Frank Riedinger

Mongolei – Gesichter eines Landes


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im Khadag aufzubewahren. Seine Mutter betete drei Jahre lang jeden Tag vor dem eingewickelten weißen Stein in der Hoffnung, dass es eine weiße Tara sei. Als die Mutter achtzig Jahre alt wurde, fühlte sie, dass ihre Zeit gekommen sei um zu sterben. Sie bat ihren Sohn, die weiße Tara ansehen zu dürfen. Der Junge wusste keinen Ausweg und er packte den weißen Stein aus. Dieser war aber im Lauf der Jahre über tatsächlich zu einer weißen Tara geworden. Der feste Glauben seiner Mutter an ihren Sohn hatte den weißen Stein in eine weiße Tara verwandelt.

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      Der Himmelskönig hatte drei Töchter, die wunderschön waren. Die älteste der drei hieß Kherlen, die mittlere hieß Onon und die jüngste hieß Tuul. Nachdem die drei Töchter heranwuchsen und erwachsen wurden, verheiratete der König seine älteste Tochter mit dem Pazifik. Die mittlere Tochter wurde mit einem fremden Meer verheiratet. Die jüngste Tochter hingegen blieb unverheiratet in ihrer Heimat bei ihrem Vater. Die beiden ältesten Töchter kümmerten sich nie um ihren älter werdenden Vater und kehrten auch nie wieder in ihre Heimat zurück, nachdem sie geheiratet hatten. Das kränkte den Vater sehr, und er sagte den beiden, dass er sie auch nie mehr sehen möchte, weil sie weit von der Heimat verheiratet sind. Deshalb dürfen sie nicht mehr nach Hause kommen. Seit dieser Zeit fließen die Flüsse Kherlen gol und Onon gol aus dem Land, während der Fluss Tuul gol in der Mongolei bleibt.

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      Das Sky Resort ist eine Skianlage vor den Toren der Stadt, die im Winter rege genutzt wird.

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      Hier auf dem Khar zakh (Schwarzmarkt) kaufen die Einwohner von Ulaanbaatar ihre Dinge für den täglichen Gebrauch.

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      Przewalski war ein russischer Forscher für Zentralasien. 1878 besuchte er die Mongolei. Bei seinem Aufenthalt fand er Knochen und Fell eines seltenen Pferdes. Nach seiner Rückkehr ließ er die Funde in St. Petersburg untersuchen. Dabei stellte man fest, dass die Funde von einem wilden Urpferd stammen müssen. Im Jahre 1881 bekam diese Rasse dann offiziell den Namen Przewalski-Pferd.

      1969 wurde das letzte freilebende Tier in der Mongolei beobachtet. 1992 wurden die Pferde durch Auswilderungen und Zuchtprojekte diverser europäischer zoologischer Gärten in die Mongolei zurückgebracht. Ein Reservat, in dem sie heute wieder zu sehen sind, ist neben weiteren der Khustain Nuruu Nationalpark in der Nähe Ulaanbaatars.

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      Die Takhis oder Przewalski-Pferde sind nicht weit von Ulaanbaatar entfernt im Khustain Nuruu Nationalpark zu sehen.

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      Der Meister empfängt uns mit offenen Armen. Vor uns steht einer der besten und bekanntesten Pferdekopfgeigenbauer der Mongolei. Ich schaue in den engen Flur seiner Werkstatt. „Bitte hier entlang“. Baigaljav geleitet uns zuerst in sein Büro. Dort sind wir vor den Arbeitsgeräuschen sicher. Hämmern, Bohren, Schleifen, das Kreischen einer elektrischen Säge. Baigaljav ist in Odmaas Heimatort aufgewachsen. Er redet wie Odmaa ohne hörbaren Dialekt, wie alle Bewohner aus der Südgobi. Beginnen wir mit dem Gespräch, sagt er sympathisch, wir wollen uns dabei Zeit lassen.

      Einem außergewöhnlichen Erlebnis als Kind verdanke er seinen Beruf. Ihm war es vorbestimmt, daher dürfe er von Berufung sprechen. Ich stelle mir den kleinen Jungen vor, wie er einem Musikanten zuhört, der eine Morin Khuur spielt. In der Verlassenheit der Wüste müssen ihn die Klänge des Instruments wie ein Himmelsgeschenk berührt haben.

