Wulf Mämpel

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake


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sehr gefährlich sein, weil man nicht sicher sein kann, dass der Inhalt so gelesen wird, wie der Autor ihn gemeint hat. Und doch haben die Drei mir einen Floh ins Ohr gesetzt, der mich seit Monaten beschäftigt. Ich kann kaum noch andere Gedanken entwickeln. Und – mich hat ein merkwürdiger, wohltuender Ehrgeiz gepackt, es eines Tages tatsächlich zu tun. Denn ich habe begriffen, dass auch der Zufall eine gewisse Gesetzmäßigkeit hat! Es stimmt, was die Engländer gerne sagen: „Sobald du anfängst, dir Gedanken darüber zu machen, was andere über dich denken und reden, hörst du auf du selbst zu sein.“

      Vielleicht will ich aber auch nur meine Fantasie ausleben! Oder meinen Träumen nur ein Stück weit Realität verschaffen? Dabei ist es etwas völlig Neues für mich, die eigenen Gedanken festzuhalten und zu formulieren. Ich gestehe, es gab auch Zeiten, da machte ich mir kleine Notizen über bedeutende Dinge oder Themen, die ich für wichtig hielt. Es war ein Hinweis von William Shakespeare, den ich gerne befolgte, weil er meine Arbeit erleichterte, besonders in dem Moment, als ich Abgeordneter im Parlament in London wurde und in der Zeit, als ich zum Bürgermeister von Plymouth ernannt worden war. Es waren keine Tagebuch-eintragungen, das nicht, eher Gedankenstützen, auf die ich zurückgriff, wenn ich viele Sachen gleichzeitig erledigen musste. Dieser Verwaltungskram war mir immer ein Gräuel. Ich stelle aber heute fest: Schreiben ist wie Leiden und Lachen zugleich! Wenn ich die Feder aus der Hand lege, spüre ich eine Ruhe in mir, es ist, als ob ich eine große Leistung vollbracht habe. Vielleicht ist es auch der Stolz, noch nicht aufgegeben zu haben. Vielleicht ist aber das Ende meiner Schriftstellerei auch schon bald erreicht. Komisch: Ich habe mir nie Sorgen um meine Zukunft gemacht. Seitdem ich meine Gedanken und meine Erinnerungen niederschreibe, habe ich Sorgen, dunkle Gedanken, Ahnungen. Ich habe plötzlich das Gefühl, in meinem Leben zu viel verpasst zu haben!

      Oft unternimmt der Mensch ja Dinge, die er später bereut. Doch in diesem Fall entstand aus anfänglicher großer Skepsis eine nie gedachte Leidenschaft für das Schreiben . . . Es ist lächerlich – der Pirat als Autor! Drake – ein Gutmensch? Die Leute werden mich auslachen! Denn meine Allgemeinbildung ist ein höchst eigenartiges Gemisch geworden. Ich habe keine richtige Schulbildung genossen, was ich weiß, weiß ich von meinen Eltern- einfache Leute - durch das intensive Lesen, durch Gespräche. Also denke ich: Größenwahn kommt immer vor dem Wahn, das werden sie sagen! Wahn, ja, nichts als Wahn, das werden sie mir nachrufen. Drake, der Irre, werden sie sagen! Drake, der Aufschneider! Drake, der rastlose Spinner!

      Ich weiß nicht, wie das alles enden wird . . .

      Unsere Welt wandelt sich rasant. Ich bin ein Teil dieser Geschwindigkeit, auch wenn vieles von dem, was geschieht, noch mittelalterliche Züge trägt. Wir sind in der Neuzeit angekommen. Die Zukunft ist bereits in Ansätzen Realität. Wissenschaft, Forschung, Medizin, die Entdeckung der Welt im Detail, Baukunst, Waffentechnik, Grubentechnik, Buchdruck – all das begeistert die Menschen in Europa. Ich bemerke ebenso eine zunehmende Bedeutung, die von der Jugend ausgeht, besonders aus den Reihen der Studenten.

      Die Weltbevölkerung zu Ende unseres Jahrhunderts wird auf 560 Millionen Menschen geschätzt. Der globale Austausch von Gütern und Ideen erreicht eine nie zuvor gekannte Intensität und Qualität. Die iberischen Reiche etablierten ein weltumspannendes Handelsnetz, in das sie Amerika einbezogen. Amerikanische Güter gelangten sowohl nach Europa als auch nach Asien und Afrika und erweiterten das dortige Lebensmittelangebot. Umgekehrt gelangten zahlreiche Kulturpflanzen und vor allem Nutztiere von Europa nach Amerika. Einerseits ging die einheimische Bevölkerung durch die von Europäern mitgebrachten Epidemien stark zurück, anderseits gab es eine starke Einwanderung aus Afrika und Europa. Die lateinische Christenheit Europas spaltete

      sich im Zuge der Evangelisierung und der reformatorischen Gedankenfluten. Der eng mit der Reformation verknüpfte starke Anstieg gedruckter Werke vergrößerte die Bildung breiter europäischer Bevölkerungsschichten. All dies hätte ich mir in jungen Jahren noch nicht vorstellen können. Bei den Drakes hatte die Stunde noch nicht geschlagen! Was für eine grandiose Entwicklung heute. Ich bin sicher, dass es ebenso rasant weitergehen wird.

