Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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Bände – vielmehr drei Stapel vergilbten Papieres - tatsächlich die Lebenserinnerungen des berühmten Seehelden, Piraten und Admirals ihrer Königin Elisabeth I., Sir Francis Drake, sein? Seit Langem wird in Historikerkreisen darüber diskutiert, ob Drake sie wirklich jemals verfasst hat und wo sie verblieben sein könnten. Denn bislang sind sie trotz vieler akribischer Nachforschungen nie aufgetaucht. Zumindest wussten wir nichts über ihre Existenz.

      Ich muss vorausschicken: Seit meiner Kindheit habe ich mich – ungewöhnlich für ein Mädchen? - eigenartiger Weise für die abenteuerlichen Geschichten der Piraten interessiert. Ich sah sie als Jugendliche in einem romantischen Licht und klammerte die Brutalität der Seeräuber völlig aus. Natürlich bewunderte ich Francis Drake und John Hawkins, die berühmten englischen Nationalhelden, aber auch die irische Piratin Grace O’Malley, eine eher vulgäre Zeitgenossin des Drake. Ich habe die Hollywood-Filme mit Erol Flynn, Rod Taylor, Lex Barker, Anthony Quinn, Eva Bartok, Maureen O‘Hara und Burt Lancaster natürlich alle mehrfach gesehen und träumte von Tortuga, Jamaica, den Cayman Inseln und von Nassau in der Karibik. Sogar mit einem gewissen Stolz. Denn der Erfolg des englischen Empire ist diesen mutigen Korsaren zum großen Teil zu verdanken, weil ihre spanische Goldbeute den Bau der englischen Flotte und damit die Besiedlung der neuen Welt ermöglichte. Und vor allem den Untergang der Okkupationsflotte des spanischen Königs Philipps II. ermöglichte. Ich habe alles über Drake gelesen, was möglich war. Vor drei Monaten habe ich sogar einen gut honorierten Vortrag in der renommierten amerikanischen Drake-Gesellschaft in Boston gehalten. Darüber berichteten sogar die englischen Zeitungen. Was ich aber für bedeutend hielt war die Erkenntnis, dass das Meer nicht nur ein lebensfeindlicher Raum ist, sondern viele Vorteile für den Menschen bereit hält.

      Meine Meinung über Drake in meinem Vortrag: „Er war das typische Geschöpf seiner Zeit, in der Gewalt zum Alltag gehörte. Als Pirat bei seinen blutigen Raubzügen und bei militärischen Konflikten mit den Spaniern machten Drake und seine „ Seefalken “ reichlich davon Gebrauch und schonten dabei weder die eigenen Mannschaften noch den verhassten Feind. Bei näherem Hinschauen entpuppt sich Sir Francis Drake aber auch als ein Kapitän, der im Umgang mit Menschen viel fortschrittlicher dachte und humaner handelte, als viele seiner Entdecker- und Seefahrerkollegen im 16. und 17. Jahrhundert. Sein großer Vorteil war seine Disziplin gegenüber sich und seinen Männern. Da kannte er kein Pardon. Er war ein Held seiner Zeit, das sehr wohl, aber er ist von einem Helden anderer Art umgeben, von einer Frau, die er wie eine Heldin verehrte. Das ist neu in dieser Zeit: Ein Frau wie Königin Elisabeth I. bestimmt die Geschicke der Zukunft. Heute sind Helden keine Selbstverständlichkeit, weil sie dem Gedanken der Gleichheit widersprechen. In einer Demokratie wird leider oft das Mittelmaß zur Norm erklärt. Heute ist - wie zur Zeit der Königin - ein Held neues Typs in Erscheinung getreten: die Frau, eine von uns, unter uns, die sich einem Ideal verschreibt.“

      Mein Besuch in der abgelegenen Kleinstadt Dumbarton, diesem sehr einsamen, rauen Flecken Schottlands, 25 Kilometer nordwestlich von Glasgow, gilt einem alten Mann, einem Eigenbrötler und meist knurrigen Junggesellen, dem berühmten Historiker und Verleger von historischen Büchern, Professor Dr. Bruce Barrington, Sir Bruce, bei dem ich meine Doktorarbeit ablieferte und mit dem Prädikat „summa cum laude“ zurückerhielt. Die Arbeit lautete: Thomas Carlyle als Künstler unter besonderer Berücksichtigung „Friedrichs des Großen“ . Der Schotte Carlyle, in Ecclefechan geboren, hochangesehener Rektor der Edinburgh University, war als anerkannter Historiker ein großer Fan des Preußenkönigs, was ich schnell herausfand und zu einem Schwerpunkt in meiner Dissertation aufbaute. Das gefiel dem begeisterten Europäer Prof. Barrington sehr, denn er gehört heute zu den schärfsten Kritikern des Brexit, denn er argumentiert mit den vielen, gerade englischen Wurzeln in Europa, als Aquitanien und die Normandie für sehr lange Zeit englischer Besitz in Frankreich gewesen waren. Sein wütender Kommentar, den ich kürzlich ausgerechnet im Boulevardblatt „Daily Mirror“ lesen konnte: „Alles Dummköpfe in London, warum laufen die Eliten nicht sturm: England ohne Europa ist wie Rührei ohne Bacon. Ich bin entsetzt, mit wie viel Dummheit Regierungen heute an die Macht kommen und ihren oft peinlichen - wie ich es nenne - Immerschlimmerismus ungestraft verbreiten können!“

      Ich versuchte mich während der Fahrt abzulenken. Meine Gedanken richten sich auf die kommende Adventszeit, die ich mir in alter Manier als beschaulich vorgestellt hatte. Doch nun rasen Gedanken durch meinen Kopf, Gedanken, die ich in jedem Jahr entwickle, wenn der Advent naht. Wenn ich in die vermeintlichen Abgründe unserer Tage blicke, dann scheint das Ende nahe. Das Ende wovon?

