Frank Riedinger

Mongolei – Gesichter eines Landes


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Jim Reichert

       Munkhbayar

       Byambajav

       Impressum

      Während meiner unzähligen Reisen in die Mongolei wurde ich mit neuen und fremdartigen Eindrücken konfrontiert. Die kontrastreiche Natur überrascht mit vielen Besonderheiten, die dieses zentralasiatische Land so einzigartig macht.

      Doch meine große Zuneigung haben die Menschen geweckt, ihre offenherzige und gastfreundliche Art, die sie mir als Fremden entgegenbrachten. Das Teilhaben an ihrem Leben, an der bescheidenen Zufriedenheit, den kleinen und großen Sorgen und an ihrem Glück, hat mich tief beeindruckt und geprägt. So wandelten sich im Laufe der Zeit flüchtige Bekanntschaften zu festen Freundschaften. Meine mongolischen Freunde ließen mich gerne bei Familienfesten und ihren persönlichen Unternehmungen dabei sein.

      Ich erlebte ein Land im Umbruch. Nicht die Heimat des großen Mongolen Chinggis Khaan steht im Mittelpunkt, sondern die aktuelle Situation der Gesellschaft und das Schicksal des Einzelnen. Die Menschen sehen sich einer rasanten Entwicklung gegenüber, einem Spannungsfeld zwischen Moderne und Überlieferung ausgesetzt. Eine Mischung zwischen Armut und Reichtum, zwischen Mangel und Überfluss, aus der eine Widersprüchlichkeit im Denken und Handeln resultiert.

      Ich freue mich, Sie an meinen Begegnungen und Erlebnissen teilhaben zu lassen. Das Buch „Mongolei – Gesichter eines Landes“ spiegelt die Begebenheit und die spürbare Nähe wider, die ich auf meinen Touren quer durch das faszinierende Land mit den Menschen erleben durfte.

      Frank Riedinger

      Die Einführungszeremonie des Schamanen Dashaa hat noch nicht begonnen, als ich das Wochenendhaus nördlich der Hauptstadt Ulaanbaatar erreiche. Zwischen parkenden Autos spielen Kinder. Ein Reiter hoch zu Ross mischt sich unter die versammelten Gäste. Ich schaue mich suchend um. Da höre ich, wie mein Name gerufen wird. Dashaas Bekannte und Verwandte warten auf mich im Schatten des Hauses. Battulga, den ich auch hier treffe, sagt mehrdeutig, die Geisterbeschwörung werde erst durch meine Anwesenheit gelingen. Das bezweifle ich sehr, aber seine ernste Miene verunsichert mich. Ich fange einige nachdenkliche Blicke auf. Manchem scheint die bevorstehende Zeremonie unbehaglich zu sein und fraglich, was das seltsame Familientreffen zu bedeuten hat. Zur Begrüßung wird mir, wie allen eintreffenden Gästen, ein kleiner Silberkelch gereicht, abwechselnd gefüllt mit Milch und Wodka. Ich soll das Gefäß zuerst in ausladenden Bewegungen den Himmelsrichtungen opfern und anschließend austrinken. Dabei gilt es, meine geheimsten Wünsche zu flüstern.

      Vor acht Jahren besuchte Dashaa eine Schamanenvereinigung in der Hauptstadt, um einem Freund Beistand zu leisten. Die Mutter seines Freundes war schwer erkrankt, und es war unklar, wie lange sie noch zu leben hatte. Als Dashaa die Schamanen befragte, wurden diese böse und schickten ihn zornentbrannt davon. Eingeschüchtert fragte er, warum sie das tun. Sie antworteten ihm, sie sähen in ihm eine Verbindung zum Himmel. Sein Vorfahre sei auch Schamane gewesen. Er könne doch selbst wissen, wie es um die Mutter des Freundes bestellt sei. Verwirrt und alleingelassen mit dem Erlebten gingen die beiden Freunde heim.

      Bei Dashaa stellten sich Ohnmachtsattacken mit gleichzeitigen Hautreaktionen ein, wie er sie vor dem Zusammentreffen nie gehabt hatte. Er besuchte vier mongolische Schamanen, die ihm alle dasselbe attestierten: „Du bist auserwählt, du musst Schamane werden! Deute die Ohnmachtsattacken als Zeichen des Himmels. Wenn du es nicht machst, wird dir in der Zukunft etwas Böses zustoßen“. Nach reiflicher Überlegung entschied sich Dashaa, Schamane zu werden. Im normalen Leben ist er Galerist und Künstler, ein ruhiger Zeitgenosse, der zurückgezogen in der Geborgenheit seiner Familie lebt. Es ist nicht einfach, im fortgeschrittenen Alter das Schamanenhandwerk zu erlernen. Deshalb bekam Dashaa eine ältere, sehr erfahrene Lehrerin zur Seite, die ihm auf allen Gebieten Rat und Unterstützung gibt.