      Baigaljav machte eine Ausbildung als Instrumentenbauer in einem sozialistischen Kombinat, dem einzigen Betrieb der Mongolei, in dem Pferdekopfgeigen hergestellt wurden. 1989, nach der friedlichen Revolution, bot sich die Chance, eine eigene Firma zu gründen, Egshiglen Magnai – Musical Instrumental Co. Ltd. Er musste noch zwei Jahre an der Verwirklichung arbeiten, dann stand der Geschäftsgründung nichts mehr im Wege. Seine Frau unterstützte ihn dabei. Zunächst produzierten sie auf Bestellung für einen Händler. Neun Jahre später, die Geschäfte in der Branche gehen recht gut, eröffnen sie den eigenen Verkaufsladen in Ulaanbaatar. Er ist jetzt 52 Jahre alt und beschäftigt vierzig Mitarbeiter.

      Unser Gespräch wird immer wieder von Telefonanrufen und den Fragen seines Personals unterbrochen. Baigaljav will der Firmenphilosophie treu bleiben und bei allen Problemen mitsprechen. Die Qualität des Holzes zur Herstellung der Geigen prüft er persönlich. Er fährt in den waldreichen Norden des Landes, um vor Ort die beste Auswahl zu treffen. Drei Jahre wird das Holz in seinem Hof gelagert, bevor es Verwendung findet. Auch das Baumharz, das zum Spielen der Geige gebraucht wird, bezieht er von dort. Die Saiten des Instrumentes werden leicht bestrichen und erzeugen durch die größere Reibung einen satteren Ton.

      2002 erlässt der Präsident einen Beschluss, der besagt, dass jede mongolische Familie im Besitz einer Pferdekopfgeige sein müsse. Baigaljav möchte nun einheitliche Vorgaben zum Instrumentenbau der Pferdekopfgeige entwickeln. Dabei denkt er nicht an Produktionsvorteile oder Massenware, sondern an die musische Bildung. Über den Bau und das Erlernen bis zum Spielen der Morin Khuur soll der Reichtum von Handwerk, Kultur und Musik vermittelt werden und ins Bewusstsein der Menschen eingehen. Ein Land der Extreme wie die Mongolei braucht verbindende Werte, soziale Gedanken, die auch in der Zukunft Bestand haben. Dass seine Überlegungen realistisch sind und erfolgreich angewendet werden können, zeigt sich am Beispiel der Straßenkinder aus Ulaanbaatar, denen im Rahmen eines staatlich geförderten Projekts das Erlernen der Morin Khuur angeboten wird.

      Baigaljavs Frau hat uns den Milchtee serviert. Dem Erzähler wird eine willkommene Pause gegönnt, denn unser Gespräch ist noch nicht zu Ende. Er lehnt sich in dem Ledersessel zurück und trinkt in kleinen Schlucken. Dann holt er aus seiner Sammlung ein antikes Instrument, vermutlich das älteste noch erhaltene Exemplar.

      Früher war der Klangkörper mit Ziegenleder oder dem Leder junger Kamele bespannt. Auf den Rat eines russischen Musikwissenschaftlers hin wird diese Technik in den 1960er Jahren geändert und durch Deckel aus Holz über dem Resonanzkörper ersetzt. Die Tierhautbespannung hat qualitative Nachteile, die das Musizieren beeinträchtigen können. Aus dem gleichen Grund werden die Saiten aus Pferdehaar durch solche aus Polyester ersetzt. Bereits zuvor gab es Geigen ohne ihr Hauptmerkmal, dem geschnitzten Pferdekopf. Heute haben die Instrumente, abgesehen von geringen Unterschieden, eine einheitliche Größe. Im Osten der Mongolei spielte man auf sehr großen Instrumenten, und die Musiker aus dieser Region waren damals und sind heute noch als die besten im Land bekannt. Im Westen war eine kleinere Version der Instrumente verbreitet, die eher an einen Schöpflöffel erinnert.

      Die Morin Khuur hat ihre Wurzeln in einem Saiten­instrument, das aus der Hunnenzeit stammt und heute als Tovshuur bekannt ist. Es ist nicht als Streich-, sondern als Zupfinstrument überliefert und hatte die Form eines Schöpflöffels. Die Verzierung des Halses stellt keinen Pferdekopf, sondern Schwanenköpfe, Krokodilsköpfe, Drachenköpfe oder Löwenköpfe dar. In der Legende zur Morin Khuur hat Khukhuu Namjil als Erster einen Pferdekopf geschnitzt.