Ulli Schwan

Mord im Zeppelin


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Dinner werde ich einen genaueren Blick auf meine Mitreisenden werfen. Dann schlendere ich unauffällig runter in die Küche und schließe ein paar Freundschaften. Er nickte zufrieden.

      Und wenn alle Stricke reißen, kann ich dem Chef immer noch einen Artikel über das »Geisterschiff« schreiben. Das sollte schon an sich sensationell genug werden.

      Da klopfte es an der Tür. Ben öffnete und sah den ersten Offizier Miller. Miller sah zu beiden Seiten, bevor er sich zu Ben vorbeugte und flüsterte: »Wenn Sie was über den Kapitän wissen wollen, treffen wir uns in einer halben Stunde an den Wassertanks im Lagerraum!«

      Und schon eilte Miller davon, als sei nichts gewesen.

      Ben schaute ihm hinterher, bis er um die Ecke verschwunden war. Niemand sonst war im Flur zu sehen.

      Grinsend schloss Ben die Tür. Das ließ sich ja hervorragend an. Er salutierte seinem Spiegelbild voller Vorfreude: »Das hier wird deine große Story!«

      Becky hoffte aus ganzem Herzen, dass Quebec recht haben würde. Die Zusammensetzung der Gästeliste sah allerdings eher nach einem grandiosen Desaster für sie und Miro aus. Vor allem wenn man bedachte, dass es viel zu lange keinen Alkohol geben würde, um das Ganze etwas abzumildern.

      Madame Silva schritt raschelnd durch den Speisesaal zum Fenster. »Und der Ausblick. Ich bin überwältigt. So viel positive Energie, meine Güte ...«

      Während das Medium weiterhin ihre Begeisterung mit ihrer sehr lauten Stimme ausdrückte, steuerte der Kapitän sie entschlossen zu einem der Stühle und zog ihn heran. »Madame Silva, machen Sie mir die Ehre und setzen Sie sich doch heute Abend neben mich.«

      Das Medium zeigte sich begeistert. »Wie wunderprächtig. Gräfin von Brauntroet finden Sie die Schwingungen hier nicht auch fantastisch?«

      »Nun, ich denke, sie sind recht gut.« Die Gräfin zog ihre Mundwinkel ein wenig nach oben, was vermutlich ein Lächeln darstellen sollte. »Ist das Arrangement, dass Bleibtreu für Sie organisiert hat, zu Ihrer Zufriedenheit?«

      »Oh ja, nahezu ideal – Kapitän, ich muss einfach eine Séance durchführen, sobald wir in der Luft sind. Dem Äther so nah und nicht gestört durch erdgebundene Energien ...«

      Annett sah begeistert auf. »Oh, würden Sie das tun? Ich habe schon so viel von Ihren Erfolgen gelesen. Ich würde sterben, um einmal selbst dabei zu sein!«

      »Meine Liebe, vielen Dank. Aber sagen Sie so etwas nicht. Man weiß nie, was solch unvorsichtige Äußerungen, in unbedachten Momenten getan, auslösen können. Aber natürlich werde ich eine Séance durchführen, wenn unser Kapitän das erlaubt und selbstverständlich müssen Sie teilnehmen!«

      Kapitän Smith nickte zustimmend. »Es wäre mir eine Ehre, Madame. Ich bin ebenfalls ein großer Bewunderer.«

      Während der Kapitän wortreich seine Faszination für das Überirdische schilderte, blickte Annett bewundernd zu Madame Silva hinüber. Dann sagte sie zu Miro und Becky gewandt leise: »Ich habe im Chronicle von ihr gelesen. Sie ist mehr als nur ein Medium, sie ist eine echte Forscherin im Reich der Geister, eine Wanderin des Äthers und eine Mittlerin zwischen dem Dies- und Jenseits. Sie hat schon vielen Familien geholfen. Erst vor kurzem hat sie einen Kontakt mit dem Geist von Jethro Carn hergestellt, damit seine Witwe sich verabschieden kann. Sie hat geweint, als er ihr ein letztes Mal seine Liebe erklärt hat.«

      »Hm«, brummte Miro. »Ich bin mir sicher, dass sie eher geweint hat, weil sie im Testament nicht weiter bedacht war.« Die Sängerin sah ihn ob dieses Kommentars erschrocken an.

      »Annett, lassen Sie sich von meinem Mann nicht verunsichern«, sagte Becky daraufhin resolut, zwinkerte ihm aber zu. »Er hat allerdings damit recht, dass viele Medien einfache Schwindler sind, die die Trauer der Menschen.«

      » ... und deren Gier …« unterbrach Miro sie.