      Dabei ist gerade die Zeit vor Weihnachten geeignet, im kleinen Kreis einmal inne zu halten und nachzudenken über das, was uns in diesem Jahr serviert wurde. Von der Politik, den Medien und der Gesellschaft. Die verbale Apokalypse umgarnt uns täglich aus immer denselben Mündern: Das Glück scheint unsere schöne Erde verlassen zu haben! Despoten sind im Vormarsch und rasseln mit ihren Säbeln, Wirrköpfe bestimmen die politische Richtung und füllen ihre privaten Konten, man kann nur ahnen, dass es zurzeit viele Protagonisten gibt, die Abgründe des Bösen in sich haben. Sie zündeln als „öffentliche Meinung“ und verbreiten Panik. Was ist nur mit uns los? Haben wir die Caritas abgeschafft, den Glauben an das Gute im Menschen, die frohe Botschaft ebenfalls und die jahrhundertealte Hoffnung auf eine bessere Welt? Das kann nicht sein!

      Ich bin fest davon überzeugt, dass es immer noch viele Menschen gibt, die meisten, die nach Glück streben. Nach Frieden in dieser zum Teil verrückten Welt, in der viele die Orientierung verlieren, weil auch die Eliten versagen. Wer ist denn noch als Vorbild zu verwenden, wenn selbst die Kirchen und das Management an den menschlichen Unzulänglichkeiten scheitern. Die Lenker unserer Welt entpuppen sich – bis auf wenige Ausnahmen - als gewaltbereite Despoten. Der Bürger, der nach dem Glück strebt, hat leider keine Lobby. Denn ist es wirklich möglich, dass einige wenige Möchtegerns der Mehrheit eines Volkes vorschreiben wollen, wie sie zu leben hat? Früher nannte man das Tyrannei. Alles scheint dem Untergang geweiht zu sein: Individualität, Liberalismus, Christentum, das eigene Ich. Pluralismus und Individualismus – die Säulen der Freiheit – scheinen zu Fremdworten degradiert zu sein. Gut und Böse – der alte Kampf wird heute mit anderen Waffen geführt. Aber er findet statt!

      Das Diktat der alles wissenden Gutmenschen beherrscht die Medien, Meinungen und Mainstreams. Wo ist bei dieser Brexit-Diskussion noch Platz für das Glück? Für die kleinen vertrauten Gesten, für Romantik, Geborgenheit, Zuwendung, für den Zauber eines Neubeginns, für die gute Nachricht? Für die frohe Botschaft in der Adventszeit: für Liebe, Frieden und Wohltat? Meinungsmacher bestimmen unseren Alltag. Offenbar braucht der Mensch solche Leithammel, denen er kopflos folgt, weil er glaubt, nicht mehr „en vogue“ zu sein, wenn er beiseite steht. Werden wir nur ernst genommen, wenn wir alles mitmachen, was man uns empfiehlt? Wenn wir über jedes Stöckchen springen, das uns vorgehalten wird?

      Ein kleiner Blick in die Geschichte beruhigt dann doch wieder: Nicht, dass anno dazumal alles besser gewesen wäre. Das ist nostalgischer Unsinn, aber viel von dem, was uns heute anmacht und blind werden lässt, hat es immer wieder zu allen Zeiten gegeben. Aufreger gehören nun einmal zu unserem Leben, denn wir lernen nichts dazu, weil wir unsere Charaktereigenschaften an unsere Kinder und Kindeskinder weitergeben. Ein Erbe aus früheren Tagen: Als Kain seinen Bruder Abel erschlug! Was kann noch Schlimmeres passieren? Die Neros wachsen eben immer wieder nach und scheitern wie alles vorangegangenen Neros! Auch wenn sie heute andere Namen haben.

      Dass wir in Europa 70 Jahre Frieden und Wohlstand haben, regt heute niemanden mehr auf. Der Mensch ist undankbar. Er will immer mehr und gewöhnt sich schnell an gute Zeiten. Einigen scheint das zu wenig zu sein: Sie suchen die Randale wie die Motten das Licht. Wegbereiter dieser extremen, populistischen Manie sind die vermeintlichen Besserwisser, die Ich-Menschen, die über den Scherbenhaufen, den sie hinterlassen, lachen und bereits auf der Suche nach neuen Opfern sind. Dabei ist die Suche nach dem Glück heute zu einem großen Geschäft geworden: Psychologen, Ratgeber, Coach-Experten wissen, wie es sein muss – und verdienen an der Suche nach dem Glück. Dabei ist das Streben nach Glück ein ganz natürliches menschliches Empfinden. Gut, dass das Glück viele Gesichter hat. Den Verführern sollten wir die kalte Schulter zeigen, sie haben zu allen Epochen nur Unheil produziert.

      Vielleicht ist der Advent die Zeit, sich einmal selbst auf den Prüfstand zu stellen. Es ist sicher nicht alles Gold, was