Michael Stuhr

PROJEKT KUTAMBATI


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staunte Gloger. "Danke!" Eilig wollte er das Gewehr in den BMW legen.

      "Der Kugellauf ist noch geladen." Menzel nahm ihm die Waffe ab und entlud die Kammer. Die Patrone steckte er in eine Tasche seines Jagdanzugs.

      "So, wir sehen uns dann am Dienstag." Gierig nahm Gloger das Gewehr wieder entgegen und verstaute es in seinem Wagen.

      "Fahren Sie jetzt ruhig, ich regele das hier." Menzel schaute zu der Frau und dem Kind hinüber.

      "Was gibt's denn da zu regeln?" Gloger ließ den Motor an und fuhr ab.

      Die Frau hatte inzwischen das Kind zum Wagen gebracht und kam langsam näher. Menzel entlud sein Gewehr und legte es auf die Rückbank des Rover. Der Setter hatte die beiden Schüsse gehört und sprang aufgeregt auf der Ladefläche hin und her.

      "Warum haben Sie das gemacht?" Die Frau stand direkt hinter Menzel. "Susi - war doch ganz harmlos."

      "Tut mir Leid - ich selbst hätte nie geschossen."

      "Warum hat Ihr Freund das gemacht?"

      "Mein Jagdgast beruft sich auf geltendes Recht. Der Hund stand nicht vollständig unter Ihrer Kontrolle."

      "Warum bloß?" Die Frau hatte gar nicht zugehört. Über ihren Kopf hinweg sah Menzel das Kind auf dem Rücksitz des Kombiwagens. Die Kleine hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen und saß ganz still da. Nur ab und zu schüttelte ein Schluchzen den kleinen Körper.

      "Es tut mir wirklich Leid! Kann ich die Sache irgendwie wieder gutmachen?"

      "Ja durchaus." Die Frau stemmte die Hände in die Hüften. Der Schock ließ offenbar nach. "Nehmen Sie doch einfach Ihre Scheiß-Flinte und knallen Sie sich den Schädel weg!" Abrupt drehte sie sich um und ging zu ihrem Wagen.

      "Warten Sie!" Menzel ging ein paar Schritte hinterher. "Kennen Sie das Reisebüro Zeiler in Frankfurt?"

      "Ja!" Die Frau blieb stehen.

      "Ich werde dort einen Flug nach Spanien für Sie buchen lassen. Wie viele Tickets brauchen Sie?"

      "Ich will nichts von Ihnen. Lassen Sie mich in Ruhe!"

      "Verlangen Sie Herrn Zeiler persönlich. Er weiß dann Bescheid."

      "Unseren Hund kann uns nichts ersetzen!"

      Wütend knallte die Frau die Autotür zu. Beim zweiten Versuch sprang der kleine Wagen an und mit viel zu viel Gas schlingerte er auf dem schmalen Feldweg davon.

      Nachdenklich stieg auch Menzel in seinen Wagen. Für heute war ihm die Jagd verleidet. Kurz schaute er noch mal zu dem zerfetzten Kadaver hinüber. Die paar Gramm Fleisch einzugraben lohnte sich nicht. Die Füchse würden den Rest erledigen.

      Ein paar Tage später kam die Nachricht, dass die Frau vier Tickets für je zwei Wochen Mallorca abgeholt hatte. Menzel zeichnete mit einem leichten Kopfschütteln die Rechnung ab.

      06.09.1972 - Heerdt AG Vorstand - Aktennotiz

      Vertraulich! Nur für internen Gebrauch!

      Betr.: Staatsauftrag zur Entwicklung von Substanzen, die chemisch-biologische Kampfstoffe neutralisieren.

      Bezug: Heutige Unterredung mit Staatssekretär Dr. Dr. G.

      Das Verteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland erteilt uns den oben erwähnten Forschungsauftrag, der mit jährlich 65 Mio DM dotiert ist, unter folgenden Bedingungen:

      1. Eine von G. benannte Kontaktperson ist im Forschungsstab einzusetzen.

      2. Abweichend vom Vertragstext hat sich die Forschung nicht nur auf die Unschädlichmachung bereits bekannter Kampfstoffe zu beschränken. Vielmehr sind auch zukünftige Entwicklungen zu berücksichtigen.

      3. Besonderer Wert wird hier auf die Auslotung der Möglichkeiten der Gentechnologie in Bezug auf Krankheitserreger gelegt.

      4. Sämtliche Ergebnisse, die Veränderungen der Erbmasse von Erregern und deren Bekämpfung angehen, sind absolut vertraulich zu behandeln und ausschließlich an G. weiterzuleiten.

