Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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– kurz bevor er auf seinem Schiff vor der Küste Panamas am 28. Januar des Jahres 1596 in meinen Armen an der unheilbaren Ruhr elendig verstarb. Wir waren am 28. August 1595 mit 27 Schiffen und 2 500 Mann zu einer neuen Kaperfahrt in die Karibik aufgebrochen, die unsere letzte gemeinsame Reise werden sollte. Formularbeginn

      Formularende

      Ich werde seine Lebenserinnerungen, an denen er bis zu seinem letzten Atemzug schrieb, zunächst lesen und sie dann erst Lady Elisabeth Drake übergeben. Ich habe dabei ein schlechtes Gewissen: Zum ersten Mal in meinem Leben führe ich einen Befehl meines Admirals, seinen letzten Befehl, nicht sofort aus. Ich bin nicht glücklich darüber, aber ich kann nicht anders. Dies ist meine eigenmächtige Entscheidung, die alleine ich zu verantworten habe . . . und die ich nicht bereue.

      Bei Sankt Andreas, so soll es sein!

      Die Beisetzung des Admirals verfolgt mich seit Monaten. In einem Sarg aus Blei, eingehüllt in den Union Jack, wurde sein Leichnam dem Meer übergeben. Ich sprach aufgeregt und wohl stotternd folgende Worte, weil mich die Crew darum bat: „Ein großer Mann wird dem Meer übergeben, dem Meer, das er so liebte. Einen wie ihn wird es lange nicht geben. Dieser Abenteurer, dieser Held war ein guter Mensch, weil er ein großes Herz hatte. Sir Francis Drake liebte sein Land, die Königin und seine Familie, zu der ich auch seine Männer auf den Schiffen zähle. Dass ich sein Freund sein durfte, war das größte Geschenk, das er mir machte. Der Sarg geht nun zu den Fischen, aber seine Seele fährt nach oben in den Sternenhimmel.“

      Danach setzten wir sein Schiff in Brand, wie es sich für einen verstorbenen, großen Helden ziemte.

      PS: Die Abschiedsbriefe meines Admirals an die Königin und an seine Frau Elisabeth habe ich auftragsgemäß sofort bei meiner Ankunft in London und in Buckland Abbey, dem Landsitz der Familie Drake, übergeben . . . Ich habe sie aber auf der langen Rückreise in meine Heimat kopiert und nun den Memoiren beigefügt. Sie gehören meiner Meinung nach als Anhang dazu . . . Den langen Brief an Lady Drake stelle ich eigenmächtig an den Anfang. Den an unsere verehrte Königin an den Schluss der Aufzeichnungen meines Kapitäns!

      X

      Liebe Elisabeth,

      mein wunderschönes Weib!

      Ich weiß nicht, ob ich das alles schreiben soll, was mich tief bewegt. Aber wenn Du diesen Brief tatsächlich eines Tages erhältst, ist mein Leben beendet. Dein Ehemann ruht dann auf dem Grund des Meeres – in einem Bleisarg, wie es üblich ist. Dies wird also kein Liebesbrief an eine Frau, die ich sehr vermisse. Oder doch?

      Mich plagen viele Fragen. Ich habe den Eindruck, mein Leben geht zu Ende. Wir liegen hier fest, kein Wind, kein Sieg, kein Erfolg. Und vor allem kein Gold! Mit einem Wort: Verzweiflung! Ja, ich bin verzweifelt. Das Nichtstun macht uns zusätzlich fertig. Hinzu kommen Fälle von fiebriger Ruhr, diesem gefürchteten Durchfall, über den die Landratten lachen. Aber in diesen Fällen sitzt der Tod im Darm! Erste Anzeichen haben auch mich getroffen. Vielleicht habe ich ja Glück . . . und ich überstehe diese Tortur. Ich weiß jetzt zum ersten Mal, wie es ist, wenn man den Tod vor Augen hat. Untätig, machtlos und entmutigt. Man wird bescheiden, weil die Hoffnung mitstirbt, weil sie in die Ferne rückt. Kann es sein, dass ein Sir Ihrer Majestät an einem bösen Durchfall stirbt?

      Ich habe Dir viel mitzuteilen, Liebes. Viele Fragen habe ich, auf die ich keine Antworten erhalte. Ich fantasiere, träume wild, der Schmerz kommt und geht und kommt und geht und kommt . . . Sie geben mir Säfte und Rum, doch nichts scheint mich von den Qualen, die in Schüben meinen Leib erschüttern, zu befreien. Ich muss viele Schreibpausen einlegen . . . um dann wieder fortzufahren. Ich muss Dir noch so viel berichten, von unseren Plänen, unseren Wünschen und Möglichkeiten. Vielleicht werden wir doch noch Farmer in Amerika. Wir bauen uns hier ein Schloss, eine neue Abbey . . . Dummes Zeug. Niemals werde ich ein Bauer. Ein böser Traum suchte mich heim.

      ICH LIEBE DICH!!!!!!!!!!!!!!

