Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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die gefüllten Truhen regelmäßig in unserer Schatzkammer, für die es nur zwei Schlüssel gibt: ihren und meinen. Im Weinkeller ist sie eine fröhliche Genießerin. Auf der großen Terrasse, im Garten und in den Pferdeställen ist sie die Gutsherrin. In unserem Schlafzimmer das zärtliche Weib. Ich frage mich oft, warum ich so glücklich bin. Elisabeth besitzt ein frisches, jugendliches Lachen, eine angeborene Fröhlichkeit. Ich denke oft: Kann ein Mensch immer so gut gelaunt sein? Nichts scheint ihr zu viel zu sein. Sie strahlt eine Freundlichkeit aus, eine Sicherheit, Sorgfalt und eine Hoffnung, ohne ein Wort sagen zu müssen. Das nennt mal wohl Autorität. Unser Personal verehrt sie, weil die Herrin fordert und fördert. Sie kümmert sich um die Kranken, die Kinder der Angestellten, sorgt für deren schulische Ausbildung, testet die unterschiedlichen Fähigkeiten jedes einzelnen, um dann zu entscheiden, was der richtige Weg für sie oder ihn ist und ob eine Förderung sinnvoll erscheint. Sie kommt mir vor wie ein Engel, wie der gute Mensch von Buckland Abbey. Mit ihrem Lächeln setzt sie die schwierigsten Dinge durch, auch bei Alkoholproblemen, Streit und Missgunst unter den Bediensteten. Sie bezahlt die Menschen, die in unseren Diensten stehen, gut und gerecht. Nichts ist ihr zu viel, auch wenn sie sich um die Sorgen der jungen Mütter kümmert. Wir sind so etwas wie eine große Familie geworden. Nur zweimal hat sie eine Magd und einen Butler entlassen müssen, die gemeinsam als Diebespaar erwischt wurden. Ihr gelingt vieles von dem, was ich gar nicht leisten könnte. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, da sie mir den Rücken frei hält für meine vielen Aktivitäten. Ohne sie wäre ich nur halb so erfolgreich! Die meisten Menschen fühlen tief in ihrem Herzen, dass es ihnen endlich besser geht. Sie träumen davon, dass sie erfolgreicher sind. Ich habe diese Träume schon lange nicht mehr! Denn ich schreibe nun. Meine Frau ärgerte mich vor ein paar Tagen mit der Bemerkung: „Es gibt Bücher, lieber Francis, die werden sehr gelobt . . . ohne dass man sie jemals gelesen hat!“

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      Den folgenden Text, den ich erst vor ein paar Tagen aus einer Laune heraus schrieb, stelle ich nun bewusst an den Anfang meiner Lebenserinnerungen, weil er deutlich macht, in welch merkwürdiger Lage ich mich damals befand: Francis Drake, ein gutaussehendes Nichts, einen Meter und achtzig Zentimeter groß, von kräftiger, sportlicher Gestalt, mit einem kühnen Gesicht, gut gekleidet, aber fast pleite, ein Sklavenhändler, Sohn eines armen Bauern und Predigers der Anglikanischen Kirche, ein Pirat mit ersten kleinen Erfolgen, weil ich auf dem Schiff meines Vetters John Hawkins dieses Handwerk schnell erlernte und danach mein eigenes Kaperschiff, den schnellen Segler, die „Golden Hinde“, kommandierte: Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Verbindung zu meiner Königin Elisabeth. Viele werden bezweifeln, dass ich solch einen engen Kontakt zu ihr habe, doch mein Verhältnis zu ihr ist ungewöhnlich. Elisabeth gilt als unnahbar, arrogant und zickig. Doch so erlebe ich sie nur selten, nie aber, wenn wir alleine sind.

      Ich führte in den vergangenen Jahren viele Gespräche dieser Art mit ihr, in denen unser beider Verhältnis enger und vertrauter wurde. Es ging immer um die alte Frage: Wie viel Europa ist in England wirklich? Wäre England nicht besser daran, es würde die Bande zu Europa kappen und einen eigenen, einen zwar weiten Weg, aber eine freien, globalen Weg gehen. Ein Weg, der als streng katholisches Königreich an der Seite Spaniens reüssieren werde. So die Meinung hinter der vorgehaltenen Hand. Es sei ein großer Fehler, sich von Rom losgesagt zu haben. Rom sei mehr als eine große Stadt, Rom sei eine Weltanschauung, ein Machtpotential. Die Königin dachte anders: Ich konnte ihr gegenüber klare Worte wagen, sie wiederum hielt mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Es entstand ein enges Verhältnis, das es in dieser Form nur selten gibt, da Elisabeth mir gegenüber sehr offen und ehrlich ihre innersten Dinge, ihre Gefühle, wagemutigen Pläne, aber auch ihre Sorgen mitteilte. Das schmiedet zusammen. Vielleicht werde ich einige Gespräche im Rahmen meiner Lebenserinnerungen wiedergeben, denn ihr Inhalt lässt die ungewöhnliche Gedankenflut dieser großen Monarchin erkennen. Ich wusste um ihre kleinen Schwächen, die versteckten Hinweise, wenn sie etwas wollte, was niemand erfahren sollte, ihre kleinen Wünsche, die einer Königin unwürdig waren, wie zum Beispiel süße Törtchen, die sie sehr liebte, oder frische Hühnerleber – „Ich kann davon so viel essen, wie ich will, ich nehme nicht zu.“

