Ich bemerkte ihr süßes Parfum, eine Mischung aus Veilchen und Schneeglöckchen, wie sie mir bei einem späteren Besuch verriet.
Die Situation war mir sehr unangenehm. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Es gab einen Moment, da wollte ich einfach verschwinden und den Termin platzen lassen. Meine bisherigen Begegnungen mit der Monarchin waren entspannter verlaufen, da ich meist mit anderen gemeinsam eine Audienz erhielt. Mit John Hawkins oder mit Walter Raleigh oder weiteren befreundeten Kapitänen. Was wollte die Königin nun von mir, von einem unbekannten, 27jährigen Sklavenhändler, der – das gestehe ich ein - neue Aufgaben, also eine neue Zukunft suchte? Ich hasste solche Situationen, in denen ich nicht das Sagen hatte, weil sie mich in die Defensive drängten. Ich war schon damals gerne der Handelnde!
Es war einer dieser lauen Sommertage, an denen der Dauerregen wie ein müder Wasserfall das Land aufweichte, was die Pflanzen mit einem satten Grün dankten und die Themse anschwellen ließ. Ich spürte meinen Herzschlag und bemerkte die neugierigen, anmaßenden Blicke der Wartenden. Als die Königin, die schnellen Schritts vor der ihr folgenden Gruppe auf mich zukam und mich sofort entdeckte, winkte sie mir zu, verabschiedete sich knapp von ihrer Entourage, besonders eindringlich von Lord Cecil, der mich mit einer gewissen Verachtung begutachtete und immer wieder seinen weißbärtigen Kopf schüttelte. Wenige Minuten später führte die Königin mich schweigend in ihre Privaträume. Sie lächelte freundlich und gab einem Pagen leise einen Auftrag, der daraufhin mit einer leichten Verbeugung sofort verschwand. Wenige Augenblicke danach betraten wir, wie sie mir freundlich erklärte, den Blauen Salon. Ich bestaunte die blauen Wandbespannungen aus Seide, das blassblaue Ess-Service, ein Dutzend blaue Kristallrömer und das blaue, mit Edelsteinen besetzte Kleid, dass Ihre Majestät trug. In der Mitte des eher kleinen Zimmers stand ein runder Tisch mit vier Stühlen. Ich sah sofort, dass für zwei Personen eingedeckt worden war – mit einem silbernen Teller als Set und silbernem Besteck, das sehr gut zur blauen Farbe der Tischdecke und dem anderen Blau des Raumes passte. Ich war immer noch verirrt. Sollte ich den Dialog beginnen? Womit? Ich glaubte zu ahnen, dass die Königin merkte, wie verlegen und unerfahren ich in solchen Situationen immer noch war. Wenn ich an das doch sehr bescheidene Leben im Hause meiner Eltern dachte: Es herrschte damals Stillstand in meiner Familie, eine Tatsache, der ich entfliehen wollte, entfliehen musste. Mich lockte immer das Meer, die See, die Ozeane. Ich suchte die Veränderung, denn ich wollte mein Weltbild erweitern. Glück hieß für mich damals Herausforderung. Ich ahnte nicht, was das in Wirklichkeit bedeutete. Es war etwas Unbekanntes in mir entfacht worden, der Wunsch, ein anderes Leben zu führen . . . ruhmreich, wohlhabend, geachtet. Kurz: Ich wollte hoch hinaus. Um jeden Preis!
Die Königin lächelte freundlich zu Beginn, doch sie stellte gleich einiges klar: „Nun, Kapitän Drake, ich heiße Euch willkommen. Um es gleich zu sagen, unser beider Gespräch unterliegt der höchsten Geheimhaltung. Damit wir uns richtig verstehen! Ein Wort zu einer anderen Person und Ihr seid draußen. Dann ist das Band zerrissen.“
Ich verbeugte mich leicht, unerfahren in den Riten des Hofes, und setzte mich erst, als die Königin Platz genommen hatte. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr so entspannt und fröhlich wie bei ihrem Auftritt eben nach dem Kirchgang. Ich entdeckte eine tiefe Sorgenfalte auf ihrer blassen Stirn und ahnte sofort, was das weitere Gespräch betraf, wenig Gutes. Ihr glattes Gesicht, das immer mit einer leichten weißen Puderschicht bedeckt war, wirkte blass, nicht etwa krank, einfach nur blass, vielleicht sogar etwas ängstlich. Und so ganz anders als auf den vielen Ölbildern, man schätzte achtzig bis einhundert Stück, die bereits existierten und sie in verschiedenen üppigen Kleidern zeigten.
Was wollte die Königin von mir?
