Heike Wulf

Unverhofft tot


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      „Ich glaube, es regnet nicht mehr, Ruth. Lass uns nach dem Kaffeetrinken noch mal kurz auf den Balkon gehen, ja?”

      Ruth nickte. Dann biss sie in ein Mettbrötchen.

      Kapitel 7

       Barbara, 29. September

      „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich.“ Alle lauschten andächtig dem Pastor.

      Barbara kam etwas später zur Andacht, als eigentlich geplant. Kollege Beilage hatte ihr noch die Ergebnisse der Spinddurchsuchung mitgeteilt. Zusammen mit den Belegen des Gold- und Schmuckverkaufes ergaben sie ein rundes Bild. Die Getötete war eine Diebin. Als Barbara sich umschaute, entdeckte sie Frau Sommerfeld und nickte ihr wortlos zu. Alle Trauergäste waren sehr chic angezogen und in Schwarz. Das gehörte sich noch so in dieser Generation, dachte Barbara. Hier im Andachtsraum waren nur wenige unter 75 Jahre alt, stellte sie fest.

      Noch vor zwei Monaten war sie auf Wunsch der Eltern auf Bens Beerdigung gewesen. Sie hatte damals den entscheidenden Hinweis entdeckt und seinen Mörder zur Strecke gebracht. Es war eine herzergreifende Beerdigung, die sie nicht vergessen würde. Ben war erst zehn Jahre alt gewesen. Kinder sangen, es liefen Bilder von Ben und seinen Freunden auf einem Bildschirm, überall waren bunte Blumen, Spielzeug und Teddybären. Es war eine farbenfrohe Beerdigung gewesen, trotz all der erschütternden Trauer.

      „Lasst uns nun singen das Lied Nr. 529 So nimm denn meine Hände zur Ehre Gottes und zum Andenken an die Verstorbene.“

      Als die Andacht sich dem Ende zuneigte, näherte sich Barbara Frau Sommerfeld. „Haben Sie mal ein paar Minuten.“

       „Natürlich. Wie kann ich helfen?“

      „Sie waren ja bei der Spindleerung dabei. Mein Kollege hat mich heute informiert. Es wurden Uhren und zwei Goldketten gefunden. Konnten die zugeordnet werden?“

      „Ja, leider. Fast alles ist bei uns im Haus geklaut worden. Teilweise war es sogar Eigentum der Kolleginnen oder aus den Wohnungen in der angrenzenden Wohngemeinschaft, da hat sie sich auch zu manchen Wohnungen Zugang erschlichen. Wir haben hier einige Schlüssel in Verwahrung, falls mal was passiert, wenn jemand in Urlaub ist. Jetzt werden wir das ganze System verändern müssen. Aber wer denkt denn auch an sowas?“

      „Tja, Vorsicht …“

      „Ist die Mutter der Porzellankiste. Ich weiß, Frau Kommissarin. Und wissen Sie was, ich hab auch noch in unserem Safe nachgeschaut. Da konnte sie nämlich auch dran. Sogar dort fehlen Wertgegenstände und ein Sparbuch. Es ist unfassbar. Auch hier gibt’s ab jetzt eine strenge Zugangskontrolle.“

      „Wir haben in der Wohnung von Frau Wurzbach Pfandscheine gefunden. Anscheinend hat sie die Dinge versetzt. Vielleicht bekommen wir ja einiges wieder. Wir melden uns diesbezüglich.“

      „Das wäre wirklich großartig. Noch hab’ ich niemandem hier im Haus etwas davon gesagt. Wenn das rauskommt … Erst ein Mord, dann Diebstahl. Wir werden keine Anmeldungen mehr bekommen und dichtmachen können. Entschuldigen Sie, aber wir sind nun mal auch ein Wirtschaftsunternehmen mit Arbeitnehmern.“

      „Alles gut, Frau Sommerfeld. Ich verstehe ihre Sorgen absolut. Morgen werde ich mit den beiden Töchtern der Verstorbenen sprechen und ich hoffe auch, ich hab’ endlich mal Glück und treffe Frau Körner nicht schlafend an. Letztens war sie ja im Tiefschlaf, als ich sie sprechen wollte.“

      „Ihr Kollege hatte gestern auch kein Glück. Sie war nicht gut beisammen. Heute ist sie aber wieder sehr klar. Sie sitzt dahinten. Nach der Andacht hat sie bestimmt etwas Zeit für Sie. Ich stelle Sie Ihnen gleich mal kurz vor, wenn es passt. Die beiden Töchter von Frau Wurzbach sind auch da. Soll ich Sie schon mal kurz bekannt machen?“

