Michael Stuhr

PROJEKT KUTAMBATI


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schwieg Fellingsen und führte seinen Cognacschwenker an die Lippen. Er würde aus Menzels Worten schon heraushören, weshalb dieser jetzt endlich zu Kreuze kroch.

      Menzel lehnte sich bequem in die tiefe Polsterung des Sessels zurück. "Sie wissen ja, dass Sie einer meiner bewährtesten Mitarbeiter sind. Jetzt hat es sich ergeben, dass eine Aufgabe zu erledigen ist, die nach einem alten Praktiker wie Ihnen verlangt. Kurz gesagt, die Firma errichtet zurzeit ein neues Forschungszentrum, und Sie, Herr Fellingsen, sollen ab März 73 dessen Leitung übernehmen."

      Fellingsen, ein Meister der Intrige, der seine Fäden durch die ganze Hauptverwaltung gespannt hatte, war total überrascht. Heute hörte er zum ersten Mal von derartigen Plänen der AG.

      "Da müsste ich erst einmal Näheres wissen", gab er angriffslustig zurück. Leitung eines neuen Forschungszentrums - das hörte sich ja gar nicht so uninteressant an. Trotzdem blieb er vorsichtig. "Das kommt jetzt etwas überraschend für mich. Da bräuchte ich zuerst mal natürlich noch ein paar Informationen!" Er war keinesfalls bereit, sich von Menzel herumschubsen zu lassen, wie ein junger Laborant.

      "Selbstverständlich!" Noch gab Menzel sich freundlich. "Die Heerdt AG vergibt einen Auftrag zur Herstellung und Erprobung von Defensiv-Kampfstoffen. Zu diesem Zweck wird eine Tochtergesellschaft gegründet, zu deren Geschäftsführer ich Sie bestellen möchte. Die Formalitäten beim Amtsgericht können Sie in der nächsten Woche erledigen. Somit wären dann ab übernächster Woche die Heerdt-Laboratorien-Kenia eine voll funktionsfähige Körperschaft."

      "Kenia?" Fellingsen war irritiert. "Soll das etwa heißen, dass ich ...?"

      "Dass Sie zukünftig in Kutambati für uns arbeiten werden. - Fünf Jahre lang." Menzel lächelte ihn freundlich an.

      Das war zuviel für Fellingsen. Er hatte sich wohl getäuscht. Menzel wollte ihn offenbar ausbooten. Deswegen also die neuen Mitarbeiter. Urplötzlich überschwemmte ihn eine Welle von Jähzorn. - Da hatte man ihn doch glatt seine Nachfolger einarbeiten lassen, und er hatte es nicht gemerkt! Das war ja wohl der Gipfel der Tücke! - Einen Wechsel seines Aufgabengebietes hätte Fellingsen vielleicht gerade noch geschluckt. Aber seine mühsam aufgebaute Machtposition in der Hauptverwaltung aufgeben, das wollte er auf keinen Fall.

      "Herr Menzel, ich glaube, wir verschwenden hier unsere Zeit." Fellingsen stand auf. "Sollten Sie mir ordnungsgemäß kündigen wollen, dann tun Sie das. Nach Kenia werde ich jedenfalls nicht gehen."

      "Setzen Sie sich doch bitte wieder! Ich habe Ihnen doch noch gar nicht gesagt, weswegen Sie mir besonders geeignet erscheinen."

      Fellingsen blieb stehen.

      "Ich will nicht allzu deutlich werden. - Meines Wissens haben Sie aber schon in jungen Jahren große Erfahrungen in Testlabors sammeln können, und der Umgang mit Kampfstoffen ist Ihnen doch auch vertraut, nicht wahr?"

      Fellingsen setzte sich. Was für eine Schweinerei lief hier eigentlich?

      "Als Sie ´46 zum Heerdt-Chemiewerk kamen, hat die damalige Geschäftsleitung Nachforschungen angestellt", fuhr Menzel fort. "Die Amerikaner hatten da wohl Einiges übersehen. Wie dem auch sei - mir liegt jedenfalls ein komplettes Dossier aus jener Zeit vor." Er sah Fellingsen prüfend an. "Meine Vorgänger waren sehr ordentliche Leute. Stellen Sie sich vor, sogar sämtliche Versuchsreihen, an denen Sie ab ´43 in Ravensbrück und Neuengamme beteiligt waren, sind darin erwähnt." Menzel schwieg und wartete auf Fellingsens Reaktion.

      Fellingsen war blass geworden. Er spürte, wie etwas in seiner Brust eng wurde. Krampfhaft sog er die Luft ein. "Das - das ist Erpressung!" Sicher, die meisten Zeugen von damals waren tot. - Opfer der Experimente seines Chefs, der sich 1953 in Paraguay das Leben genommen hatte. Nicht auszudenken, wenn die falschen Leute erführen, wo und unter welchem Namen der junge Chemiker heute lebte, der damals an den Menschenversuchen in den KZs beteiligt gewesen war! Fellingsen schluckte trocken. Sein Mund war wie ausgedörrt, aber wenigstens ließ der Krampf in seiner Brust ein wenig nach. "Sie würden doch nicht ...?" krächzte er.

