Ulli Schwan

Mord im Zeppelin


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      Quebec warf einen Blick in die Runde und schmunzelte dann unter seinem gewaltigen Schnurrbart. »Und die Nachbarschaft ist so interessant«, sagte er nur, dann folgte er Annett, die sich schon gesetzt hatte.

      Neugierig ging Becky einen Schritt nach vorne, um zu sehen, wer hinter der Palme am Nachbartisch saß. Nicht meine Wahl, dachte sie, aber besser als die beiden fürchterlichen Franzosen. Entschlossen zog sie Miro mit.

      »Auf alle Fälle angenehmer als neben dem General zu sitzen«, meinte Miro, der inzwischen ebenfalls gesehen hatte, mit wem die Sängerin sich angeregt unterhielt. »Madame Silva und ihre Gönnerin haben zumindest Unterhaltungswert, n’est-ce pas?«

      Russel Barker schien immer noch entschlossen, die Stimmung wieder zu verbessern. Und anscheinend hatte er auch schon eine Idee, wie das zu bewerkstelligen war. Er schritt zielsicher auf den Tisch der Berlioz zu. Mit einer kleinen Verneigung vor Annett, fragte er schmeichelnd und so laut, dass jeder im Salon es hören konnte: »Miss Jennings, ich habe gehört, wir haben eine wunderbare Sängerin an Bord. Würden Sie uns vielleicht die Ehre geben, heute Abend einige Lieder vorzutragen?«

      Annett freute sich sichtlich über die Frage. Überhaupt, dachte Becky, scheint sie gegen gestern richtig aufgeblüht zu sein. Sie sieht immer noch blass aus, aber was immer sie gestern bedrückt hat, scheint etwas weniger auf ihrer Seele zu Lasten. Sie freute sich darüber, denn sie mochte die junge Frau.

      »Sehr gern, Mister Barker, ich würde gerne für Sie singen« antwortete Annett mit echter Begeisterung. »Allerdings«, sie sah zu Madame Silva hinüber, mit der sie sich gerade angeregt unterhalten hatte, »Madame Silva wollte mir gerade von Ägypten erzählen.« Es war klar zu sehen, dass sie sich lieber weiter mit dem Medium unterhalten hätte.

      Barker schien egal zu sein, womit seine Gäste abgelenkt wurden, denn er sagte eilfertig: »Wie faszinierend, Madame, wollen Sie uns alle teilhaben lassen? Miss Jennings, vielleicht möchten Sie dann etwas später singen?«

      Damit hat er nicht nur Annett und Madame glücklich gemacht, dachte Becky, sondern auch das Interesse der anderen geweckt – und im Handumdrehen ein richtiges Abendprogramm organisiert. Sie musste zugeben, dass er ein Händchen dafür hatte.

      Madame Silva nahm nur zu gern die Gelegenheit wahr, wieder im Mittelpunkt zu stehen. »Oh, ich begeistere mich schon seit Jahren für den Orient an sich, und Ägypten im Besonderen, auch wenn ich leider noch nicht die Möglichkeit hatte, all die interessanten Orte zu besuchen. Ich habe die Ausgrabungen Carters und des armen verstorbenen Lord Carnarvon mit großem Interesse verfolgt und bin fasziniert von ihren Funden. Nicht nur dem materiellen Reichtum, vielmehr dem spirituellen, denn dieses Grab offenbart uns das Wissen über das Leben nach dem Tod, von dem die Ägypter so viel mehr besaßen als wir in unser ach so aufgeklärt genannten Zeit.«

      Annett beugte sich auf ihrem Stuhl zur Seite. »Was glauben Sie, werden wir über das Totenreich erfahren?«

      »Viele Wunder, meine Kleine«, versicherte das Medium. »Wie schon Napoleon erkannte, hatten die Ägypter ein viel feineres Bild des Totenreiches als wir, denn sie sahen den Tod nicht als Abschluss des Lebens, sondern als einen weiteren Schritt. Anders als wir heute, wussten die Weisen der Vergangenheit, wie stark der Einfluss des Jenseits in das Diesseits wirklich ist. Dass die Welt aus mehr besteht als roher Materie und elektrischer Energie.«

      Die Gräfin von Brauntroet klopfte mit ihrem Stock auf den Boden und nickte. »Ist der Fluch nicht ein deutliches Zeichen? Wie es die Inschrift im Grab prophezeite, holt sich der Hüter des Tutanchamun jetzt alle, die seine Ruhe störten.«

      »Welche Inschrift?«, fragte Annett.