      Mit der Zeit entdeckte ich ihre wahre Persönlichkeit, ihre ungeheuren Stärken, erkannte, warum sie sich mal so, mal völlig anders benahm. Die Königin ist bis heute eine begnadete Schauspielerin! Sie hatte eine panische Angst davor, ihre Macht, ihren Thron, ihre Herrschaft über ihr geliebtes England zu verlieren. Es war die ständige Angst der Tudors, die schon ihren Vater zu einem Tyrannen werden ließ und ihre erzkatholische Schwester Mary zu einer die Menschen verachtenden Despotin. Elisabeths Erinnerung an die Zeit im Bell Tower, dann die Festsetzung im goldenen Käfig eines kleinen Jagdschlosses in Woodstock, das alles beeinflusste ihr tägliches Handeln. Für viele waren ihre Herrschaft und ihre öffentlichen Auftritte unverständlich, wirkten arrogant und machtbesessen. Dann wiederum zeigte sie sich als Patriotin, als rhetorisch höchst begabte Streiterin für ein starkes England. Dabei war sie im Grunde sehr sensibel: Die Mauer des Schreckens, die sie um sich aufgebaut hatte, verdeckte den wahren inneren Kern der Monarchin – einen durchaus weichen Kern.

      Ich werde versuchen, auch diese Seite aufzuzeigen. Wer könnte es sonst tun, die Gedanken, Gefühle und Träume der Königin zu konservieren, um ein wahres Bild von ihr zu malen? Das kann nur jemand, der ihr sehr nahe ist. Dieser erste Gedankenaustausch knüpfte ein enges Band zwischen uns. Kein Wunder, dass in den folgenden Jahren die privaten Gespräche zu einem spekulativen Klatsch am englischen Hof führten. Man rümpfte die gepuderte Nase über den „Mister Sklavenhändler“ („wo kam er noch mal her?“) und deutete die lukrativen Erfolge als zufällige Ereignisse eines Glückspilzes. Man mochte mich nicht an diesem Hof! Ich war und wurde keiner von ihnen, keiner von diesen Feinmenschen!

      Lass sie doch quatschen, dachte ich oft. Solch ein Leben an einem königlichen Hof wurde von übler Nachrede ebenso geprägt wie von stolzen Auftritten, offenen und versteckten Feindschaften und einer Portion Missachtung gegenüber jeder und jedem. Auch die anwesenden Frauen trugen oft bewusst zum eitlen Spiel der konkurrierenden Hengste bei: Eifersucht, Geilheit, Verführung, Empörung, Neid, Boshaftigkeit – all diese allzu menschlichen Neigungen machen das aus, was man höfisches Leben nennt. Für mich war es ein absolutes Neuland, wie, wenn ich eine unbekannte Küste ansteuerte oder eine fremde Insel, auf der Riten und Protokolle das Maß aller Dinge zu sein schienen. Nichts für mich, dachte ich anfangs, wenn ich am großen Ruder meines Seglers stand und nicht – festlich wie alle gewandet – um auf das Erscheinen der Regentin im Palast zu warten.

      Elisabeth kam nie pünktlich!

      Sie tat das mit Absicht: „Wer auf mich wartet, muss sich in Geduld üben und seinen Zorn zügeln. Geduld ist ein sehr gutes Mittel gegen das Aufbrausen, die Unbotmäßigkeit, Maßlosigkeit und zu viel Stolz. Geduldgedanken glätten die Wogen der Begehrlichkeiten, ohne dass nur ein Wort gesprochen ist. Auch auf diese Weise kann man Komplotte überstehen. Ich nenne es Taktik: Entscheidungen aufschieben oder widerrufen, mehrere Projekte gleichzeitig diskutieren, das schafft Verwirrung, die Gegner im Unklaren lassen und vieles mehr. Täuschung und Bluff sind gute Begleiter in schwierigen Fällen der europäischen Diplomatie. Ich bin vorsichtig geworden im Laufe der Jahre, Mister Drake, als ich im Tower saß, von der eigenen Schwester hintergangen.“ So offen redeten wir immer. Eines Tages geschah es dann – ich wurde für sieben Monate ihr Liebhaber. Vom Kleinen zum Großen: Irgendwann war ich dann ein Teil des Ganzen.

      Ich erinnere mich noch sehr gut an das erste vertrauliche Gespräch in den privaten Räumen der Königin – im diesem riesigen, turmreichen und noblen Londoner Richmond Palast, den man heute den Tudor-Palast nennt, einen Steinwurf von der Themse entfernt. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann muss ich sagen: Ich habe viel Glück gehabt, verdammt viel Glück. Vielleicht war es aber auch nur das Glück des Tüchtigen. . .

      Es war an einem Sonntag im Monat August des Jahres 1567, mittags gegen zwölf Uhr, als die Königin aus der Westminster Abbey kommend, in Begleitung mehrerer Hofleute, unter ihnen der mächtige William Lord Cecil, 1. Baron Burghley, Schatzmeister, Lordsiegelbewahrer und engster Berater der Regentin, in den Vorraum zur großen Empfangshalle trat, wo die Besucher immer vor einer Audienz warteten. Wo ich bereits in meinem elegantesten Rock aus dunkelgrünem Samt, in neuen, kniehohen, hellen Lederstiefeln und mit meinem prächtigen Schwertgehänge, das ich noch morgens mit großem Eifer geputzt hatte, wartete: Nervös,