Heike Wulf

Unverhofft tot


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fand das offenbar normal: „Die Männer sind so. Schau dir doch unseren Gockel an. So sind sie alle. Und verlassen deswegen die Hühner ihren Hahn?“ Barbara konnte manchmal nicht fassen, dass diese Person wirklich ihre Mutter war. Sie waren Universen voneinander entfernt. Was Werte anging, Gefühle, Menschlichkeit. Sie musste als Kind vertauscht worden sein.

      Barbara merkte, wie ihr die Tränen kamen. Nein, bitte nicht heulen. Nicht heulen. Die Welt ist schön, alles ist gut. Du hast einen neuen tollen Job, eine wunderschöne Wohnung. Du bist 33 Jahre und gesund. Sie fing an zu heulen und warf sich auf die Matratze. Ihr Bett war noch nicht aufgebaut. „Niemand mag mich, ich bin hässlich, schon in der Schule war ich eine Außenseiterin ... ich werde als überarbeitete, hässliche, alte, mürrische Frau …“, weiter kam sie nicht, denn das Telefon klingelte. „Allenstein?“, dabei schniefte sie noch ein wenig.

       „Frau Allenstein, alles okay mit Ihnen? Hier ist Markus Beilage. Ihr neuer Kollege.“

      „Ja, alles okay, ein bisschen Schnupfen. Ich packe hier gerade noch alles aus, wissen Sie. Der Staub und so …“

       „Aha. Ja ja, kenn ich, ich hab auch eine Hausstauballergie. Also, weswegen ich Sie eigentlich anrufe ...“

       „Ich fange doch erst Sonntag an oder hab ich mich vertan?“

       „Nein, nein, Sonntag. Aber, Frau Allenstein, wir haben schon heute eine Leiche. Und Ihr Vorgänger, den haben wir letzte Woche bereits in den Ruhestand verabschiedet und der Kollege …“

      „Also gut, soll ich kommen?“

       „Ja, bitte.“

       „Kann mich jemand abholen? Mein Privatwagen steht zwei Blocks weiter. Ich hab gestern einfach keinen Parkplatz in der Nähe gefunden.“

       „Aber natürlich. Ab der nächsten Woche können Sie, wenn Sie im Präsidium sind, auch versuchen, einen Wagen aus dem Fuhrpark zu ordern. Aber jetzt komme ich zu Ihnen. Wo wohnen Sie?" Barbara nannte ihm ihre Adresse.

       „Alles klar, ich bin in 15 Minuten bei Ihnen.“

      15 Minuten. Oje. Sie lief ins Badezimmer. Sie sah furchtbar aus. Die Wimperntusche war verschmiert. Sie sah an sich hinunter, ihre Kleidung war dreckig und verstaubt. Schnell wusch sie sich das Gesicht, legte wenigstens noch eine getönte Creme auf, zog einen grünen Pulli und eine Jeans aus der Kiste. Dann schnappte sie sich ihren großgemusterten bunten Mantel und ihren grünen Lieblingsschal. Eigentlich nichts für die Polizeiarbeit, aber egal. In dem Moment, als sie auf der Straße stand, trudelte auch schon der Streifenwagen ein. Es regnete in Strömen.

      „Hi, kommse schnell ins Auto, Frau Kollegin.“

      Sie fuhren auf die B1 und gerieten umgehend in einen Stau.

       „Gewöhnen Sie sich dran. Hier ist Dauerstau, Frau Allenstein. Am besten meiden Sie diese Straße.“

       „Wo müssen wir überhaupt hin?“

       „In den Stadtteil Schüren zur Freie-Vogel-Straße.“

       „Was ist denn das für ein ulkiger Name?“

      Kollege Beilage lachte. „Tja, hier gibt’s auch komische Vögel, nicht nur im Sauerland.“ Sollte das jetzt ein Witz sein oder eine Beleidigung?

      Von der B 1 ging es auf die nächste Schnellstraße. Barbara registrierte ein Schild, B 236 Richtung Schwerte. Kaum drauf, fuhren sie gleich wieder die nächste Ausfahrt rechts runter.

       „Wo ist denn die Leiche gefunden worden?“

       „In einem Seniorenheim oder sowas Ähnlichem. Da hamse vor ein paar Jahren so ne Wohnanlage gebaut, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Freie Vogel & Unverhofft, um nochmal auf Ihre Frage von vorhin zurückzukommen.“ Der Kollege grinste. „Wegen der Zeche heißt auch die Straße so. Das war wohl eine der ältesten Zechen in Dortmund, gibt’s aber schon lange nicht mehr. Das Ganze wurde völlig neu angelegt.“ Blöder Kerl! Das mit dem Zechennamen hätte er ihr vorhin ja gleich vernünftig erklären können. „Und? Wissen wir schon Näheres über die Leiche?“, fragte sie unwirsch. „Eine Altenpflegerin aus dem Haus Unverhofft ist im angrenzenden Teich gefunden worden.“

      Sie bogen in ein parkähnliches Gelände ein. Rechts lag ein Café, geradeaus mehrere zusammenhängende Wohnhäuser und hinter dem Café, auf der rechten Seite, erblickte sie einen Teich. Dort warteten schon zwei Streifenbeamte.

