Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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ich Dein Staunen über all den Luxus, der uns umgab. Wie gerne säße ich jetzt auf der Terrasse mit Dir, die von vielfarbigen Hortensien eingerahmt ist, ein Glas Wein vor uns, den Untergang der Sonne genießend. Es machte mir immer eine große Freude, wenn wir gemeinsam in den Weinkeller, ein großes, kühles Rundgewölbe, gingen, um einen guten Tropfen für den Abend auszusuchen. Manchmal liebten wir uns spontan dort auf dem kleinen Sofa. Weißt Du noch? Es war der Reiz des Verbotenen, der uns vereinte, denn wir wurden nicht einmal von einem Bediensteten zufällig ertappt. Wir waren aufgeregt, atemlos, vital und beeilten uns danach, mit zwei Flaschen wieder nach oben zu gehen. Es waren herrliche Momente, Augenblicke einer körperlichen Erfüllung und ein wohliger Kitzel, den wir beide genossen.

      Ich schreibe wieder wie ein Verrückter, um mich wach zu halten. Ist es schon das erste Anzeichen eines Wahns? Oft unterbreche ich das Schreiben, schlafe nur kurz, fange erneut an. Meine Arme schmerzen, die Beine sind fast taub und geschwollen, ich schwitze vom Fieber. Mir ist von dem bestialischen Gestank an Bord noch übler. Wir liegen hier fest, angeschlagen und ohne große Hoffnung, doch noch Portobelo erobern zu können. Es fehlt der Wind, auch Poseidon und der Gott des Windes, Aeolos, scheinen uns verlassen zu haben. Meine Männer halten noch zu mir, sie spüren meine beginnende Schwäche. Mich plagt ein heftiges, ein verdammtes Feuer, das von der heimtückischen Ruhr, einem fürchterlichen Durchfall, herrührt, der auch unseren Vetter und Freund John Hawkins hingerafft hat. Ja, Liebes, John starb bereits im November . . . vor zwei Monaten. Wir haben erst vor drei Tagen von seinem Tod erfahren. Ich bin sehr traurig. Unser beider Ehrgeiz fordert nun den Tribut. John war ein feiner Kerl, ein mutiger Kapitän, ein reicher Pirat und ein unruhiger Geist. Wir beide mochten ihn sehr.

      Ich fühle mich einsam, schuldig, depressiv und schwach. Den Blick auf das Ende zu werfen - es gibt in unserem Leben kaum etwas, das den Menschen schwerer fällt. Was passiert in meinem Körper, schlägt mein Herz noch? Sind die Glieder noch voll von Leben oder schon kalt geworden, abgestorben? Verliere ich den Verstand? Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich bin unendlich traurig, von Dir getrennt zu sein. Von Dir und von unserem Kind. Wem ähnelt es? Schreit es, lacht es? Wir sind erst elf Jahre verheiratet, zu kurz, um zu sterben. Zu lang, um dem Glück entsagen zu müssen.

      Ich habe mir mein Lager auf Deck aufschlagen lassen. In meiner Kajüte halte ich es nicht mehr aus. Tagsüber liege ich unter einem Sonnensegel, nachts – um etwas Kühlung zu bekommen, damit das Fieber erträglicher wird – starre ich in den Sternenhimmel. Ich blicke in die fremde, unendliche Weite des Himmels über mir und stelle mir vor, wo und wie ich dort bald sein werde. Oder ist für mich doch ein Platz in der Hölle reserviert? Für den Seeräuber Drake? So intensiv habe ich den Sternenhimmel lange nicht mehr beobachtet – wir beiden taten das am Anfang unserer Beziehung und später in den ersten Jahren unserer Ehe, wenn wir nach einem Liebesspiel ermattet am Strand lagen. Wie unbekannt die Welt über uns doch ist! Welch göttliche Macht hat das alles erschaffen und eine Gesetzmäßigkeit diesen Planeten verordnet, um das Chaos am und im Himmel zu vermeiden?

      Ich beginne zu grübeln, zu zweifeln und frage mich: Wo ist unser aller Gott dort oben zu finden? Wo ist sein Reich mit all den Toten, die in den Himmel wollten und auch dort gelandet sind? Auf einem der Sterne? So intensiv ich auch nach oben starre, ich kann Gott nicht sehen, keine Engel, keine Heiligen – nichts, nur leuchtende Punkte in unterschiedlicher Größe. Irgendwie macht mir das Firmament Angst, nachdem ich des Nachts oft segelte und Kurs hielt. Wie viele dieser Sterne gibt es dort, welche sind der Himmel? Der Nordsternhimmel ist anders als der Südsternhimmel. Ich habe Probleme, das Kreuz des Südens zu erkennen. Ist dort das Königreich der Himmel zu finden, denn der Himmel ist ja nun geteilt in Katholiken, Protestanten, Sektierer, Mohammedaner, Juden, Buddhisten, Hindi – können die vielen Millionen Toten alle dort oben Platz finden? Ich bin verwirrt, je länger ich darüber nachdenke. Solche Gedanken hatte ich früher nie . . . Als junger Bursche war ich ein Suchender in einem Strudel der Gefühle, wie die meisten meiner Kumpane auch. Ich suchte nach meinem Platz im Leben, nach der Wahrheit, nach Antworten auf die vielen Fragen, die mir so durch das spätkindliche Gehirn schießen. Was ist richtig, was ist falsch, wohin führt mich mein Weg? Welcher Weg ist der richtige? Und wenn man zudem in einem streng puritanischen Haushalt aufgewachsen ist, der Meinungen und Antworten vorgibt und weitere Fragen als Provokation empfindet, wurde diese Suche zum dominierenden Inhalt eines jungen Lebens. Meines Lebens. Ich las viel und suchte nach Antworten. Ich kam mir vor wie in einem Steinbruch, suchte und fand den schweren Brocken, der meinen jugendlichen Wissendrang befriedigten konnte. Irgendwie war ich glücklich auf dieser Suche nach dem Sinn, nach dem Wo und dem Wie und dem Warum. Wie die meisten Menschen, so träumte auch ich von Erfolg und Macht, von Ansehen und Reichtum. Ich sehnte mich nach der eigenen Freiheit und einem von mir bestimmten Glück. All das habe ich erreicht und mit und in Dir gefunden. An ein Scheitern habe ich nie gedacht! Und nun dieses Ende . . . Aufstieg und Fall eines Heldenlebens?