      Wir schreiben den 19. Januar 1596: Ich grüße Dich von der „Defiance“ herzlich - in der großen Hoffnung, dass es Dir und unserem Kind gut geht! Mich quält diese verdammte Ungewissheit: Was ist es geworden: ein Junge, ein Mädchen? Bist vor allem Du wohlauf? War es eine schwere Geburt? Dieses Rätselraten macht mich noch verrückt. Ich bin sehr traurig, nicht bei Euch sein zu können. Heute weiß ich: Ich bin ein großer Idiot, dass ich auf diese Fahrt bestanden habe. Dickköpfiger Steinbock eben! Idiot eben auch! Mir geht es seit ein paar Tagen nicht gut, ein teuflisches Fieber, ein heißes Brennen rumort in meinem Unterleib. Eine stinkende Brühe scheide ich unten und oben aus. Ich spüre, wie ich schwächer werde. Auch mein Urin ist rot gefärbt. Wir versuchen alles, um diese Pestilenz einzudämmen. Hoffentlich gelingt uns das sehr bald! Solange ich noch atme, hoffe ich. Ich würde alles hergeben, wenn ich in diesem Moment bei Euch sein könnte!

      Es wird wohl ein langer Brief . . . Liebes, ich habe Dir so viel zu erzählen! Meine Gedanken sprudeln nur so aufs Papier. Gedanken eines glücklichen Mannes und eines stolzen Vaters! Aber auch die Gedanken eines kranken, einsamen Kapitäns: Wer hätte je gedacht, dass der gefürchtete Pirat eines Tages friedlich im Bett stirbt. Müde, schlapp und hilflos . . . immer hilfloser. Ich schreibe wie in einem Fieberwahn - all das, was mir gerade so einfällt. Ich will Dir Mut machen: In meinem Ende kann ein neuer Anfang für Dich, für Euch liegen . . .

      Ich quäle mich heute mit der Frage: Was hat von meinem Leben Bestand? Was, um Gottes Willen, wird aus unserer Liebe, unseren Schwüren, Ideen und Zielen? Ich erkenne: Alles Gescheite ist schon einmal gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken! Ich versuche es, deshalb dieser lange Brief an Dich. Denn ich kann nicht sagen, wo und wie das alles hier enden wird . . .

      Ich spüre zum ersten Mal, was Ohnmacht bedeutet, Schwäche. Zum ersten Mal spüre ich ein blamables Versagen, die Kraft des Verlierens, des Aufgebens. Ich bin kein Held mehr, sondern ein erbarmungswürdiger Greis. Ich erkenne daher: Nicht jeder große Mann ist auch ein großer Mensch. Ich habe Angst vor dem Ergebnis unserer Reise. Ich, der gefeierte Seeheld, der Pirat, der furchtlose Korsar. Was für ein fluchwürdiger Hunger nach Gold war das, der mich immer trieb. Was nützt mir nun all mein Gold? Man nennt mich heute schon den „Mann mit den zwei Gesichtern“, weil ich als Abenteurer und als der erste englische Weltumsegler geehrt worden bin, dessen Verdienste für die englische Seefahrt und den Aufbau der englischen Seemacht gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Das sind die Worte unserer Königin. Ich war immer der Seefahrt mit Herz, Leib und Seele verschrieben, ein Mann, der dafür geboren war, sich dem ständigen Kampf mit den wütenden, nassen Elementen zu stellen. Doch der Preis, den ich dafür zu zahlen bereit war, wird eines Tages mein Bild trüben: Plünderung, Mord und Sklavenhandel. Noch sind meine Bewunderer dem romantischen Bild verfallen, das man sich in England immer noch vom „Piraten im Dienste der Königin“ malt. Doch hat dies alles bestand vor dem erbarmungslosen Urteil der Geschichte? Vielleicht sagen sie: Er hat bewiesen, dass die Welt rund, dass sie eine Kugel ist! Du wirst Dich wundern, warum mich gerade jetzt diese Gedanken quälen: Ich weiß es nicht . . .

      Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, Liebes, aber Dein Held ist sehr verzweifelt. Was ist aus mir geworden? Ein Jammerlappen! Fast hilflos, wie ein alter Segler, der irgendwo gestrandet ist. Fieberwellen durchlaufen meinen abgemagerten Leib. Mein Geist denkt wirr: Solch ein Ende für einen gefeierten Admiral? Ja! Meine Gedanken trüben sich ein, dann, Stunden später, sehe ich wieder klar. Für ein paar Minuten keimt neue Hoffnung auf, um kurz danach zu erkennen, dass es keine Rettung gibt: Dein Mann und Admiral der Königin ist nur noch ein stinkendes Etwas. John schiebt mir ein Kissen unter meinen rechten Arm, damit ich noch schreiben kann. Die Krämpfe in den Beinen zeigen mir, dass ich noch lebe und gegen den Tod ankämpfe. Meine Füße sind doppelt so dick, ich kann sie nicht mehr anheben. John gibt mir Alkohol, in den er eine Droge mischt, wahrscheinlich Opium, um die Schmerzen im Unterleib zu lindern. Das hilft für eine gewisse Zeit . . . Aber ich erkenne: Was reif ist, ist schon halb verfault! Oder: Kaum ist der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt, beginnt der Körper zu verwelken . . . Wir müssen diesen Bauchfluss endlich stoppen . . .

      Heute erinnere ich mich – ich denke, ich habe einen klaren Moment - an unsere ersten Tage in Buckland im Jahre 1585, wie Du unsicher durch das große, fremde Haus geschritten bist. Ich zeigte Dir die Räume, unsere privaten Gemächer ebenso wie die Nebengebäude,