Michael Stuhr

PROJEKT KUTAMBATI


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Gemeinde Ehepaare geben, die sich halbnackt vor ihren Kindern zeigen." Der Blick des Predigers suchte das Ehepaar Weigth.

      "Zerstört nicht die Unschuld der kindlichen Seele! Bedenket, die Liebe und das Verlangen zur Zeugung sind von Gott. - Die Schamlosigkeit aber und die unverhüllte Lust am Körper sind vom Teufel!

      Ja wollt ihr denn..." brüllte er plötzlich die Weigths an. "...eure Kinder zu Spielbällen der satanischen Triebe machen?"

      Frau Weigth schluchzte laut auf. - Die Blicke der ganzen Gemeinde richteten sich auf sie.

      "Ich sage euch - ich beschwöre euch - tut Buße! Lasst das Böse nicht in euer Leben dringen! Denkt an die unschuldigen Seelen, die auf euch blicken! Euch allen, liebe Brüder und Schwestern, ist die Zukunft der Welt anvertraut! Lasst eure Kinder und Kindeskinder nicht in dumpfe, finstere Triebhaftigkeit abgleiten! - Lasset uns beten!"

      Nach dem Gottesdienst kam die junge Frau, die vorhin aufgesprungen war, nach vorne. Ihr Mann, ein schmaler, blasser Jüngling im grauen Anzug hielt sich ein paar Schritte abseits.

      "Reverend van Harp, ich - ich möchte Ihnen danken! Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. Ich hoffe nur, dass auch Dennis sich besinnt."

      "Bleib stark, Peggy! Mit Gottes Hilfe wird auch dein Mann auf den rechten Weg zurückfinden."

      Der Versammlungsraum leerte sich langsam. Unsicher schaute Peggy sich nach ihrem Mann um. "Reverend - ich bin ja so unglücklich. Hätte ich doch nie geheiratet!"

      "Sei nicht undankbar, Peggy! Der Herr hat dir eine Prüfung auferlegt. Denk an dein Ehegelübde! Stehe deinem Mann bei! Sei stark! Versucht gemeinsam, den richtigen Weg zu gehen!"

      "Aber - aber er ist wie ein Tier!" Peggy standen die Tränen in den Augen. "Reverend - helfen Sie mir! Er fasst mich manchmal an - oft - fast jeden Tag! Dann kommt die Lust über mich - wir wollen doch Kinder! - Aber gestern - gestern hat er ..."

      "Ja, bitte?" Van Harp beugte sich vor.

      "...hat er mich gefragt, ob wir es nicht mal - nicht mal - anders machen können. Verstehen Sie, Reverend? - Anders! - Er hat mich gefragt, ob ich nicht mal auf ihn - auf ihn - draufklettern will." Wild schluchzend warf sie sich dem Reverend in die Arme.

      "Mein armes Kind." Über Peggys Schulter hinweg warf er Dennis einen hasserfüllten Blick zu.

      "Oh Linus, ich bin so stolz auf dich! Wie wunderbar du wieder gepredigt hast! Die ganze Gemeinde war ergriffen. Und wie du erst diese unmöglichen Weigths ermahnt hast. Ich habe dir ja gesagt, dass es stimmt. Die armen Kinder! Aber die Gemeinde wird sich schon um sie kümmern. Mit Nancy Buchanan und Pearly Tucker zusammen habe ich mir etwas ausgedacht. Jeden Tag wird eine von uns zu den Weights gehen. Die sollen ruhig wissen, dass wir ein Auge auf sie haben. Die Kinder werden uns schon alles erzählen. Pearly ist da sehr geschickt."

      "Gut Amy, halt mich auf dem Laufenden." Van Harp stocherte lustlos in seinem Abendessen herum.

      "Wie hoch war eigentlich die Kollekte?" wollte er wissen.

      "620 Dollar, Linus. Es ist einfach wunderbar, wie der Herr für uns sorgt! Aber du bist auch ein großer Prediger. Es kommen schon Paare vom anderen Ende der Stadt, um dich zu hören."

      "620 Dollar?" Linus überschlug schnell die Summe: 91 Personen waren erschienen. Das machte fast 7 Dollar pro Person. Lächelnd lehnte er sich zurück.

      "Ich bin jetzt satt, Amy. Du kannst abräumen!"

      Amelia Van Harp kümmerte sich seit Jahren liebevoll und energisch um alle Angelegenheiten ihres Bruders. Alle Männer, außer ihrem vergötterten Linus, waren in ihren Augen triebhafte Tiere.

      Rastlos sorgte sie mit großem Eifer dafür, dass die Mitglieder der Gemeinde sich ständig überwacht fühlten. Jederzeit konnte sie - oder eine ihrer Freundinnen - überraschend zu Besuch kommen. Die kleinste Unregelmäßigkeit die dabei auffiel, konnte beim nächsten Gottesdienst ein fürchterliches Strafgericht auf die betreffende Familie herab rufen.