      Liebe Elisabeth: bete für mich! Ich glaube, unser gütiger Gott hat mich nun endgültig verlassen. Wir haben unser Ziel hier an der Küste von Panama nicht erreicht, wir haben verloren. Ich glaube, mein Stern sinkt, mein Ruhm verblasst. Ich bin sehr verzweifelt. Halte Dich künftig immer an die Königin, wenn Du Probleme hast. Sie wird Dich, unser Kind und unser Haus beschützen. Ich bin dann sehr weit fort von Euch . . .

      Heute Morgen habe ich Gott verflucht, habe ihm meine Traurigkeit vor die Füße geworfen. Vielleicht war das falsch, aber ich spüre, wie ich schwach werde. Vielleicht war dieser Ausbruch ein letztes Aufbäumen, ein Schrei der Verzweiflung. Ich spüre den nahenden Tod, vor dem ich nie Angst hatte. Wir lachten über Freund Hein, machten unsere Witze über den Mann mit der Sense. Nun schreitet er suchend über mein Schiff. Der treue John hilft mir, so gut er kann. Ich sehe die Krankheit nicht als Strafe für meine Taten, meine Raubzüge, nein, so denke ich nicht. Ich hätte vielmehr zu Hause - bei Dir! - bleiben sollen! Mein Geburtstag – ohne Dich. Weihnachten – Ohne Dich. Ohne Dich. . .

      Grausame Einsamkeit! Nun bin ich in der Karibik und sterbe langsam aber sicher vor mich hin. Ich habe das Gefühl, dass ich verfaule wie ein alter Braten. Das Schreiben macht mir letzten Mut, es lenkt mich ein wenig ab, obwohl ich Probleme mit den Augen bemerke. Mein Atem geht heute schwer, mal läuft mir der Schweiß in Bächen von der Stirn, mal friere ich sogar in der Karibiksonne. Unser treuer John kümmert sich mit Hingabe um mich, sein trauriges Gesicht verheißt nichts Gutes. Er weiß, wie es um mich steht. Ich verfluche die Abwesenheit von Dir – und unserem Kind. Der Gedanke macht mich verrückt, macht mich rasend. Ich glaube, ich spinne langsam. Meine Liebe zu Dir wird mit meinem Tod nicht aufhören, denke daran, Liebes. Ich wollte immer eine Familie haben, nun erlebe ich dieses Glück nicht mehr. Man sagt ja, glückliche Familien seien alle gleich langweilig, die unglücklichen unterschiedlich und damit interessanter. Ich bin da anderer Meinung: Meine Familie, meine Eltern und meine Geschwister, waren nie glücklich, sie glaubten das Glück durch ihren strengen Glauben gefunden zu haben – das war es aber auch schon. Es war ein Irrtum. Ich suchte mir damals mein eigenes, kleines Glück: Ich wurde als Kind schon zu einem Händler, ich verkaufte gesammelte Wildblumen an den Markteingängen, sammelte im Wald Eicheln, die mir die Schweinebauern abkauften, erntete mit Hilfe eines großem Holzkamms Wacholderbeeren, die ich in den Destillen anbot, wo sie zu Schnaps verarbeitet wurden. Ich tat das, um voran zu kommen . . . doch ich weiß heute: Ein Gentleman wird man erst in der dritten Generation!

      Ich muss wieder geschlafen haben. Ist das schon der kleine Tod, von dem Homer sprach? Welcher Tag ist heute? Die Sonne geht am Horizont unter und hüllt den Himmel in ein gelbrotes Inferno. Wie schön unsere Welt doch sein kann! Oder ist es schon das böse Omen für einen neuen Weltenbrand? Unsere Flotte ist stark geschrumpft. Wir sollten heimkehren . . . Elisabeth, wir haben keinen Erfolg. Drake, der Versager! Das werden sie nun sagen, schreiben, berichten. Vielleicht verfluchen sie mich auch. Doch mich quält die Frage: Was wird aus England? Werden diese egoistischen Eliten, die nur an sich und ihren Wohlstand denken, das große Ganze aus den Augen verlieren? Bleibt die Königin stark genug, ihre, unsere Pläne zu verwirklichen? Wichtig ist vor allem, erinnere die Königin immer daran: Wichtig ist die absolute Vorherrschaft auf den Weltmeeren. Beherrschen wir die Ozeane, beherrschen wir die Kolonien. Sage diesen Satz ihr immer wieder, immer wieder . . . Nur so können wir die größte Weltmacht der Neuzeit werden, größer als Rom!

      Ich vermisse Dich sehr, liebe Elisabeth! Ich vermisse Dein Lachen, Deine heilenden Hände