      "Überlegen Sie sich die Sache, und geben Sie mir innerhalb von drei Tagen Bescheid! - Um es ganz klar zu sagen: Sonst lasse ich die Akten offiziell finden. - Möchten Sie vielleicht noch einen Cognac?"

      "Nein, nein, danke", keuchte Fellingsen und erhob sich. "Ich möchte mich jetzt verabschieden."

      Menzel nickte verständnisvoll, er hatte sein nettestes Lächeln aufgesetzt. "Vergessen Sie nicht, mir Nachricht zu geben!"

      "Sie ..." Im letzten Moment hielt sich Fellingsen zurück. Fast hätte er sich vergessen. "Guten Abend ,Herr Menzel."

      "Einen schönen Abend noch, Herr Fellingsen - und wie gesagt ..."

      Wutentbrannt stürmte Fellingsen aus dem Raum.

      14.11.1972 - 20:44 - Mombasa, "Paradiso"

      Der Merlot war dermaßen trocken, dass er fast staubte. "Norditalienisches Spitzengewächs", kommentierte Pavarone Fischers würgende Schluckversuche.

      "Oh Gott! - In welcher finsteren Schlucht wird das Zeug angebaut?"

      Pavarone tat beleidigt. "Trink du nur was Anderes und lass den guten Wein für die Erwachsenen."

      Fischer winkte der Bedienung. "Bring mir Bardolino!"

      "Olino", wiederholte das Mädchen gehorsam und verschwand. Zusammen mit Fischers Flasche Wein kam auch die Suppe. Gianna war wirklich eine Künstlerin am Kochtopf. Etwa zehn Gemüsesorten schwammen in der klaren Brühe.

      Schon nach dem ersten Löffel konnte Fischer sich kaum noch beherrschen. Der unvergleichliche Geschmack einer original italienischen Gemüsesuppe war hier, mitten in Kenia, so sensationell für seine Zunge, dass er sich schon daran hätte satt essen mögen.

      Zufrieden schaute Pavarone ihm zu. "Nicht so hastig, Martin, du verdirbst dir den Appetit."

      Nach einer kleinen Pause kamen die Spaghetti. Gianna hatte Franco beim Wort genommen, es gab wirklich nur eine knappe Handvoll für jeden.

      Unruhig wartete Fischer auf den nächsten Gang. Franco sah ihm belustigt zu. In Erwartung noch größerer Genüsse lehnte er sich gemütlich zurück. "Na, Martin, was hältst du von den Kochkünsten meiner besten Freundin?"

      "Phantastisch, einfach toll! Das hier ist wirklich ein Paradiso!" Fischer hatte die italienische Küche schon immer geschätzt. Aber hier, nach wochenlanger afrikanischer Kost auf der Station, fühlte er sich wie im Himmel. "Bei uns draußen in Kutambati gilt es fast schon als Luxus, mal eine Suppenkonserve zu öffnen", erklärte er Franco.

      "Wie haltet ihr das bloß aus?" Pavarone war ehrlich entsetzt. "Ah, die Canneloni", seufzte er dann zufrieden.

      Gianna ließ es sich nicht nehmen, die beiden glühend heißen Auflaufformen selbst an den Tisch zu bringen. "Na, ihr beiden schönen Männer, wie schmeckt es euch?"

      "Phantastico!" Franco lachte, "Mein Freund Martin ist so begeistert, dass er dich am liebsten gleich heiraten würde."

      "Oh! - Buono, einverstanden!" Geschickt ließ Gianna die Teller auf den Tisch gleiten und setzte sich neben Fischer. "Seit zwanzig Jahren warte ich auf einen Antrag von dir." Ihre Augen blitzten Franco lustig an. "Nun ist es zu spät, nun bist du mir zu alt geworden." Verächtlich wandte sie sich ab.

      "Du bist gerade richtig!" Alle Zärtlichkeit der Welt lag in Giannas Stimme, als sie Fischer ansprach. "Wie heißt du? Martin? - Ein schöner Name! - Wann soll die Hochzeit sein? - Sag mir, wann wir heiraten, und du darfst mich küssen." Das dicke Gesicht kam bedrohlich nahe, und die fleischigen Lippen machten lüstern schmatzende Bewegungen.

      Wortlos starrte Fischer vor sich auf die viel zu heißen Canneloni. Er spürte, wie er knallrot wurde. Und das im zarten Alter von siebenunddreißig Jahren.

      Francos brüllendes Gelächter ließ ihn aufschauen. Auch die Wirtin kicherte belustigt vor sich hin. Die beiden sahen so vergnügt aus, dass auch Fischer nicht mehr ernst bleiben konnte. Grinsend nahm er eine Gabel voll Canneloni und verbrannte sich prompt