      Nun wird die alte Schamanin für das Ritual angekleidet. Zwischen den Bewegungen ihrer Helfer sehe ich die Farben des Kleides aufblitzen. Das Licht der Mittagssonne erfasst jedes Detail. Der Himmel ist wolkenlos und durchsichtig blau. Wir werden in den Garten geführt und in einem großen Rund aufgestellt. Das Innere des Kreises bleibt leer, das Zentrum des Ganzen noch verborgen. Kaum einer der Zuschauer scheint zu wissen, was uns erwartet. Zudem geht mir Battulgas Bemerkung nicht aus dem Sinn. Ich frage mich, wie ich mich verhalten soll. Als Dashaas Freund gehöre ich zu den geladenen Gästen und darf seine Schamanenprüfung fotografieren. Das ist ein Vertrauensbeweis und ich möchte keine Fehler begehen. Glücklicherweise habe ich meine Kamera. Sobald ich fotografiere, fühle ich mich sicherer, aber ich kenne auch die Wirkung auf andere. Das muss ich respektieren.

      Neben mir höre ich Dashaas Vater sprechen. Er neigt den Kopf zu seinem Nachbarn. Beide reden über die Kosten des Wochenendhauses, das sich immer noch im Rohbau befindet. Ein ohrenbetäubendes Trommeln unterbricht das Gespräch, wie aus dem Boden gewachsen steht die Schamanin hinter mir. Erschrocken über die plötzliche Erscheinung weiche ich zur Seite. Mit rhythmischen Trommelschlägen und weiten Gesten, ihren Oberkörper auf und ab wiegend, tanzt die Schamanenlehrerin in den Zuschauerkreis. Alle Blicke sind auf die wirbelnde Gestalt gerichtet. Dumpfe, pochende Schläge, die Klänge und Bewegungen, das Trommeln und Tanzen fließen zusammen, möglicherweise ist der Trancezustand bald erreicht. Unsanft fällt die Schamanin zu Boden. Sie hat die Nähe des Geistes gespürt. Nun holen ihre jungen Helfer einige auserwählte Personen, die in dieser Stunde ihr zukünftiges Schicksal erfragen dürfen. Ich sehe Angst, Hoffnung, Freude in den Gesichtern und in den Reaktionen und blankes Entsetzen, als sie einen der Herbeigerufenen mit einem kräftigen Hieb von sich weist. Der in sie gedrungene Geist hat sich seiner entledigt.

      Das Ganze dauert vielleicht eine halbe Stunde. Nachdem sie aus ihrer Trance erwacht ist, kommt nun Dashaa an die Reihe. Er spielt auf seiner Maultrommel fortwährend den selben Rhythmus, bis er seinerseits in Trance fällt. Noch ist nicht sicher, ob sich Dashaa als Medium überhaupt eignet. Beharrlich auf einer kleinen Maultrommel spielend, ruft er den Geist zu sich. Auffallend ist, dass er den gleichmäßigen Takt immer wieder unterbricht. Respekt und Ehrfurcht scheinen ihn zu belasten. Es lässt sich nie vorhersehen, welcher Geist gerade in den Schamanen kommt. Es können mehrere Geister sein, die mit unterschiedlichen Charakteren selbst einen erfahrenen Schamanen in Bedrängnis bringen. Ich ahne einen sehr wilden und bösen Geist, der sich hier in Dashaa zeigt. Der Anblick des Freundes, der wie ein Derwisch in seinem Kostüm tanzt, das mit hellen Glöckchen besetzt ist, lässt mir Schauer über den Rücken laufen.

      Da setzt sich Dashaa an einen eigens für ihn gedeckten Tisch und beginnt mit essen und trinken. Die Speisen sind im Nu verschlungen. Eine zusätzliche Menge Buuz muss geholt werden, um den immensen Hunger des Schamanenschülers zu stillen. Oder den des Geistes, der Wodka trinkt wie Wasser und nach unglaublichen weiteren Portionen verlangt. Ein abstoßendes Schmatzen und Grunzen kommt aus seiner Richtung. Ich muss mir daher in Erinnerung rufen, dass hinter den schwarzen Zottelfransen der Maske auch mein guter Freund steckt, den ich im Winter als cleveren und pfiffigen Geschäftsmann in Nadelstreifen kennengelernt habe.

      Nach dem Fressmahl kippt das absonderliche Geschöpf den Tisch kurzerhand um. Es richtet sich bedrohlich auf, beginnt um die verdutzten Gäste zu tanzen, hart auf die Schamanentrommel pochend, die unter den heftigen Schlägen zerbricht. Der Geist ruft einen Verwandten Dashaas zu sich und offenbart dem erschrockenen Mann unverhohlen die Zukunft. Mit aschfahlem Gesicht nimmt dieser sein Schicksal zur Kenntnis. Diesmal wirft der Geist Dashaa auf die Knie und gestikuliert nach dem Bärenfell, das im Garten über einem Stuhl hängend für die Zeremonie vorbereitet wurde. Sofort bringt ein Helfer das Gewünschte, niemand möchte den Wildgewordenen verärgern. Der prüft das Fell eingehend, ob es für die Ausübung seiner Zwecke annehmbar sei, ebenso wie die Stiefel, die Dashaa später als Schamane tragen soll. Verachtend werden die Gegenstände dem jungen Assistenten vor die Füße geworfen.

      Allmählich