      "Du treibst die Schäfchen zusammen, damit ich sie bekehren kann", hatte ihr Bruder einmal gesagt. Daraufhin hatte sie ihre Anstrengungen noch verdoppelt.

      Unermüdlich suchte und fand sie ihren Lebensinhalt darin, die Gemeinde zu bespitzeln und ihrem Bruder alles zuzutragen, was dieser nur irgendwie in seinen Predigten verwerten konnte. Nebenbei spielte sie bei den Gottesdiensten das Harmonium und sammelte die Opfergroschen ein.

      "Wenn das noch ein paar Jahre so weitergeht", schürte van Harp die Träume seiner Schwester, "können wir mit Gottes Hilfe einen eigenen Tempel errichten."

      "Wie glücklich wir doch leben, Linus - und wie schön alles noch werden wird!" Amy van Harp sah sich schon als First Lady der zukünftig weltumspannenden "Temple of Heaven Church" an der Seite ihres Bruders. Reverend van Harp hatte im Moment allerdings ganz andere Sorgen.

      "Ich muss umdisponieren Amy", ließ er seine Schwester wissen. "Dick hat angerufen. Er will mich unbedingt gleich morgen früh sehen. Er hat scheinbar sehr viel mit mir zu besprechen. Ich muss also heute Nacht noch los."

      "Du Ärmster! Warum musstest du aber auch einen Anlageberater in New Jersey aussuchen? Ich finde, der Weg ist einfach zu weit."

      "Richard De Rink ist der beste Finanzmann, den ich kenne, Amy. Außerdem ist er ein sehr anständiger Mann - und ich vertraue ihm."

      "Ich weiß, Linus! Ich weiß! Ich bin überzeugt, dass du weißt, was du tust."

      "Sei sicher, Amy!" Van Harp zog seine Jacke an. "Bis Übermorgen!"

      Nach einer halben Stunde Fahrt überquerte van Harp in seinem 47er Hudson die Staatsgrenze nach New Jersey. Langsam zogen links die Lichter von Philipsburg vorüber. Zu dieser späten Stunde waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs. So hatte der Mann am Steuer Gelegenheit, ein wenig nachzudenken.

      Diese Fahrten nach New Jersey waren langsam zur Sucht geworden. Damals, als er Dick De Rink kennenlernte, hatte es zunächst ganz harmlos angefangen: Linus war seinerzeit ein armer Prediger ohne jede Ausbildung gewesen, der versucht hatte, seine eigene Gemeinde zu gründen. Ein kleiner ungeheizter Raum diente als Versammlungsort; und Linus war schon froh, wenn sich dort einmal in der Woche zwanzig arme Seelen einfanden, die Zuspruch suchten.

      Gegen alles hatte Linus gewettert: Gegen den Krieg, gegen die Trunksucht, gegen den Ehebruch - gegen alles, was sich überhaupt nur denken ließ. Erfolglos!

      Die Leute kamen - die Leute gingen. Wer Linus zweimal gehört hatte, ließ sich in der Regel nie wieder sehen. Von einer festen Gemeinde konnte nicht die Rede sein. Die Kollekte überstieg an keinem Abend zwanzig Dollar; und wenn Amy nicht gewesen wäre, hätte sich Linus direkt eine anständige Arbeit gesucht. Doch Amy glaubte an ihren Bruder und trieb ihn mit eisernem Willen zu immer neuen Misserfolgen. In dieser hoffnungslosen Situation tauchte Richard De Rink auf.

      De Rink war damals schon ein erfolgreicher Geschäftsmann und wollte nun - auf dem Höhepunkt seiner Karriere - heiraten. Seine Eltern, waschechte Holländer, aus der Gegend von Appeldoorn, hatten davon abgesehen, ihren Jüngsten dem Zwang der Taufe und des Kirchgangs zu unterwerfen. So gehörte er keiner Konfession an.

      Seine Braut, die Freundin einer Freundin von Amy, bestand aber auf einer kirchlichen Trauung; und so geriet De Rink an Reverend Linus van Harp, Gründer und Prediger der "Temple of Heaven Church".

      So begab sich also Linus am Vorabend der Trauung auf die Reise nach New Jersey. Da er noch keinen Wagen hatte, musste er mit dem Greyhound fahren. Sein Gepäck bestand aus einem einzigen Koffer, der einen Talar, ein Bäffchen, eine Spitzendecke und zwei Leuchter enthielt. Es handelte sich um das gesamte Betriebsvermögen seiner Kirche.

      Am folgenden Morgen setzten sich De Rink und van Harp kurz zusammen. De Rink gab Linus die nötigen Anweisungen für die Zeremonie.

      Nachmittags veranstaltete Linus dann mit seiner Kirche aus dem Koffer in Dicks Haus den größten religiösen Budenzauber, den Newark je gesehen hatte. Zweihundert geladene Gäste lauschten im Garten von Dicks Villa den Texten, die De Rink selbst geschrieben hatte. Alle waren ergriffen von der Schlichtheit