„Ihr könnt die Höflichkeitsfloskeln, mit denen Ihr sicher Schwierigkeiten bekommen könntet, einfach weglassen, Mister Drake, redet so, wie Ihr meint und was Ihr denkt. Ich kann eine Menge vertragen. Nennt mich einfach Königin. Ich bitte Euch nur, mir immer die Wahrheit zu sagen, speist mich nicht mit dieser modernen, gefühlten Wahrheit ab. Sie ist der Beginn einer Lüge und belügen sollten gerade wir beide uns nicht. Ich brauche keine perfekten Menschen um mich, denn sie gibt es nicht, ehrliche Menschen reichen mir, Mister Drake. Ich mag Euch sehr, Eure Dickköpfigkeit, Eure Alleingänge und Eure kühnen Pläne, eines Tages die Welt als erster Engländer umsegeln zu wollen und – nebenbei - spanische Goldschiffe zu kapern. Euer Vetter John Hawkins, den ich sehr schätze, sprach davon. Was für eine verrückte, eine gefährliche Idee. Damit Ihr es wisst: Ich werde die Freibeuterei öffentlich nicht gutheißen, ich würde die spanische Diplomatie brüskieren. Aber ich vertraue Euch, dem stolzen Vetter dieses Haudegens John Hawkins. Ich kenne Euer beider Ruf und gestehe, dass ich beeindruckt bin, Mister Drake. Beeindruckt, aber noch habe ich kein konkretes Wissen über Eure Pläne. Hawkins ist bereits Feuer und Flamme, als er mir Andeutungen machte, was Ihr vorhabt. Und auch Walter Raleigh hängt mir kräftig in den Ohren. Irgendetwas hat Euer „Trio Infernale“ ausgeheckt. Ich möchte es jetzt und hier und heute wissen. Bei einem gemütlichen Lunch zu zweit ist es leicht . . . zu plaudern. Denn ich esse vor dem sonntäglichen Kirchgang nie etwas. Wir haben Zeit . . . und keine Zeugen. Übrigens, wart Ihr heute im Gottesdient? Als Sohn eines Predigers wäre das ja sicher nichts Ungewöhnliches? Und . . . Ihr seid noch Junggeselle, wie ich erfuhr. “
„Nein, Majestät . . . ja . . . ich . . .“
Sie nickte und klatschte fröhlich in ihre Hände, worauf ein Page mit einem Tablett und weißen Tellern erschien, auf dem außerdem zwei mit Wein gefüllte Gläser standen.
„Hat es Euch die Sprache verschlagen, Mister Drake?“
„Ja . . . nein . . . nicht in der Kirche und nicht verheiratet.“
Elisabeth blickte mich mit ihren blau-grünen Augen belustigt an. Dann sagte sie freundlich: „Lasst uns auf unsere gemeinsame Zukunft trinken, Kapitän Drake. Ihr seid noch sehr jung, wann seid Ihr geboren?“
„Man sagt, so um das Jahr 1540 oder auch früher. Ich habe mich immer gewundert, warum es kein festes Datum gibt. Ich fühle mich älter als 27 Jahre, Majestät. Viel älter.“
„Ihr wirkt tatsächlich erfahrener, Mister Drake, nicht älter. Dann bin ich selbst nur rund sieben Jahre älter als Ihr, habt Ihr damit ein Problem? Egal . . . Ich habe Pläne mit Euch, große Pläne, die uns beiden dienen können. Ich glaube, Ihr habt den Mut dazu und den klugen Kopf und ein mutiges Herz, das zu vollbringen, was mir insgeheim vorschwebt. Es wird ein langer, gefährlicher und abenteuerlicher Weg – für uns beide. Doch was wäre unser Leben, wenn wir nicht den Mut hätten, etwas ganz großes zu riskieren? Das katholische Europa hält unsere Insel für einen Hort von Ketzern, uns selbst für ein ungebildetes Volk von Schafzüchtern. Andere nennen uns voller Abscheu „Ungläubige“, als wären wir Mohammedaner. Das will ich, das werden wir ihnen heimzahlen. Wir werden Schrecken verbreiten in Spanisch-Amerika, wie sie den neuen Erdteil jetzt schon arrogant bezeichnen. Nach einer kurzen Pause fährt sie mit etwas lauterer Stimme fort: „Der Norden Amerikas muss Britisch-Amerika werden!“
Ich hob vorsichtig mein Glas, einen wunderschönen blauen Kristall-Römer, und trank der Königin vorsichtig zu: „Mir ist durchaus bewusst, dass niemand neue Erdteile entdecken wird, wenn er nicht bereit ist, alte Küsten zu verlassen. Ich würde mich freuen und glücklich schätzen, wenn ich Euch helfen . . . dienen kann. Aber wie?“
Die Königin lachte mich an und klatschte erneut in die Hände. Ein anderer Page erschien mit einem großen silbernen Tablett, auf dem Krustentiere zu einem bunt gemischten Hügel aufgetürmt waren. Drei kleine Töpfe mit verschiedenen Saucen entdeckte ich auf einem anderen Teller.
„Greift nur zu, Kapitän Drake, ich habe großen Hunger.“
Ich traute mich, zwei Austern und eine bereits vorgeknackte Hummerschere auf meinen Teller zu legen. Später tauchte ich die Hummerschere in eine lauwarme Knoblauchbutter und fragte die Königin mit vollem Mund: „Ich frage mich, was das für Pläne sein können?“
Die Königin wischte sich ihre blassen Lippen mit einer Stoffserviette ab, trank einen weiteren Schluck Weißwein und nickte mir zu: „Ja, mein Lieber, wir wollen ja nicht nur Schmausen. Jetzt ist die Zeit, Neues zu wagen und den Zauber eines Neuanfangs zu spüren . . . Mut ist die Kraft, Mister Drake, Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Nun, ich habe von Hawkins erfahren, dass