      »... ausnutzen wollen. Sie haben doch sicherlich schon von Herrn Houdini gehört?«

      Annett runzelte ihre Stirn. »Dem Entfesselungskünstler?«

      »Ja. Genau dem. Aber er deckt auch Schwindeleien bei Séancen auf und hat einige bekannte Medien als Scharlatane entlarvt.«

      »Aber nicht Madame Silva«, erklärte Annett überzeugt. »Mir ist klar, dass es überall Betrüger gibt. Aber ich glaube fest, dass die Toten noch bei uns sind, irgendwie.« Sie sah traurig aus bei diesen Worten, fand Becky.

      Es war Miro, der Annett antwortete: »Ja, das glaube ich auch, ich bin nur skeptisch, was die angeblichen Vermittler angeht.«

      Die junge Frau setzte zu einer Antwort an, wurde jedoch durch die laute Stimme von Madame Silva daran gehindert.

      »Also, dann ist es entschieden. Wir werden versuchen mit denen Kontakt aufzunehmen, die hinter der dunklen Barriere sind.« Theatralisch hob sie die Hände in die Luft. »Mögen sie uns Antworten geben auf die großen Mysterien der Menschheit. Sie ...«

      Es war der Lord, der Madame Silva abrupt unterbrach. »Na, das ist ja mal ein Abenteuer. Eine Séance auf einem Luftschiff. Nicht, dass ich an so etwas glaube. Entschuldigen Sie bitte, meine Dame.« Damit wandte er sich an das Medium, das zu seiner Rechten saß und schüttelte den Kopf.

      »Ist mein erster Flug«, verkündete er dann. »Fühl mich nur auf Pferden und in Kutschen wohl. Diese Automobile sind mir nicht geheuer und auf Schiffen wird mir übel. Bin verdammt gespannt, wie das die nächsten Tage wird. War mal mit einem Ballon unterwegs – das Beste daran ist die Ruhe. Absolute Stille, kein Mucks zu hören. Das nenne ich Entspannung, eine wahre Wohltat so eine Stille. Kennt man heutzutage ja gar nicht mehr – alles voll mit diesen Autos und Zügen und Trams, die immer klingeln, als würde man sie nicht schon eine Meile gegen den Wind hören. Maschinen überall, die so laut sind, dass einem die Ohren platzen. Aber wenn man mal Ruhe haben will, geht nichts über eine Ballonfahrt. Oder einen Ausritt, raus in die Highlands und man ist dem Himmel sofort näher. Ist bestimmt ganz ruhig im Himmel, das wäre für mich das Paradies. Es heißt ja, so ein Luftschiff ist auch leise.«

      »Und dem Himmel so nahe«, stimmte Miro ihm zu.

      »Richtig, junger Mann. Bin gespannt, ob die ihr Versprechen halten, habe nämlich empfindliche Ohren. Sogar wenn ich schlafe.«

      »Dafür, dass er die Stille so mag, redet er aber 'ne Menge«, raunte Quebec Annett und Becky zu, während der Lord weiterhin laut und ausführlich über die Vorzüge der Stille schwadronierte.

      Becky beugte sich zur Seite. »Allerdings. Ich bin gespannt, wer sich heute Abend durchsetzt: Madame Silva oder Lord Conroy. Sie scheinen sich in nichts nachzustehen.«

      Annett sah ein wenig enttäuscht aus. »Es wurde gerade so interessant, bevor dieser Lord sich eingemischt hat.«

      Aufgrund des Rededuells von Lord Conroy und Madame Silva hatten sich die beiden Franzosen wohl für das ihrer Meinung nach kleinere Übel entschieden und sich gegenüber von Miro und Becky niedergelassen. Inzwischen trafen auch die restlichen Gäste ein.

      Zuerst kam die deutsche Familie, die sie bereits vom Einchecken kannten. Der Mann, der voranging, war groß und massig und wirkte fast grobschlächtig. Sein brauner Anzug verriet, dass er zwar teuer, aber doch nicht maßgefertigt war. Wie Becky bemerkte, saß er zwar gut, an den wirklich wichtigen Stellen war er jedoch ein klein wenig zu groß. Auffällig war eine dicke goldene Uhr, die aus einer zu kleinen Tasche ragte. Hinter ihm betrat die Frau den Saal, die ihren Sohn vor Miro ›gerettet‹ hatte. Sie trug ein formloses, beigefarbenes Kleid mit einem großen doppelten Spitzenkragen. Die beiden Kinder hatten ihren Blick zu Boden gesenkt. Das blonde Mädchen schätzte Becky auf zehn oder elf.

      »Und hier sind wir schon, Kinder«, vermeldete der Vater und unterbrach damit Lord Conroy. Noch jemand mit einem äußerst durchdringenden Organ, dachte Becky. Das wird interessant werden.

      »Guten Abend. Ich hoffe, wir sind nicht zu spät«, tönte der Neuankömmling.