jemals im Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand, im Estadio Benito Vilamarin in Sevilla oder im Karaiskakis Stadion in Piräus gespielt? Außer dem ehemaligen Bundesligaspieler Marc-André Kruska kannte ich bisher jedenfalls keinen einzigen Aktiven, und der durchaus bekannte deutsche Trainer Dino Toppmöller hatte das in seiner Spieler-Karriere wohl auch nicht geschafft.

      Und während mir Herr Goergen gerade erläutert, wie ungewohnt und aufwändig es für die paar ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder war, die ganzen Reisen zu organisieren („Mailand hat dafür einen Haufen fest angestellter Mitarbeiter, bei uns habe ich mich mit zwei Helfern zum Beispiel darum gekümmert, 900 Fans aus ganz Luxemburg nach Mailand transportieren zu lassen“) kommt eine junge Frau vorbei und reicht uns je eine Dose Leopard Natural Power Drink. „Das ist auch eine gute Geschichte“, erläutert schmunzelnd Herr Goergen. „Nachdem wir 2012 in der zweiten Qualifikationsrunde für die Champions League Red Bull Salzburg aus dem Wettbewerb werfen konnten, meldete sich der kleine Power Drink Hersteller Leopard bei uns als möglicher Sponsor. Leopard besiegt Red Bull, sozusagen auch hier ein David gegen einen Goliath. Nun, der Deal kam zustande, wobei unser Hauptgeldgeber allerdings die kleine Firma Leopard inzwischen gekauft hat.“

      Jetzt wird es endlich Zeit, in die Fankurve zu gehen. Max ist dort nicht der einzige Trommler. Ein freundlicher älterer Herr hat eine Trommel dabei, die dem berühmten Manolo zur Ehre gereicht hätte. Die knapp zwei Dutzend Köpfe zählende Fangruppierung hat somit schlagkräftige Unterstützung, die nur einmal kurz unterbrochen wird, als dem Senior-Trommler ein Schlägelkopf vom Schaft abrutscht. Und wohin rollt der Kopf? Genau in Richtung der Security. Dieses Attentat auf den einzigen weit und breit sichtbaren Sicherheitsmann wird von meinem Sitznachbarn lakonisch mit dem Ausruf „Hooligan-Angriff!“ kommentiert. Und es kommt noch dicker.

      Aus der Würstchenbude qualmt es und umgehend erschallt es hinter mir: „Achtung, Pyro vom Grill!“ Die Jungs und das einzige Mädel hier haben Humor, grüßen auch brav die Handvoll Fans des Gegners und werden nur ein einziges Mal ein klein wenig unartig. Der Linienrichter hat direkt vor uns ein ganz klares Foul an einem Düdelinger nicht angezeigt und wird prompt mit einem Slogan bedacht, aus dem ich das Wort „Blinder“ heraushören kann. Da die berechtigte Empörung auf Luxemburgisch erfolgt, setzt angesichts der ausbleibenden Reaktion des Schiedsrichter-Assistenten umgehend die Diskussion unter meinen neuen Freunden ein, ob der Mann denn überhaupt die Landessprache verstünde.

      Lassen Sie mich hier auch gleich einmal mit dem Vorurteil aufräumen, dass Fußballfans ungebildet seien. Geraldine an meiner rechten Seite ist nicht nur bildhübsch, sondern auch intelligent. Sie arbeitet als Immobilienmaklerin für Sotheby´s, wurde gerade von der Regierungspartei DP aufgefordert, bei den Gemeindewahlen zu kandidieren („das ist schon eine große Ehre“) und hat mit ihren 28 Lenzen auf jeden Fall noch eine große Karriere in der Politik vor sich, wenn sie erst einmal den Jungliberalen entwachsen ist. „Jetzt wird er eingewechselt, mein Freund.“ Tatsächlich, nach überstandener Verletzung darf er heute wieder ran, Dominik Stolz, der ehemalige Zweitligaspieler des SV Sandhausen. „Schau mal hier, das Tor, das er in Mailand geschossen hat.“ Geraldine zeigt mir auf ihrem Smartphone den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleichstreffer ihres Freundes. Düdelingen ging in der 49. Minute sogar mit 2:1 in Führung, bevor die hohen Favoriten den Spieß noch umdrehten und am Ende mit 5:2 gewannen. Geraldine war selbstverständlich auch mit in Sevilla (3:0 für Betis) und in Piräus (5:1 für Olympiakos). Glauben Sie jetzt aber bitte nicht, dass Düdelingen alle Spiele verloren hat. Das letzte Spiel (zu Hause gegen Betis Sevilla) endete 0:0!

      Dann wird auch noch Ibrahimovic eingewechselt (Sanel, nicht Zlatan) und der alte und wahrscheinlich auch neue Meister der BGL Ligue siegt mit 2:0. Nach dem Spiel trifft man sich in der Turnhalle. Alles ist so familiär, dass es auch für Dino Toppmöller scheinbar völlig normal ist, einem unbekannten deutschen Reiseschriftsteller ein paar Fragen zu beantworten. „Was wollen Sie denn nun von mir wissen“, fragt er mich, nachdem ich wohl etwas umständlich angefangen habe, mein Projekt zu erläutern. Ja, gute Frage, Herr Toppmöller, natürlich, was will ich eigentlich von ihm wissen? Na, ein paar Fragen fallen mir dann ganz spontan doch ein. So erfahre ich, dass Dino Toppmöller zwar kein Luxemburgisch spricht, es aber nach einigen Jahren im Großherzogtum immerhin gut versteht. Die Kabinensprachen seien Französisch und Deutsch, die prominenten Gegner der Europaliga seien sehr respektvoll und überhaupt nicht überheblich mit den Düdelingern umgegangen und viel Zeit habe er jetzt auch nicht mehr, weil er nach Hause zur Kommunion müsse. Zeit für ein Foto von uns beiden hat der Meistertrainer aber dann doch noch. Zuletzt gratuliere ich Dave Turpel zu seinem überlegten Kopfballtor zum 2:0, fahre beschwingt mit der Bahn zurück nach Luxemburg-Stadt und werde leider erst später im Internet lesen, dass es ebenjener Dave Turpel war, der in Mailand den 2:1 Führungstreffer erzielt hatte. Was für ein herrlicher Nachmittag und Abend!

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      Würstchenbude im Stadion des F91 Düdelingen

      Rückspiegel Luxemburg

      Das