Ulli Schwan

Mord im Zeppelin


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und unbeweglich stand, die Arme vor der Brust verschränkt.

      Quebec zuckte die Achseln und erwiderte: »Keine Ahnung wie, Mann, ich weiß nur, dass ein Toter meinem Onkel mütterlicherseits das Leben gerettet hat. Und zwar mit einem stinknormalen – 'tschuldigung die Damen – Funkgerät.«

      »Wie kann ein Toter in einem Funkgerät stecken, junger Mann?«, verlangte die Gräfin gebieterisch zu wissen.

      »Er steckte nicht in der Funke, wenigstens nicht direkt. Aber ich fange am besten mal am Anfang an, dann ist es einfacher. Also mein Onkel ist Fischer oben in Kanada, hat ein ordentliches Boot und zwei Mann Besatzung. Vor ein paar Jahren fährt er raus wie immer, aber wie er auf dem Meer ist, braut sich ein Riesensturm zusammen. Mein Onkel hat einen Menge Erfahrung mit dem Meer. Seit fünf Generationen gibt es Fischer in seiner Familie, es liegt ihm also sozusagen im Blut.«

      Quebec schüttelt den Kopf. »Aber dieser Sturm, der war schlimmer, als alles, von dem er je gehört hat. Er hat noch versucht Richtung Hafen zu kommen, aber der Sturm brach so schnell über ihn her, dass er keine Chance hatte. Hat ihn voll erwischt, als er noch eine gute Stunde vom Land entfernt war. Sein Großvater, ein echter alter Seebär, wie er im Buche steht, hatte ihm immer von Riesenwellen und Teufelsstürmen erzählt, aber kein Fischer hatte die jemals persönlich zu Gesicht bekommen. Von daher hat mein Onkel immer nur gelacht und es als Seemannsgarn abgetan. Aber dieser Sturm, der war unheimlich. Zu schnell, zu wild und die Wellen waren so groß wie eines dieser modernen Hochhäuser. Mein Onkel war sich ziemlich sicher, dass seine letzte Stunde geschlagen hatte. Der Kompass spielte verrückt und der Kutter wurde so wild hin und her geworfen, dass die Jungs an Bord bald nicht mehr wussten, wo oben und unten war. Überall war es grau und Wasser kam von allen Seiten. Er konnte nur noch raten, wo das Land ungefähr sein musste und dann versuchen Kurs zu halten.

      Das Funkgerät hatte schon eine ganze Weile nur noch Störgeräusche von sich gegeben. Keine Chance, mit dem Hafen Kontakt aufzunehmen oder Hilfe zu holen. Und wer sollte in so einem Sturm schon kommen? Plötzlich hörte er den Namen seines Schiffes im Funkgerät. ›Larka bitte kommen, hier Halifax Harbour. Larka bitte kommen ...‹. Es war der Hafen und es war tatsächlich Rettung in letzter Minute, denn der Mann am Funkgerät warnte meinen Onkel, dass er in Richtung offenes Meer fuhr, nicht in Richtung Land. Und er leitete ihn sicher zurück in den Hafen. Als dann endlich die Hafenmauern in Sicht waren, fragte mein Onkel nach seinem Namen, denn er wollte unbedingt dem Mann danken, der ihn und seine Crew gerettet hatte.«

      Quebec Norris zwirbelte nachdenklich an seinem Schnurrbart. »Ich kann mich bis heute an den Namen erinnern. Thomas McNoughton. Als der Sturm am nächsten Tag vorbei war, fuhr mein Onkel mit einem großen Apfelkuchen, den meine Tante gebacken hatte, zum Hafen. Er war für McNoughton gedacht. Aber als er im Büro des Hafenmeisters nach ihm fragte, erntete er nur verwirrte Blicke. Niemand kannte einen Mann mit diesem Namen. Bis ein weiterer Fischer vorbeikam, ein älterer Mann, ungefähr im Alter meines Großvaters. ›McNoughton‹, fragte er. ›Der ist doch damals gestorben, im großen Sturm von 1843. Tragische Geschichte, hatte die Orientierung verloren und fuhr aufs offene Meer hinaus. Angeblich soll er immer mal wieder auftauchen und anderen Seeleuten helfen. Seemannsgarn halt.«

      Quebec Norris blickte langsam in die Runde. »Mein Onkel schwört auf sein Leben, das das genau der Name war, den der Mann am Funkgerät ihm genannt hat.« Er verstummte, als sei er nicht sicher, ob er die Geschichte tatsächlich hätte erzählen sollen.

      »Ich habe ähnliche Geschichten gehört.« Robichaude blickte nachdenklich auf das Glas in seinen Händen. »Im Krieg. Es gab immer wieder Soldaten, die geschworen haben, dass ihnen etwas geholfen hat, durchzuhalten oder den Weg zu finden. Etwas, das danach nicht mehr da war.«

      Er sieht viel zu jung aus, um im Krieg gewesen zu sein, dachte Becky. Doch sie wusste, dass das für viele der Männer galt, denn jede Nation hatte die Jüngsten an die Front geschickt. Selbst viele Offiziere waren weit unter dreißig gewesen.