      Mit feierlichem Ton zitierte Madame Silva: »Ich verhindere, dass Sand die geheime Kammer füllt. Ich bin zum Schutz der Toten da. So steht es geschrieben auf dem Keramiksockel einer Kerze vor dem Schrein des Gottes Anubis!«

      Ein Husten, dass wie Becky fand, durchaus auch ein unterdrücktes Lachen hätte sein können, unterbrach eine weitere Ausführung. Jakob Bleibtreu, der Sekretär der Gräfin, kommentierte die Worte des Mediums trocken: »Kommt ein bisschen spät, dieser Anubis. Ich meine, da gräbt Carter jahrelang herum und selbst als er das Grab findet, wartet er noch einen Monat, bevor er es öffnet. Anubis hätte bereits in Aktion treten können, noch bevor die Archäologen tatsächlich die Grabesruhe gestört haben.«

      Bei diesem Einwurf schmunzelte Becky in den Kaffee, den man ihr inzwischen gebracht hatte. Bleibtreu hatte da ein gutes Argument vorgebracht, aber vermutlich hatte Madame Silva ein passendes Gegenargument parat. Und Madame enttäuschte sie nicht.

      »Anubis gab ihnen eine Chance.«

      »Eine Chance? Worauf?«

      »Um die Riten einzuhalten. Ich selbst hielt spiritistischen Kontakt zu einem Medium, das in der Nähe der Ausgrabungen wohnte und dessen Cousin als Hilfskraft von Carter arbeitete. Immer wieder überlegten wir gemeinsam, welche Riten abgehalten werden sollten, um das Grab korrekt zu öffnen, und wir ließen unsere Vorschläge Carter unterbreiten – aber er hörte nicht darauf. So sehr er auch von der altägyptischen Kultur angetan ist, ist er doch ein Wissenschaftler der heutigen Zeit – und ein bornierter Engländer dazu.«

      Miro blickte zu Becky und zwinkerte ihr zu. »Meine Frau hat ihre eigene Theorie, warum der Earl starb, nicht wahr, Becky?«

      Sie stellte ihre Kaffeetasse langsam ab. Eigentlich hatte sie gerade Spaß daran gefunden, dem Disput zwischen Esoterik und Wissenschaft zu lauschen und sich einfach zurücklehnen wollen; aber bei so einer Vorlage konnte sie natürlich nicht widerstehen, wie ihr Mann sehr wohl wusste. Da sie die gerade entspannter werdende Atmosphäre an den Tischen nicht direkt wieder ruinieren wollte, sagte sie etwas diplomatischer, als sie es normalerweise formuliert hätte: »Meine Theorie ist gänzlich unspektakulär, fußt aber auf einer Beobachtung, die auch Madame Silva erwähnte: Der Earl war Engländer, und wie allgemein bekannt ist, passen sich die Engländer nicht dem ausländischen Klima an. Vielleicht ist er einfach an einem Hitzschlag, einer bösen Magenverstimmung oder schlicht Überarbeitung gestorben.«

      »Endlich ein vernünftiges Wort«, murmelte Bleibtreu.

      Madame Silva lächelte ebenfalls, allerdings ein wenig verschnupft. »Ich bin sicher, einen dieser Gründe werden die Ärzte des Earls in seinen Totenschein schreiben. Aber wäre es nicht auch möglich, dass dies nur Symptome sind, durch die sich der Fluch manifestiert? Natürlich läuft Anubis nicht als wandelnder Meuchelmörder auf der Erde herum – Geister und Götter haben ihre eigenen Wege, uns ihren Willen zu zeigen.«

      Jakob Bleibtreu erwiderte: »Wäre nur nett, wenn sie eine Visitenkarte da lassen würden.«

      Dieses Mal bekam er seine Antwort von der Gräfin. »Jeder halbwegs empfindsame Mensch erkennt die Zeichen der Geister!«

      Welche Erwiderung auch immer in Bleibtreus Kopf spukte, er spülte sie mit einem großen Schluck herunter. Er weiß nur zu gut, wer ihm sein Gehalt zahlt, dachte Becky. Die Luft zwischen Gräfin, Madame Silva und Bleibtreu knisterte.

      »Haben Sie selbst denn schon Geister gesehen, Frau Gräfin?«, fragte Annett interessiert.

      Gott segne Annetts Unbekümmertheit, dachte Becky vergnügt. Nicht, dass wir nach kaum fünf Minuten bereits wieder bei einem gefährlichen Thema sind. Sie hob ihre Kaffeetasse und nahm gespannt einen Schluck – und verzog sofort das Gesicht aufgrund des scheußlichen Gebräus, dass die Amerikaner Kaffee nannten.

      »Das habe ich in der Tat, Fräulein«, erwiderte die Gräfin von Brauntroet. »Seit mein geliebter Gatte diese Welt verließ, hatte ich das Gefühl, er sende mir Zeichen, suche Kontakt. Mein zweiter Mann hatte dafür nur wenig Verständnis, und so verneinte ich die Signale ihm zuliebe. Aber sie waren da, immer um mich herum und all meine Ärzte, denen ich von ihnen erzählte, gaben mir eine Pille oder verschrieben mir eine Kur mit kaltem Wasser, eine Diät aus Hülsenfrüchten. Als mein zweiter Mann dann im Krieg fiel, ertrug ich es nicht mehr auf meinem Anwesen, und begann zu reisen. In Amerika lernte ich Madame Silva kennen und sie zeigte mir, wie real meine Eingebungen waren, dass mein erster Mann die ganzen Jahre über mich gewacht