      5. Unser Labor in Kenia ist auszubauen und unterliegt mit Datum der Betriebsaufnahme nicht mehr der Kontrolle des Aufsichtsrates. Unser dortiger Sicherheitsdienst wird durch eine von G. befehligte Anzahl von Leuten verstärkt.

      6. Aus Gründen der Geheimhaltung soll der Personalstamm Forschung/Verwaltung in Kenia nicht mehr als 25 überprüfte und zuverlässige Personen umfassen.

      7. Besonderer Wert wird auf praxisbezogene Tests an Lebewesen (Primaten) gelegt. Erwartet werden repräsentative Ergebnisse, die Rückschlüsse auf die Wirkung der einzelnen Verfahren im humanmedizinischen Bereich zulassen und/oder bestätigen.

      8. Die Verwaltung der eingehenden Gelder obliegt nach wie vor der Firmenleitung. Es wird jedoch erwartet, dass mindestens 80 Prozent dem Projekt unmittelbar zugeführt werden.

      Meine Zusage zur Durchführung dieses Projekts habe ich bereits gegeben.

      Dr. Philip Menzel

      Vorsitzender des Aufsichtsrats

      14.11.1972 - 08:00 - Kutambati, Kenia

      Die Weite der um diese Jahreszeit grünen Savanne wurde von mächtigen Baobabs und Schirmakazien beherrscht. Vereinzelt sah man Impalas mit ihren imposant gebogenen Hörnern in kleinen Gruppen auf der Futtersuche. Die Luft war nach dem nächtlichen Regen noch etwas feucht, die rote Sandpiste jedoch begann in der Sonne schon wieder zu trocknen. Bald würde sie den Elefanten wieder dazu dienen, sich in einem ausgiebigen Sandbad mit rotem Staub zu bedecken.

      Der kleine Ort Kutambati in der Nähe des Nationalparks bestand aus einfachen Holzhütten und einigen Häusern aus roh gemauertem Stein.

      "Heerdt-Stiftung" stand in ausgeblichenen Lettern über dem hölzernen Tor am Ortsausgang. Auf dem großen Hof hinter dem Bretterzaun saßen, standen und lagen dutzende von Einheimischen und warteten auf das Erscheinen der Ärzte.

      Hier in Kutambati fand man in hundert Kilometer Umkreis die einzige funktionierende Klinik, die dazu noch kostenlos arbeitete. So war es kein Wunder, dass sich an jedem Morgen ganze Völkerscharen dorthin auf den Weg machten.

      Zu dieser frühen Stunde war es eigentlich noch recht kühl. Die schwüle Wärme der Nacht war von der Frische des Morgens abgelöst worden. Sogar die Moskitos gaben für kurze Zeit Ruhe. Dennoch waren die drei Wasserhähne auf dem Gelände dicht belagert. Wasserholer aus der Nachbarschaft, die jeden Morgen hier ihre Gefäße füllten, stritten sich lautstark mit den Patienten und deren Begleitern. Jeder drängelte jeden beiseite, um zuerst ein paar Liter Wasser zu erhalten. Schließlich hatten die meisten hier zum ersten Mal Gelegenheit, so bequem an frisches, kühles Wasser zu gelangen.

      Die Weißen waren schon wunderlich. Überall sonst musste das Wasser mühsam aus Flüssen oder Bächen geholt oder teuer bezahlt werden. Hier dagegen gab es hunderte von Litern völlig umsonst. Immer mehr Menschen strömten auf den Hof, und das Gedränge hatte seinen Höhepunkt erreicht, als das Hauptportal der kleinen Klinik geöffnet wurde.

      Schlagartig änderte sich das Bild. Jeder raffte seine Habe zusammen. Kranke wurden aufgehoben und gestützt, und alles drängte sich in den großen Warteraum in der Vorhalle.

      Zwei Kenianer, Bedienstete der Stiftung, wiesen ihren Landsleuten Plätze auf dem Fußboden zu. Gleichzeitig wurden Zettel mit Nummern verteilt, die die Reihenfolge der Behandlung bestimmen sollten.

      Das Durcheinander war unbeschreiblich: Kalebassen mit Proviant und saurer Milch wurden abgestellt. Decken und Matten wurden ausgebreitet. Familien, die von weit her gereist kamen, hatten ihre Kochgeschirre mitgebracht, und jeder der Anwesenden tauschte mindestens dreimal seinen Platz, um möglichst viele Freunde und Verwandte in seiner Nähe zu haben. Schwangeren Frauen wurden dabei immer die besten Plätze zugewiesen, das hatte Doktor Wallmann so angeordnet und daran