      Robichaude sah auf, lächelte bemüht. »Mir persönlich ist nie so etwas begegnet, aber in einigen Fällen grenzte es tatsächlich fast an ein Wunder, un miracle, dass die Soldaten überlebten. Und wer bin ich, ihre Worte in Frage zu stellen? »

      Becky hatte das Gefühl, als wäre die Atmosphäre im Raum kälter geworden. Sie sah sich um, und auch die anderen schienen den Kaffee vergessen zu haben, er war kalt geworden in den Tassen. Annett war kalkweiß im Gesicht und sah angespannt aus. Sie legte ihre Hände um die Tasse, als würde sie sich daran festhalten.

      Lord Conroy schauderte. »Ich bin zwar in einem alten schottischen Schloss aufgewachsen, und glauben Sie mir, wir hatten unseren Anteil an angeblichen Geistern dort, aber gesehen habe ich – Gott sei es gedankt – nie einen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder ruhig schlafen könnte, wenn ich einem begegnen würde.«

      Bevor jemand etwas darauf erwidern konnte, hörte man Schritte vom Treppenbereich näher kommen. Alle Köpfe fuhren herum.

      »Ich schätze, wir müssen uns den anwesenden Herrschaften wohl nicht mehr vorstellen ...« Die Dame, die den Raum betreten hatte, schien sich sowohl dieser Tatsache, als auch ihres Auftritts sehr bewusst zu sein. »Aber nur für den Fall: Lily Cabe. Und dieser formidable Herr an meiner Seite ist natürlich mein lieber Ehemann und meine verwandte Seele in der Profession – Colin Cabe.« Mit einer ausladenden Handbewegung wischte sie durch die Luft und drehte sich dabei ein wenig, so dass nun auch ihr Mann zu sehen war.

      »Und bevor sie fragen: Ja, wir sind die Autoren von ›Verlorene Seelen in Anford Manor‹ und ›Leben Sie unter uns?‹« Colin Cabe war offensichtlich nicht weniger bescheiden als seine Frau. Und das galt sowohl für seine Worte, als auch für sein Aussehen. Während die meisten Gäste – natürlich mit Ausnahme von Madame Silva – eher lässig elegant gekleidet waren, für dieses erste Abendessen an Bord, hatten die Cabes sich richtig in Schale geworfen.

      Lily Cabe trug ein langes goldenes Abendkleid, das sich eng an ihre Figur schmiegte. Das Dekolleté wurde betont durch Kaskaden von goldenem Stoff, der sich darüber ergoss – und einem breiten Diamantcollier, dass Misses Cabe um den Hals trug. Die dunklen langen Haare trug sie offen, nur an einer Seite des Gesichts, wurden sie von einer filigranen goldenen Spange gehalten.

      Ihr Mann hatte ebenfalls formelle Abendkleidung angelegt: Einen klassischen schwarzen Frack, der dem dunkelhaarigen Mann mit den feinen Gesichtszügen ausgesprochen gut stand, wie Becky anerkennend bemerken musste.

      Stühle knirschten an den Tischen, als die anwesenden Männer sich erhoben, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Bewegung löste die Stille, die sich nach Quebec Norris‹ Geschichte ausgebreitet hatte.

      »Aber nicht doch, meine Herren, bitte setzen Sie sich wieder.« Lily Cabe lächelte alle gewinnend an. »Wir sind ja leider so spät, dass wir uns kaum getraut haben, überhaupt noch in den Gesellschaftsraum zu kommen.«

      Barker, der weiterhin stand, hatte inzwischen zwei Kellner mit kleinen Gesten dazu veranlasst, Stühle so zu stellen, dass die Cabes sich zu der Gruppe setzen konnten. Jetzt trat er lächelnd einen Schritt auf die Cabes zu, um sie zu begrüßen. »Herzlich willkommen an Bord, Misses Cabe. Mister Cabe. Ich bin froh, dass Sie sich entschlossen haben, uns Gesellschaft zu leisten. Was für eine Bereicherung für unsere illustre Reisegruppe. Bitte ...« Damit wies er auf die leeren Stühle. »Bitte, nehmen Sie doch Platz. Wir können für Sie sicherlich noch eine leichte Kleinigkeit organisieren. Nicht wahr?« Auffordernd sah er einen der Kellner an.

      »Mister Barker, Sie sind der Besitzer dieser Schönheit der Lüfte, richtig?« Colin Cabe schüttelte dem Unternehmer enthusiastisch die Hand. »Wie schön, dass Sie auch an Bord sind – das gibt einem doch gleich ein besseres Gefühl bei diesen modernen Maschinen.«

      »Nun ja«, Barker schien nicht so recht zu wissen, ob das nun als Kompliment gemeint war oder nicht, entschloss sich dann aber, es positiv zu sehen. »Ich kann Ihnen versichern, dass mein Luftschiff die angenehmste Art ist, in der man heutzutage überhaupt reisen kann.«

      Allerdings schien ihm Mister Cabe schon gar nicht mehr zuzuhören. Er hatte Annett entdeckt und seinen Charme jetzt eindeutig auf sie gerichtet. »Und wer ist dieses bezaubernde