Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1


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Pass kann manchmal Probleme mit sich bringen. Ein Kollege von mir konnte damit zwar problemlos in die Fidschi-Inseln einreisen, bekam aber keinen Einreisestempel, da der Grenzer nichts mit dem Pass anfangen konnte. Die Ausreise war dann ohne Einreisestempel aber höchst kompliziert. Außerdem kann es in manchen Ländern passieren, dass man nach einem Visum gefragt wird, obwohl dieses für Liechtensteiner nicht erforderlich ist.“ Die Staatsangehörigkeit Liechtensteins ist aber ansonsten äußert begehrt, auch bei Schweizern, die in Liechtenstein arbeiten. „Als Ausländer ist es so gut wie unmöglich, eine Aufenthaltsbewilligung in Liechtenstein zu bekommen. Wie gut also, dass meine Oma Liechtensteinerin war!“

      Nach dem Konzert fahren wir nach Vaduz, hoch zum Schloss. Gerne hätte ich das Staatsoberhaupt Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein persönlich besucht, gilt doch die Fürstenfamilie als sehr volksnah. Erbprinz Alois und dessen Frau Sophie habe ich ja sogar vor einigen Tagen anlässlich der Beerdigung von Großherzog Jean in Luxemburg gesehen (von hinten). Außerdem ist seit meinen fidelen fünf Stunden mit Mme la Présidente Georgette Bertin-Pourchet in der République du Saugeais meine natürliche Hemmschwelle gegenüber den obersten Frauen und Männern im Staate deutlich gesunken. Aber leider ist das fürstliche Anwesen prinzipiell für Besucher nicht zu besichtigen, wofür ich hiermit mein vollstes Verständnis ausdrücken möchte. Sonst wäre es hier heute nämlich wahrscheinlich „wegen Überfüllung geschlossen“, denn im Zentrum von Vaduz treffe ich kurz darauf auf mehrere Hundertschaften Chinesen.

      Glauben Sie mir, ich bin in meinem Reiseleben schon so einigen Reisegruppen aus dem Land der Mitte begegnet. Was sich derzeit in der Schweiz und Liechtenstein abspielt, toppt alle meine bisherigen Erfahrungen und ist absolut rekordverdächtig. Wie ich der Zeitung entnehme, hatte der US-Amerikanische Kosmetikhersteller Jeunesse seinen chinesischen Verkäufern im Falle hervorragender Umsatzzahlen eine ganz besondere Erfolgsprämie ausgelobt: eine Shopping- und Besichtigungstour in die Schweiz und nach Liechtenstein. Allerdings hatten die Amerikaner den Ehrgeiz ihrer chinesischen Mitarbeiter wohl heillos unterschätzt. Die fleißigen Chinesen jedenfalls verkauften und verkauften und verkauften, ja, wahrscheinlich verkaufen sie immer noch, sofern sie nicht gerade ihre Erfolgsprämie einlösen. Es sollen etwa 12.000 bis 14.000 Chinesen sein, die während dreier Wochen in drei Wellen mit je etwa 4.000 Personen angeblich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in die Kassen Schweizer und Liechtensteiner Geschäfte spülen. Es ist nicht überliefert, ob Fürst Hans-Adam II. inzwischen Chinesisch lernt. In Vaduz jedenfalls hängt heute an fast jedem Geschäft, Café und Restaurant ein Schild mit chinesischen Schriftzeichen.

      Die fürstliche Familie residiert übrigens erst seit 1938 in Vaduz. Um die Unabhängigkeit des Fürstentums zu bewahren, verlegte im Zuge des Anschlusses Österreichs an Deutschland der damalige Fürst seinen Wohnsitz von Wien hierher. Fürst Hans-Adam II. ist daher auch das erste Staatsoberhaupt Liechtensteins, das innerhalb der seit 300 Jahren unverändert bestehenden Landesgrenzen geboren ist. Die volle staatliche Souveränität erlangte das Fürstentum Liechtenstein im Jahre 1806.

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      Schloss Vaduz

      Adressieren Sie Ihre Briefe nicht an „FL 9494 Schaan“, sie könnten in Florida landen!

      Am nächsten Tag mache ich mit Rita und Walter eine Rundfahrt mit dem Auto durch das 24,6 km lange und 12,4 km breite Fürstentum. Gut vollgetankt geht es auf die große Reise. Wir kommen noch einmal am Schloss in Vaduz vorbei und erreichen nach einigen Serpentinen Triesenberg. Unten im Westen liegt das Rheintal vor uns. Über der anderen Seite des Tals thronen die Schweizer Berge. Gestern dachte ich noch, dass hinter der Bergkette im Osten sofort Österreich beginnt. Was war ich doch für ein Ignorant. Hatte doch glatt nicht gewusst, dass die Hälfte des 160 km2 kleinen Landes in den Bergen liegt. Wir fahren durch einen Tunnel weiter Richtung Osten und erreichen das tief verschneite Örtchen Steg. Unfassbar. Wir schreiben den 13. Mai und Rita macht ein paar Fotos von Walter und mir mit einem Schneemann.

