Ulli Schwan

Mord im Zeppelin


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Kinder, setzt Euch dorthin. Rosemarie, du hier.« Mit einer ähnlichen Handbewegung wie der, die er auch für den Kellner gebraucht hatte, scheuchte er den Rest seiner Familie an die ihnen zugedachten Plätze.

      Dann wandte er sich der Runde zu und neigte leicht den Kopf. »Kellermann, der Name. Meine Frau und meine beiden prächtigen Kinder.« Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und wischte sich kurz über die Stirn und durch sein leicht gerötetes Gesicht. Seine Frau und seine Sprösslinge murmelten ihrerseits ein »guten Abend« und setzten sich auf die ihnen vom Familienoberhaupt zugewiesenen Plätze.

      Erstaunlicherweise sagte die Gräfin nichts dazu, dass nun ausgerechnet zwei Kinder in ihrer unmittelbaren Nähe saßen. Der Blick, den sie ihrem Sekretär zuwarf, hätte jedoch ganze Gletscher schmelzen können. Geschieht ihr ganz recht, nach dem, was sie mit ihrer Zofe vorhin gemacht hatte, befand Becky. Hinter der Familie traten drei weitere Männer in den Raum.

      »Das ist Ben Truman«, sagte Miro und wies unauffällig auf den jungen Mann, der gerade eintrat. Die beiden nickten sich zum Gruß zu.

      Der Mann hinter Truman trug Uniform und eilte nach einem knappen »Guten Abend, meine Damen und Herren«, direkt zum Kapitän, um ihm etwas mitzuteilen. Dann verabschiedete er sich auch schon wieder.

      Der dritte Neuankömmling war eine sehr distinguierte, hochgewachsene Erscheinung. Sein dunkles Haar war leicht grau meliert, obwohl Becky ihn jünger schätzte, als er wirkte, und er trug einen maßgeschneiderten, neuen dunklen Anzug. Außerdem hatte er einen schwarzen Holzstock mit silbernem Griff in der Hand. Allerdings schien er ihn weniger wegen einer Behinderung zu brauchen, als aus modischen Gründen, denn er ging mit federnden Schritten zu dem freien Platz neben der Gräfin. »Wenn die Dame gestattet«, er wies auf den Stuhl, »mein Name ist Bedlam, Jonathan Bedlam.«

      Die Gräfin nickte – offenbar durchaus erleichtert, dass da jemand sitzen würde, der sie von den Kellermanns abschirmt – und noch dazu ein gutaussehender Gentleman.

      »Bitte entschuldigen Sie die Verspätung meine Damen und Herren«, sagte dieser. »Aber ich musste noch ein kurzes Telegramm aufgeben, geschäftlich. Aber wie ich sehe, sind meine Schutzbefohlenen, die Cabes, auch noch nicht anwesend.«

      »Oh, möglicherweise verpassen sie dann die Fahrt«, meinte Miro.

      Dafür rutschte Beckys Ellenbogen in seine Rippen, wobei sie gleichzeitig über den Tisch hinweg fragte: »Dann reisen Sie mit den Cabes?«

      »Nun ja, ich bin der Verleger der beiden und begleite unsere besten Autoren natürlich auch auf ihrer Lesereise durch Europa. Das ist man ihnen schließlich schuldig, nicht wahr?« Er lachte breit. »Sie müssen die berühmten Berlioz' sein, ich gebe zu, ich habe mich schon darauf gefreut, Sie kennenzulernen.«

      »In meinem Fall wohl eher berüchtigt als berühmt, fürchte ich.« Beckys Antwort fiel zugegeben recht trocken aus. Aber sie fand, ihre Berühmtheit, die sie den Vorfällen in Marienbad verdankte, eher lästig als erwähnenswert.

      »Aber nicht doch, verehrte Misses Berlioz, ich habe ihre erstaunliche Geschichte fasziniert verfolgt. Ebenso wie die Ihre natürlich, Mister Berlioz«, mit diesen Worten wandte er sich an Miro, »Ihre magischen Talente haben Amerika begeistert, wie ich hörte.«

      »So scheint es«, antwortete Miro und neigte bescheiden den Kopf. Das amüsierte Becky immer wieder. Einerseits liebte es ihr Mann, auf der Bühne zu stehen und mit dem Publikum zu spielen, sobald er jedoch die Bühne verließ, vermied er es, im Mittelpunkt zu stehen.

      »Natürlich haben Sie auch von mir bereits gehört, als weltberühmtes Medium kann man das ja kaum vermeiden.« Das kam von der anderen Seite des Tisches. Madame Silva strahlte den Verleger an. »Ebenso wie ich von Ihrem exorbitanten Verlag!«

      Offensichtlich hatte Madame Silva beschlossen, dass die Berlioz nun lange genug Thema des Tischgesprächs gewesen waren und sie langsam auch Erwähnung finden sollte. Wobei, Becky korrigierte sich innerlich, eigentlich sieht sie fast aus wie ein Habicht, der eine neue und sehr schmackhafte Beute entdeckt hat. Sie nahm ihr die Unterbrechung aber nicht übel, im Gegenteil – sie hatte zwar kein Problem damit, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, über die Ereignisse des letzten Jahres sprach sie allerdings nur sehr ungern.