      „Gerne, ich danke Ihnen.“

      Frau Sommerfeld bahnte sich einen Weg durch die Menge. Barbara sah, wie sie sich in der ersten Reihe einer Frau mit einem flotten grauen Kurzhaarschnitt zuwandte. Sie zeigte dann in Barbaras Richtung und die ältere Dame winkte ihr freundlich zu. Barbara bemerkte, dass auf mit Blumen und Kerzen dekorierten Tischen schon Tabletts mit Gebäck und belegten Broten und Brötchen bereitstanden. Dann hörte sie, wie die Zeugin laut zur Heimleiterin sagte: „Gerne. Aber erst will ich mit Ruth Kuchen und Schnittchen essen.“

      Barbara musste schmunzeln, ihre Oma war im Alter ähnlich geworden, wenn es um ihre Bedürfnisse ging. Frau Sommerfeld blickte ratlos zu Barbara. Diese winkte ab. Sie konnte die Dame auch beim Kuchenessen befragen.

      Als die Trauergemeinde an den Tischen saß, setzte sich Barbara neben Frau Körner und gönnte sich eines von den Bienenstichstücken, das ihr angeboten wurde. Dann befragte sie Frau Körner. „Frau Körner, können Sie sich noch an den Tag erinnern, als Frau Wurzbach gestorben ist?“

      „Leider kann ich Ihnen gar nichts sagen. Ich weiß nichts mehr. Ich hab’ nichts gesehen und nichts gehört. Manchmal da bin ich etwas abwesend.“

      „Wie abwesend? Wie darf ich mir das vorstellen?“

      Frau Körner schaute verlegen auf ihre Hände, beugte sich näher und antwortete: „Mir ist das selbst furchtbar peinlich, aber manchmal bin ich einfach abwesend. Zuerst wird mir schwindelig, und dann kriege ich diesen Blackout, wie man so schön sagt. Wohl Kreislaufprobleme und Alter. Ich weiß noch nicht mal, dass ich am Teich gewesen bin. Tut mir leid, ich war erst wieder klar, als ich mich in meinem Zimmer befand.“

      „Sie haben also nichts gesehen? Nichts mitbekommen? Vielleicht ein Fahrzeug, einen Menschen, der in der Nähe war?“

      Frau Körner rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wirkte unglücklich. „Kalt war es, Frau Kommissarin, glaub’ ich. Und der Herr von der Forst war da. Aber der hat die Wurzbach ja gefunden, wie ich hörte. Nein, Frau Kommissarin. Ich hab nichts gesehen, aber auch gar nichts. Meistens kriege ich alles noch richtig mit, aber in diesem Fall kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.“

      Wie um das Gespräch zu beenden, wandte sich Frau Körner ihrer Freundin zu.

      „Noch ein Stück Kuchen, Ruth? Also ich nehme noch eins.“

      Die Gefragte grummelte irgendwas Unverständliches, nickte dabei und bekam von Hilde einen Streuselkuchen auf den Teller serviert.

      Barbara wusste, hier würde sie nichts mehr erfahren. Sie stand auf, bedankte sich bei Frau Körner für das Gespräch und stellte sich vor die Tische.

      „Liebe Gäste der Trauerfeier. Es tut mir leid, wenn ich Sie hier so stören muss. Wie Sie ja alle wissen, ist Frau Wurzbach keines natürlichen Todes gestorben. Wenn irgendjemand von Ihnen mir etwas sagen kann, irgendetwas gesehen hat, vielleicht nur eine Kleinigkeit, dann rufen Sie mich bitte an. Meine Telefonnummer hat Frau Sommerfeld. Die beiden Töchter der Verstorbenen sehe ich ja morgen um neun Uhr bei mir im Präsidium. Entschuldigen Sie alle bitte diese Störung, aber die Umstände lassen leider keine andere Vorgehensweise zu. Ich danke für Ihr Verständnis.“ Danach ging sie mit Frau Sommerfeld ins Büro.

      „Vielleicht haben wir ja Glück und irgendwer hat etwas gesehen, Frau Kommissarin.“

      Barbara seufzte. Viel Hoffnung machte sie sich nicht. Etliche der Bewohner, die sie gesehen hatte, sahen und hörten auch nicht mehr besonders gut. Beim Hinausgehen entdeckte sie im Flurbereich ein Plakat: „Ich leb´ jetzt auf dem Ostfriedhof“. Eine Lesung, die im Café Christgen stattfinden würde. Das hörte sich originell an. Sie fotografierte das Plakat mit ihrem Handy und fuhr dann ins Präsidium.

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