      Barbara Allenstein ging auf die Kollegen zu. Den Schal hielt sie sich zum Schutz über den Kopf. „Guten Tag, Barbara Allenstein, ich bin die Neue.“ Dabei kicherte sie albern und sie wusste selbst nicht warum. Manchmal musste sie unkontrolliert kichern und hasste sich dafür. Die Kollegen sahen sie verwundert an.

      „Möchten Sie zuerst mit dem Zeugen sprechen, der die Leiche gefunden hat?“ Barbara schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Sie wurde professionell: „Also, hier ist die Leiche? Wann kommen die Spusi und der Gerichtsmediziner?“

       „Sie sind unterwegs. Stecken auf der B1 im Stau.“

       „Die soll man doch meiden, wie der Teufel das Weihwasser, hab ich gehört!“, dabei kicherte sie schon wieder. Verdammt. Wie sollte sie so nur jemand ernst nehmen. Wenn sie nervös war, war sie nicht sie selbst. „Unsicherheit“, hatte ihr großer Bruder Torsten immer gemeint.

      „Okay, dann schau ich mir mal die Leiche an.“ Auf diesem Gebiet war sie nicht unsicher, mit Leichen kannte sie sich aus. Barbara registrierte eine Wunde an der linken Schläfe. Die nassen Haare hingen der Leiche ins Gesicht. Barbara fielen die bunte Hose und die Schuhe mit Strass auf. Irgendwie irritierte sie das, denn sie hatte eine andere Vorstellung von einer Altenpflegerin. Ist halt Ruhrgebiet, dachte sie dann. Da laufen die Leute einfach anders herum.

      „Ist die Leiche so gefunden worden?“ Barbara sah die beiden Streifenpolizisten mit einem prüfenden Blick an.

      „Ne, so ein Vollhonk hat sie rausgezogen und einfach auf den Rücken gedreht“, antwortete die junge Polizistin.

      Barbara wunderte sich über den Ausdruck: Vollhonk?

       „Ich hab ihn schon angezählt deswegen.“

      Angezählt, na, die örtliche Amtssprache war noch ziemlich gewöhnungsbedürftig.

       Der ältere Polizist mischte sich ein: „Er wollte doch nur nachschauen, ob die Person möglicherweise noch lebt.“

       „Verstehe“, sagte Barbara. „Wo ist er jetzt? Name?“

       „Von der Forst. Er wollte im Café da hinten auf Sie warten. Er hatte eine ältere Dame dabei. Die lief hier rum und hat gegebenenfalls auch etwas gesehen. Machte aber einen verwirrten Eindruck. Ob Sie aus der was rauskriegen?“

      „Danke Ihnen, Sie bleiben dann bitte hier, Herr Beilage, bis die Spusi da ist. Geben Sie mir bitte Bescheid. Ich schau derweil schon mal nach den zwei bekannten Zeugen.“

      Ihr Kollege sah sie missmutig an. Hatte sie was falsch gemacht oder gesagt?

      Von außen sah das Café wie ein Maschinengebäude aus der Gründerzeit aus. Davon gab es in Altena auch genug, allerdings leer stehende. Als sie die Tür öffnete, flutete ihr wohlige Wärme, leise angenehme Musik und eine heimelige freundliche Atmosphäre entgegen. Zum Wohlfühlen, dachte sie. „Guten Tag,“ sagte sie laut. „Gibt es hier einen Herrn von der Forst?“

      Eine Bedienung kam auf sie zu. „Herr von der Forst muss jeden Moment wieder hier sein, er hat Frau Körner, eine ältere Dame aus dem Seniorenheim, eben wieder zurückgebracht. Sie war nicht sonderlich bei sich, könnte man sagen.“

      In dem Moment schlug die Tür auf und ein Mann kam schnellen Schrittes herein. Er war ungefähr in ihrem Alter. Hatte ein freundliches Lächeln und steuerte direkt auf sie zu.

       „Ach, da sind Sie ja schon. Ich hab eben …“

      „Ich hörte schon davon“, unterbrach ihn Barbara. „Guten Tag, Barbara Allenstein, ermittelnde Kommissarin. Wo können wir uns setzen?“ Sie fanden einen kleinen Tisch in der Ecke.

       „Dann erzählen Sie mal. Wer sind Sie und wie haben Sie die Tote entdeckt? Meine Kollegin