      »Sehr erfreut, sehr erfreut. Ich hatte schon gehört, dass wir an Bord ein wahres Feuerwerk des Übernatürlichen haben.« Mister Bedlam sah in der Tat überaus erfreut aus. Wahrscheinlich sieht er schon ein neues Buch vor sich, überlegte Becky.

      »Nicht nur des Übernatürlichen«, mischte sich nun der Kapitän ins Gespräch. »Sondern auch des Kulinarischen. Meine Damen und Herren, wie es aussieht, sind wir nun fürs Erste komplett und unser exzellenter Küchenchef freut sich schon darauf, Sie mit ihrem ersten Dinner an Bord zu verwöhnen.«

      Er schien kurz den Faden zu verlieren, fuhr dann aber fort: »Mister und Misses Cabe sind noch nicht an Bord eingetroffen und auch Mister Barker, der recht kurzfristig entschieden hat, uns auf dieser Reise Gesellschaft zu leisten, wird erst ein wenig später zu uns stoßen.« Er erhob sein Limonadenglas, zögerte kurz mit Blick auf das Glas in seiner Hand und sagte dann: »Ich begrüße Sie hiermit nochmals offiziell an Bord der Demetrio und wünsche Ihnen guten Appetit.«

      Auf dieses Stichwort hatten die beiden Kellner und zwei Hilfskellner anscheinend nur gewartet, denn schon wurde die Vorspeise aufgetragen: eine hervorragende klare Consommé.

      »Ich hätte gedacht, dass man als Besitzer eines solchen Schiffs wenigstens über die Höflichkeit verfügt, pünktlich zum Dinner zu kommen«, bemerkte die Gräfin spitz in Richtung des Kapitäns. »Dass Künstler in dieser Hinsicht unberechenbar sind, war mir klar. Für die junge Generation scheint ohnehin nichts mehr wirklich wichtig zu sein. Aber von Mister Barker hätte ich etwas anderes erwartet.«

      »Nun, ich von mir auch, das muss ich gestehen, meine Verehrteste.« Das Ziel der Bemerkung, Russel T. Barker, betrat den Raum. Was er an Körpergröße vermissen ließ, machte er an Ausstrahlung wieder wett: Obwohl er nicht mehr als einen Meter sechzig maß, schaffte er es mühelos, bei seinem Eintreten alle Blicke auf sich zu ziehen. Klassisch im Smoking, allerdings mit einer roten Fliege dazu, begrüßte er jeden Gast am Tisch einzeln und sehr zuvorkommend.

      »Bitte verzeihen Sie mir meine kleine Verspätung«, wandte er sich dann an die versammelten Gäste. »Ich muss gestehen, dass diese kurzfristige Reise meinen Terminplan doch ziemlich durcheinander gerüttelt hat. Aber wie sagt man so schön: Ein Hoch auf das Unerwartete, nicht wahr? Ah, vielen Dank, ich denke, ich werde mich hierhin setzen.« Damit ließ er sich in dem Sessel neben Miro nieder.

      »Normalerweise bin ich für meine Pünktlichkeit berühmt, nicht wahr Kapitän Smith? Und nicht nur für meine persönliche Pünktlichkeit, sondern für die meiner Fluglinie.« Er nickte dem Kapitän zu. »Zugegeben, das haben wir weniger mir, als den kompetenten Besatzungen zu verdanken, aber ich schreibe es mir trotzdem ein wenig auf die Fahnen.«

      Nun ja, dachte Becky, da habe ich aber anderes gehört. Der Bericht, den ihre Sekretärin vor dem Abflug für sie zusammengestellt hatte, war sehr eindeutig gewesen, was das anging.

      »Also keine Verspätung auf dieser Reise?«, fragte der General in Richtung des Kapitäns.

      Der Kapitän lächelte ihn freundlich an. »Ich sehe keinen Grund für eine Verspätung. Die Demetrio ist ein hervorragendes Luftschiff und wir sind frisch aufgetankt. Natürlich ist ein Luftschiff immer auch von der Wetterlage abhängig, aber bisher gibt es keinerlei Wetterwarnung auf unserer Route.«

      »Wie ich immer sage«, warf Quebec an dieser Stelle ein. »Zeppeline sind viel zu wetteranfällig. Ein Flugzeug könnte durch den Sturm hindurch fliegen.«

      »Aber auch nur, wenn der Sturm nicht zu stark ist«, konterte Barker gelassen. »Und dann kann es auch ein Luftschiff wie die Demetrio mit einem Sturm aufnehmen. Ich habe mir heute Morgen die Daten angesehen, Kapitän. Ich denke da besteht kein Grund zur Besorgnis.«

      »Sie scheinen sich sehr sicher zu sein, Messieurs«, sagte der General. »So sicher, dass sie eine kleine Wette wagen würden?«

      »Eine