      Walter zeigt mir das Haus seiner Verwandten, wo er so einige Ferien verbrachte. „Ich war immer lieber bei meiner Liechtensteiner als bei meiner Schweizer Verwandtschaft, denn hier war alles zwangloser und herzlicher, auch wenn die Menschen früher hier eher arm waren. In Triesenberg und hier in Steg leben viele Walser, die sind im 13. Jahrhundert nach Liechtenstein eingewandert und haben immer noch einen eigenen Dialekt.“ Als Migranten hatten es die Walser nicht leicht und mussten an den steilen Berghängen siedeln, deren wenige Wiesen und Felder wesentlich schwerer zu bewirtschaften und zu bestellen waren als das Land im Tal. „Die Häuser wurden fast kreisförmig um die Felder herum gebaut, das sieht man da vorne immer noch.“ Wir stapfen noch ein wenig durch den Schnee und fahren dann weiter nach oben auf rund 1600 Meter über dem Meeresspiegel und somit knapp 1200 Meter höher als unser Startpunkt, die Jugendherberge Schaan-Vaduz.

      Wir sind im Wintersportort Malbun angekommen. Das höchste Dorf Liechtensteins liegt in einem schneesicheren Wintersportgebiet. Ist ja prima, aber auf Wintersport bin ich heute dann doch nicht eingestellt. Die Malbuner allerdings auch nicht, denn die Skilifte sind nicht mehr in Betrieb. Außer uns hat sich kaum jemand hierher verirrt. Das Dorf wirkt wie ausgestorben und den Parkplatz in der Mitte Malbuns („in der Saison ist alles voll geparkt, wenn sich die Autokolonnen hier hochschieben“) haben wir heute für uns ganz allein. Nein, mit einem, wenn auch frühlingsmüden, ja schlafenden Wintersportort in Liechtenstein hatte ich wirklich nicht gerechnet!

      Ein wenig durchgefroren steigen wir wieder ins Auto und fahren runter ins Tal, über Triesen bis in die südlichste Ortschaft des Fürstentums, nach Balzers. Auch in Balzers gibt es ein Schloss, aber wie schon in Vaduz, so ist auch dieses Bauwerk nicht frei zugänglich (manchmal finden dort allerdings Konzerte statt). Schießen wir also vom Ort aus noch ein paar Fotos nach oben zum Schloss und laufen dann auf die Rheinbrücke Richtung Trübbach in der Schweiz. Auf der Mitte der Brücke drehen wir um, denn wir haben unser Ziel erreicht: Das Schild mit dem Staatsemblem von Liechtenstein. Ich hüpfe ein paarmal zwischen der Schweiz und Liechtenstein hin und her und frage mich, wie oft ich das wohl machen müsste, um einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde zu bekommen, Rubrik häufigste Ein- und Ausreisen. Bestimmt häufiger, als nur die wenigen Male, die mir die Zeit erlaubt. Unser Ausflug ist ja noch nicht beendet.

      Rita hat mich daran erinnert, fast hätte ich es vergessen: In Vaduz wollte ich doch noch einen Blick in das Fußballstadion werfen. Hier beim FC Vaduz (der derzeit leider nur in der zweiten Liga der Schweiz spielt) hatte vor etlichen Jahren mein Freund Alpha aus Senegal als Fußballprofi brilliert, Spitzname Gullit. Ganz so erfolgreich wie der Holländer Ruud Gullit war Alpha dann doch nicht und auch das Probetraining bei Eintracht Braunschweig blieb erfolglos. Wir erklimmen den Damm am Rhein und schauen ins Stadion. „Früher konnte man von hier das Spielfeld sehen“, soweit Walter. Na gut, wenn ich die Kamera hoch recke, kann man das Spielfeld wenigstens über den jetzigen Sichtschutz hinweg fotografieren. Im Zeitalter der sozialen Medien sind ein paar Fotos vom Stadion und Schloss Vaduz schnell in Senegal angelangt, sehr zur Freude Alphas. Ob er die Fotomotive erkenne? „Jawohl, kenne ich gut und am 14/15 August ist big fest im Schloss, Transport gratis. Big Gruss an alle in Schaan, Balzers Vaduz und ein Bisou an Frau.“ Immer charmant und gut informiert, mein Freund im warmen (Wehmut und ein wenig Neid, ich gebe es zu) Senegal. Sogar an den Nationalfeiertag Liechtensteins hat er sich erinnert.

      Wir fahren nach Schaan zurück. Rita und Walter haben mich zum Essen eingeladen. Während der Braten und die Kartoffeln im Ofen schmoren und der Spargel kocht, plaudern wir u. a. auch ein wenig über den Finanzplatz Liechtenstein. Walter hatte mich gestern bereits mit etlichen Zeitungsartikeln zum Thema versorgt, so dass ich meinen von Urs erworbenen Kenntnissen noch einige weitere Aspekte hinzufügen konnte. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hatte der Liechtensteiner Regierungschef Adrian Hasler Mitte April eigentlich schon alles gesagt: „Heute werden wir im Ausland als verlässlicher Partner wahrgenommen.“ Da Liechtenstein bestrebt ist, internationale Standards möglich rasch und konsequent umzusetzen, werden Konflikte mit der EU, der OECD und der Financial Action Task Force (FATF) vermieden. „Als Kleinstaat bringt es uns nichts, uns dem Druck dieser mächtigen Organisationen auszusetzen, nur um wenig später einknicken zu müssen.“

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