      Diese Geschwindigkeit macht aber auch vielen Menschen Angst, sorgt für Ablehnung und Gewalt. Wer da nicht mithält, der sucht die Schuld bei anderen, bei denen da oben anstatt zielstrebig an sich zu arbeiten, Ehrgeiz zu entwickeln und sich weiterzubilden. So entstehen aus mangelndem, persönlichem Mut neue Ideologien, vom Gefühl gesteuerte Reaktionen, die jeden Pragmatismus verteufeln. Als Zeitzeuge will ich mein Leben, meine Zeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schildern, als die Menschen sich aufmachten, die kleiner gewordene Welt, die ich mit entdeckt habe, zu besiedeln und mit den fremden Welten Handelsbeziehungen aufzunehmen. Das Neue wird plötzlich interessant – und doch sorgt es gleichzeitig bei einem Teil der Menschen für Ängste. War das zu allen Zeiten so? Das Volk wird gebildeter, die Stände wohlhabender, das ist sicher so, aber werden sie auch klüger? Jahrhunderte lang wurde das Volk „regiert“, jetzt ist es aufgeklärter, kritischer, es neigt eher zum Widerspruch. Bin ich in der Lage, diese neue Entwicklung zu beschreiben und mein Leben mitten in diesem Wertewandel? Königin Elisabeth unterstützt diese neuen Errungenschaften mit Eifer. Auch mir wollte sie beweisen, dass sie es ist, die diesen Fortschritt vorantreibt und mit großen Summen unterstützt. Und doch ließ sie Gewalt und Tod zu. Ihren Untertanen geht es nachweislich besser als vor 30 Jahren, als ihr Vater und ihre Schwester Mary noch brutaler regierten. Doch heute bekommen Bauern, Handwerker, Kaufleute, Drucker, Reeder, Baumeister und sogar Künstler in ihren Standesvereinigungen mehr Rechte und damit mehr Macht. Ich sehe diese Gewaltenteilung nicht mit Sorge, sondern mit einem gewissen Stolz: Der Adel und die Kirche verlieren an Bedeutung. Nicht dass es sie nicht mehr gäbe, doch sie müssen sich im Kampf um die Zukunft mit allen bewähren. Mit neuen , unverbrauchten Kräften. Der Automatismus ist beendet! Die neue Zeit stabilisiert sich, auch wenn sie von Teilen der Gesellschaft beklagt wird.

      Wie soll ich in diesen Wirrwarr das richtige Maß finden? Ist mein Blick auf unsere Zeit getrübt? Ich höre natürlich den Spott der ewig Gestrigen, die Häme und die Ablehnung der geschmeidigen Höflinge, die sich bewusst nach jedem Wind drehen und wöchentlich ihre Meinung verändern – sie halten sich für die Auserwählten des englischen Volkes. Wie soll ich, der Emporkömmling, diese Lage überblicken und sie niederschreiben? Die wahre Elite lässt niemanden in ihre Kreise eintauchen. Selbst das Vermögen zählt dann nicht mehr, nur der Erbfolger hat das Ansehen, den Titel und schließlich die Macht über die Generationen hinweg.

      Ich finde das, was sich zurzeit in unserem Königreich tut, grandios. Wir bauen die modernsten Schiffe und verfügen mit den jungen Kapitänen über ein wehrhaftes Potential – patriotische Männer, die ihren Mut kaum zügeln können. Sie wollen mithelfen, die neue Zeit zu stabilisieren und weiter zu entwickeln. Ich versuche, dieses Gefühl, diesen Patriotismus zu beschreiben, ich bin mir aber bewusst, dass ich nur einen gewissen Teil wiedergeben kann. Es geschieht einfach zu viel.

      Die Menschen sind nicht ehrlich genug: Sie ändern ihre Meinungen in einem Tempo wie sie auch ihre Ideale verraten. Ich stelle beim Schreiben fest, dass auch ich mich verändere, vieles sehe ich heute anders. Täuscht sich mein Blick? Macht mein Reichtum mich blind für die Sorgen anderer? Male ich die Königin in zu schönen Farben? Wie wird man mich nennen, einst, wenn das Urteil über ihre Regentschaft gefällt wird, wenn ihre und meine Leistungen überprüft werden? Vielleicht werden wir vom marmornen Sockel geholt. Von den gleichen Menschen, die uns heute bejubeln und uns in Büsten aus Bronze gießen ließen.

      Also: Ich bin nicht sicher, dass das, was ich hier niederschreibe überhaupt gelesen wird!

      MEIN LEBEN!

      Ich schreibe, also bin ich!

      Aller Anfang ist schwer. Was für ein blöder Satz, abgedroschen, unwahr, unecht und doch richtig: Wie oder mit was oder mit wem soll ich beginnen? Ich habe es mir so schwer nicht vorgestellt. Jawohl! Mein Respekt vor den Autoren und Romanciers steigt mit jedem fertigen Satz, der mir gelingt.

      In letzter Zeit ertappe ich mich, dass ich meiner jungen Frau hinterher sehe - ich lasse dann die Feder ruhen. Nicht etwa lüstern, nein, eher bewundernd, andächtig. Wie, wenn ich ein Bild betrachte. Mit Stolz vielleicht und voller Anerkennung. Ich habe neulich gelesen, dass alle Männer mit der Zeit diesen Blick entwickeln, besonders dann, wenn ihre Frauen jünger sind als sie selbst. Im großen Rittersaal ist sie Hausherrin. In der