Heike Wulf

Unverhofft tot


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die feuchten Blätter der Geranien und begann auf dem Balkon hin und her zu wandern. Almut trat in den Türrahmen.

      „Geht es dir nicht gut?”

      „Doch, doch. Alles super.”

      Hilde strich abwechselnd über ihre Unterarme. Meist gelang es ihr, auf diese Weise das Kribbeln fortzuwischen. Durch das Laufen entspannten sich Bauch und Magen. Sie lächelte die Freundin an.

      „Manchmal muss ich mir den Ärger von der Seele laufen. Weißt du ja.”

      Sie machte eine Kehre und lief erneut neben dem Geländer auf und ab.

      „Hast du dich denn geärgert?”

      „Vorhin über die Wurzbach.”

      „Komm wieder rein, ich friere”, sagte Almut schließlich.

      „Gern. Wollen wir uns neuen Tee machen?”

      „Es gibt doch bald Abendbrot.”

      Der letzte Rest in der Tasse war kalt geworden. Er schmeckte Hilde trotzdem.

      „Wenn diese blöde Kuh Ruth noch einmal ärgert, dann trete ich ihr in den Arsch.”

      Hilde kicherte. Merkwürdigerweise kicherte Almut nicht zurück. Im Gegenteil. Sie schaute Hilde ernst in die Augen und legte eine Hand auf Hildes Rechte.

      „Ich muss dir von der Wurzbach etwas Schlimmes sagen.”

      „Von der gibt es doch immer nur Schlimmes zu berichten.”

      „Hilde, bitte, Frau Wurzbach ist tot.”

      Hilde zog ihre Hand zurück.

      „Tot? Nee! Kann nicht sein!” Sie schüttelte den Kopf. „War doch vorhin noch da.”

      „Doch, leider.”

      Eine Weile war es still im Zimmer. Hilde überlegte.

      „Wann soll denn das passiert sein?”, fragte sie schließlich.

      „Gleich nach dem Mittagessen.”

      „Ist sie überfahren worden?”

      „Genaues weiß man noch nicht. Sie ist vielleicht ertrunken. Deswegen war die Polizei vorhin da.

      „Ertrunken? Etwa in unserem Teich?”

      „Ja.”

      „Die armen Enten!”

      Hilde wunderte sich. Der Tod von Frau Wurzbach machte ihr überhaupt nichts aus. Lag vielleicht am Lavendeltee. Besonders christlich war es trotzdem nicht von ihr. Respektlose Kuh hin oder her, ein wenig Mitleid hätte sie doch für die Frau empfinden müssen. Schließlich war Hilde früher einmal Betreuerin im Kindergottesdienst gewesen, da wäre ein bisschen mehr Nächstenliebe schon angebracht. Aber sie fühlte rein gar nichts.

      „Es gibt aber noch etwas Unangenehmes.”

      „So langsam reicht es. Was denn nun noch?”

      „Ich habe dir doch vorhin erzählt, dass dich Herr von der Forst im Teichpark aufgegriffen hat.”

      Hilde schluckte. „Stimmt! Und zwar nach dem Essen, sagtest du. Furchtbar. Also war ich in der Nähe, als ...” Vor Betroffenheit konnte Hilde nicht weitersprechen. Almut tätschelte ihr die Hand.

      „Ja, furchtbar. Ist dir da irgendetwas aufgefallen?”

      „Wie denn? Ich weiß ja nicht mal, dass ich überhaupt dort war.”

      Jetzt, wo sie die Sache ausgesprochen hatte, erschreckte sie Hilde plötzlich sehr. Es war, als ob ihr Verstand erst jetzt begriffen hätte, was mit ihr los war. Mein Gott, sie hatte Absencen, irrte ohne menschliches Bewusstsein wie ein Gespenst durch die Gegend. Wie sollte das bloß weitergehen? Am besten wäre es, gleich einen Termin bei der Hausärztin zu machen. Aber Hilde hatte Angst vor der Diagnose.

      Draußen auf dem Gang ertönte der Gong. Frau Sommerfeld schaute ins Zimmer.

      „Abendbrot, meine Damen. Na, alles in Ordnung bei Ihnen?”

      Almut seufzte erleichtert.

      „Ja, alles geklärt soweit.”

      „Sie sehen blass aus, Frau Körner. Ist ja auch alles ganz schrecklich. Besonders für Sie. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen nachher etwas Gutes zum Einschlafen.”

      Hilde erhob sich aus Michis Sessel und stellte die Teetassen auf das Sideboard. Sie hatte mit einem Mal großen Appetit auf saure Gurken und gebuttertes Vollkornbrot mit Emmentaler.

      „Danke, das ist lieb von Ihnen. Aber Sie wissen ja, ich habe meine eigenen Kräuter.”

      Kapitel 4

       Lucas, 26. September

      Lucas trat aus dem Café und atmete ein paarmal tief durch. Es regnete nicht mehr, aber es war immer noch ungemütlich. Er schaute sich um. Die ganze Situation war irgendwie unwirklich. Die Leiche hatte man abtransportiert, das hatte er vom Café aus gesehen. Aber immer noch waren im Park Leute von der Polizei beschäftigt, begafft von schaulustigen Anwohnern. Dass das Opfer längst fort war, schien sie nicht davon abzuhalten, die Vorgänge weiterhin zu beobachten. Da gab’s doch am Abend eine Menge zu erzählen. Lucas hätte auf diese Erfahrung gerne verzichtet.

      Die Kommissarin hatte ihm erlaubt, nach Hause zu gehen. Er zog die Visitenkarte aus der Tasche, die sie ihm für den Fall mitgegeben hatte, dass ihm noch etwas einfiele. Oder dass man ihn noch einmal sprechen wollte, damit er dann wüsste, wo er sie findet. Barbara Allenstein las er. Richtig. War ihm in der Aufregung schon wieder entfallen. Sie schien ganz nett zu sein. Aber was hieß das schon? Frau Allenstein wollte mehrfach dieselben Sachen von ihm wissen, vorwärts und rückwärts. Was er im Park zu tun hatte, wann genau er gekommen war, wo er vorher war, ob das jemand bezeugen konnte, ob er etwas gesehen hätte, woher er die Tote kannte usw., usw., usw. Immer ganz freundlich. Während er geduldig ihre Fragen beantwortete, beobachtete sie ihn genau, das war ihm aufgefallen. Sie fixierte ihn dabei mit leicht zusammengekniffenen Augen, so als wollte sie ihm signalisieren: „Bursche, ich habe dich im Blick. Wenn du lügst, kriege ich das raus.“ Dunkelbraune Augen hatte sie, mit langen gebogenen Wimpern. Und mit ein paar ganz kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln. Überhaupt, sie war hübsch anzusehen, die sportliche, aber doch weibliche Figur, ihr dunkler Lockenkopf ... Mein Gott, was fantasierte er denn da herum! Das kam davon, dass sein Kopf sich inzwischen wie Watte anfühlte. Der Schock mit Frau Wurzbach hatte seinen Verstand irgendwie auf Pausenmodus geschaltet.

      Lucas stieg in seinen Firmenwagen, manövrierte vorsichtig rückwärts an den Gaffern und den Polizeiwagen vorbei und bog in die Freie-Vogel-Straße Richtung Phoenix- See. Er wollte nur noch nach Hause. Von unterwegs rief er seinen Freund Ingo Strass an. Ingo war Personaldisponent bei der Gebäudereinigung Hellmann GmbH, ebenfalls ein alteingesessenes Dortmunder Unternehmen, aber zigmal größer als sein eigener Einmannbetrieb. Sie hatten sich vor Jahren in einem großen Bürokomplex kennengelernt und waren seitdem befreundet. Jeder bediente seine eigene Nische und nahm dem anderen nicht die Butter vom Brot.

      „Tuut, tuut, tuut ...“, tönte das Freizeichen aus Lucas’ Freisprechanlage. Er wollte schon aufgeben. Doch im letzten Moment ging Ingo ans Telefon.

      „Wat brauchse, Kumpel?“ Ingo war kein Mann vieler Worte. Lucas schmunzelte. Wenn Ingo nach Feierabend in seinen Freizeitjargon verfiel, wirkte seine heisere Bassstimme am besten, fand er.

      „Diesmal brauche ich gar nichts, Ingo. Ich will dir was schenken.“

      „Wat schenken? Wat denn? En neuen Putzeimer?“

      Lucas hörte ihn kichern. „Nein, ich will dir echt was Schönes schenken. Du freust dich bestimmt. Wenn du willst, kannst du dir in einer halben Stunde bei mir die Eintrittskarte für das Spiel heute Abend abholen.“

      „Hä? Wieso gehse nich selbs?“

      „Mir ist nicht